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Die Studie im vergangenen September machte Schlagzeilen: Weltweit sollen die Neuerkrankungen von Krebs bei den unter 50-Jährigen in die Höhe schießen. Als Kate Middleton, die 42-jährige Princess of Wales, am 22. März 2024 ihre Krebserkrankung publik machte, schrieben viele Medien erneut über den besorgniserregenden Trend bei jungen Menschen. Dabei gibt es ihn überhaupt nicht – zumindest nicht in Deutschland.

Laut einer aktuellen Untersuchung ist die Zahl der Krebsdiagnosen bei den unter 50-Jährigen in den vergangenen 30 Jahren weltweit um fast 80 Prozent gestiegen. Die Ergebnisse wurden im September 2023 im British Medical Journal Oncology veröffentlicht. [1] Als Ursache nennen die Autorinnen und Autoren ungesunde Lebensstilfaktoren wie Rauchen, ungesunde Ernährung oder Bewegungsmangel. Diese Faktoren können das Risiko für Krebs zwar tatsächlich erhöhen – deutsche Expertinnen und Experten haben allerdings eine andere Erklärung für die Hauptursache des Anstiegs.

„Wir müssen den Autoren und Gutachtern den Vorwurf machen, die Zahlen nicht richtig interpretiert zu haben. Die hohen Fallzahlen lassen sich weitgehend durch das Bevölkerungswachstum erklären“, sagt Prof. Volker Arndt, Epidemiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg. „Im Studienzeitraum ist die Weltbevölkerung in der Altersgruppe der 15- bis 49-Jährigen um 45 Prozent und in der Altersgruppe der 40- bis 49-Jährigen um 86 Prozent gestiegen.“

Diese Einschätzung teilt auch Prof. Alexander Katalinic, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie an der Universität zu Lübeck. „Schaut man sich an, welche Länder zum Anstieg der Fallzahlen beitragen, sind das vor allem Afrika, Südamerika und Asien. Hier ist auch die junge Bevölkerung besonders stark gewachsen. Und mehr Menschen bedeuten auch mehr Krebsfälle.“ Bei bestimmten Krebsarten haben allerdings die Neuerkrankungssraten zugenommen: Etwa bei Brust-, Haut- und Darmkrebs. Doch insgesamt hat sich auch die globale Neuerkrankungsrate von Krebs in den vergangenen Jahren kaum verändert.

In Deutschland treten laut Robert-Koch-Institut (RKI) weniger als 10 Prozent aller Krebsfälle vor dem 50. Lebensjahr auf. „Das Bild ist je nach Krebsart nicht einheitlich, aber insgesamt hat sich das Risiko, zwischen 15 und 49 Jahren eine Krebsdiagnose zu erhalten, in den letzten 15 Jahren in Deutschland praktisch nicht verändert“, erklärt Marieke Degen, stellvertretende Pressesprecherin des RKI.

Es zeigt sich zwar ein geringer Anstieg – doch der ist gut erklärbar. „1999 bis 2001 gab es in Deutschland knapp 36 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 49 mit etwa 47 000 Krebsneuerkrankungen – das macht 133 Erkrankte pro 100 000 Einwohner. 2017 bis 2019 waren es nur noch etwa 31 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe und ungefähr 43 000 Neuerkrankungen, also 139 Erkrankte pro 100 000 Personen“, sagt Prof. Alexander Katalinic. „Dieser geringfügige Anstieg hat zumindest teilweise einen positiven Hintergrund: Er zeigt zum Beispiel, dass sich in Deutschland die Früherkennung gerade bei Personen mit höherem Risiko in den vergangenen Jahren verbessert hat. Dadurch wird der Krebs inzwischen häufiger bereits im jüngeren Alter gefunden.“

Zudem sind die Zahlen des RKI nur eingeschränkt interpretierbar. Denn die Art, wie sie bislang gesammelt wurden, bringt statistische Verzerrungen mit sich. „Bei den RKI-Daten muss man beachten, dass während der letzten 20 Jahre immer mehr Register für die Hochrechnung auf Deutschland-Ebene einbezogen wurden. Ist ein Bundesland mit höherem oder niedrigerem Krebsgeschehen hinzugekommen, hat das entsprechende Auswirkungen auf die für Deutschland geschätzten Zahlen“, sagt Prof. Arndt. „Für eine bessere Vergleichbarkeit sind wir im Kreis der deutschen Krebsregister gerade dabei, Trendanalysen zu konzipieren.“ Das wird dazu beitragen, echte Veränderungen schneller zu erkennen und besser zu deuten.

Das stimmt so nicht. „Hautkrebsscreenings sind beispielsweise bereits ab 35 Jahren möglich, ein Gebärmutterhals-Screening ab 20, Brustkrebs-Abtasten ab 30“, erklärt Katalinic. „Und für Personen mit familiärer Belastung werden zudem bei verschiedenen Krebsarten – Brustkrebs, Darmkrebs, Eierstockkrebs etc. – spezielle Programme angeboten.“

Insgesamt beobachten Fachleute zudem eine gesteigerte Aufmerksamkeit und auch die vermehrte Inanspruchnahme von individuellen Gesundheitsleistungen, kurz IGeL, die Patientinnen und Patienten selbst bezahlen. Dadurch werden auch bei den unter 50-Jährigen diverse Tumore öfter erkannt. Hinweis: Viele IGeL werden von medizinischen Fachgesellschaften nicht empfohlen, weil sie Krebserkrankungen nicht verlässlich erkennen oder ausschließen.

Wird jedoch eine Krebserkrankung frühzeitig diagnostiziert, hat das oft Vorteile für die Patientin oder den Patienten. Dr. Kerstin Ramaker, ärztliche Koordinatorin des Brustkrebszentrums am Regio Klinikum Pinneberg erklärt, warum: „Die Heilungschancen sind besser und die Therapien meistens besser verträglich als bei Erkrankungen in fortgeschrittenen Stadien.“ Bei Brustkrebs zum Beispiel liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate über alle vier Stadien hinweg bei 78 Prozent. Wird Brustkrebs jedoch im frühesten Stadium erkannt und behandelt, überleben alle Frauen.[2]

„Die amerikanischen Kollegen weisen bereits seit einigen Jahren intensiv darauf hin, dass bei ihnen aufgrund von ungesunder Ernährung und Übergewicht bei Jüngeren das Darmkrebsrisiko deutlich ansteigt“, sagt Prof. Arndt. Auch in Deutschland gibt es erste Hinweise für einen leichten Anstieg, der bei Frauen minimal stärker ausfällt als bei Männern. [3]Hier sind allerdings noch weitere Untersuchungen notwendig, um das Ergebnis statistisch abzusichern. Neben einem ungesunden Ernährungsverhalten, Übergewicht und zu wenig körperlicher Aktivität könnte allerdings auch eine erfreuliche Veränderung den leichten Anstieg erklären: Nahe Verwandte von Darmkrebspatientinnen und -patienten werden vermehrt auf Darmkrebs untersucht – und das oft schon im Alter weit unter 50 Jahren.

„Beim Gebärmutterhalskrebs haben wir eine sehr wirksame Impfung gegen krebsverursachende HPV-Viren zur Verfügung“, sagt Dr. Ramaker. „Trotzdem ist in Deutschland nur etwa jedes zweite junge Mädchen geimpft und etwa jeder vierte Junge. Das ist zu wenig.“

Bereits 2006 wurde die HPV-Impfung in Europa zugelassen. Jetzt zeigt sich erstmals in Deutschland[4], dass die Neuerkrankungsrate markant sinkt. „In unserer neuesten Untersuchung konnten wir nachweisen, dass wir bei den jungen Frauen bereits mindestens ein Viertel weniger Gebärmutterhalskrebsfälle sehen als bei Frauen, die nicht geimpft werden konnten“, erklärt Prof. Katalinic. „Auch wenn die Impfraten in den ersten Jahren noch niedrig waren, ist das ein starker Hinweis auf die Wirksamkeit der Impfung. Wenn sich jetzt noch mehr Mädchen und Jungen impfen lassen, dann werden die Zahlen deutlich weiter sinken.“

Weltweit starben 2019 mehr als eine Million Menschen unter 50 Jahren an Krebs. Die neue Studie spricht von einem Anstieg von knapp 28 Prozent im Vergleich zu 1990. „Mehr Menschen sorgen für mehr Krebsfälle – und die wiederum für mehr Todesfälle“, erklärt Prof. Arndt. Insgesamt sinkt jedoch das Risiko, an Krebs zu sterben. Die bessere Früherkennung und die großen Fortschritte in der Krebsmedizin bringen Betroffenen eine immer höhere Überlebenschance. Laut RKI liegt in Deutschland das Risiko, vor dem 50. Lebensjahr an Krebs zu versterben, für beide Geschlechter deutlich unter einem Prozent. Im Jahr 2020 traf es 6641 Menschen.


Quellen:

  • [1] Zhao J, Xu L, Sun J et al : Global trends in incidence, death, burden and risk factors of early-onset cancer from 1990 to 2019. BMJ Oncology : https://bmjoncology.bmj.com/... (Abgerufen am 10.05.2024)
  • [2] Zentrum für Krebsregisterdaten: Brustdrüse – C50, Einzelkapitel aus "Krebs in Deutschland für 2019/2020. https://www.krebsdaten.de/... (Abgerufen am 13.05.2024)
  • [3] Tanaka LF, Figueroa SH, Popova V et al.: The Rising Incidence of Early-Onset Colorectal Cancer. Dtsch Arztebl Int. 2023;120(Forthcoming):59-64. . In: Deutsches Ärzteblatt International: 03.02.2023, https://doi.org/...
  • [4] Grieger P, Eisemann N, Hammersen F et al.: Initial Evidence of a Possible Effect of HPV Vaccination on Cancer Incidence in Germany—Focus on Cervical Cancer. Deutsches Ärzteblatt International: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 14.05.2024)