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Kennen Sie das? Die Zahnärztin mahnt zu besserer Zahnpflege. Sie empfiehlt nach dem Putzen Zahnseide und einmal im Jahr eine professionelle Zahnreinigung. Sie nicken brav und wissen, dass sie recht hat. Schon am Abend fühlen Sie sich müde und wollen nur noch ins Bett – und nicht einen Faden durch die Zahnzwischenräume ziehen. Für die Zahnreinigung müsste man einen Termin vereinbaren. Dabei ist der Terminkalender schon wieder so voll.

Sich gesund zu verhalten fällt uns mitunter schwer, auch wenn es oft einfach erscheint. Im Supermarkt halten wir ausreichend Abstand zu anderen, um uns nicht mit dem Coronavirus anzustecken. Treffen wir in den Gängen eine gute Bekannte, ist es jedoch schnell vorbei mit der Distanz und wir umarmen uns herzlich.

„Sport ist eine gute Sache – aber nicht heute“

Allzu oft tun wir Dinge, die nicht gut für unsere Gesundheit sind. Zeitschriften, Werbekampagnen, der gut gemeinte ärztliche Rat: Wie wichtig gesundes Essen und Sport sind, dass wir auf Vorsorgeuntersuchungen nicht verzichten sollten, umso mehr aber auf Alkohol und Zigaretten, all das ist eigentlich bekannt. Und doch fällt es so schwer, gesundes Verhalten in die Tat umzusetzen. Warum ist das so?

Genau hinsehen

„Ein erster Schritt, um sich täglicher kleiner Fehlschlüsse zu überführen, ist, sich selbst in bestimmten Situationen zu beobachten“, sagt Gesundheitspsychologin Theda Radtke. In welchen Momenten esse ich Schokolade? Wann mache ich gern Sport, wann eher nicht? Das kann erhellend sein und Chancen aufzeigen, woran sich etwas ändern lässt.

Tatsächlich beeinflusst uns ein Sammelsurium an zum Teil unbewussten Abläufen im Gehirn. „Wir verhalten uns ständig wider besseres Wissen. Jeder kennt solche Situationen“, sagt Peter Kurz, Facharzt für Innere Medizin sowie Ernährungs- und Sportmediziner am medizinischen Zentrum „Prevention First“ in München.

Er berät häufig Menschen zu vorbeugenden Gesundheitsmaßnahmen und ist überzeugt, das Unvermögen, stets gesund zu handeln, sei auch ein Erbe aus der Steinzeit: „Das ganze Jahr über ein Überfluss an Lebensmitteln und wenig körperliche Bewegung, diese Lebensumstände gibt es in der Geschichte des Menschen noch nicht sehr lange.“

Jetzt noch joggen gehen? Feste Rituale helfen

„Eigentlich könnte ich diese Woche mal wieder laufen gehen …“ Ein guter Vorsatz – aber viel zu unkonkret. Schmieden Sie konkrete Pläne: Wann genau wollen Sie Sport treiben? Mit wem könnten Sie sich verabreden? Was ist das Alternativprogramm, wenn das Wetter schlecht ist?

Obst ist gesund – Chips sind lecker

„Für unsere steinzeitlichen Vorfahren war es überlebensnotwendig, ihre Energie sparsam einzusetzen, auch bei der Beschaffung der mitunter knappen Nahrung“, erklärt Kurz. Dieser Mechanismus sei noch immer aktiv. Menschen wollten es möglichst bequem haben, ungesundes Essen sei immer und überall verfügbar.

Über Jahrtausende erwachsen, findet Handeln häufig nicht bewusst statt. „Menschliches Alltagsverhalten läuft oft per Autopilot“, sagt Ralf Schwarzer, emeritierter Professor für Gesundheitspsychologie an der Freien Universität Berlin. In jeder Minute führt man Dutzende kleiner oder großer Handlungen aus. Über jede einzelne nachdenken zu müssen, würde das Gehirn schnell überlasten.

Gesünder essen? Jeden Tag bieten sich neue Chancen

Was esse ich? Diese Entscheidung sollten Sie nicht erst treffen, wenn sich der Heißhunger meldet. Ansonsten fällt die Wahl leicht auf Fettes, Süßes oder stark Verarbeitetes, weil solche Speisen schnelle Sättigung versprechen.

„Wir lassen uns im Leben vor allem von Gewohnheiten leiten“, bestätigt Theda Radtke, Professorin für Gesundheitspsychologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Die Welt wäre viel zu komplex, wenn wir über jedes Tun sinnieren würden. Also tut man das, was man schon immer gemacht hat. Das beginnt morgens beim Zähneputzen, geht beim Frühstück weiter, auf dem Weg zur Arbeit und in der Freizeit.

Theda Radtke ist Professorin für Gesundheitspsychologie an der Bergischen Universität Wuppertal

Theda Radtke ist Professorin für Gesundheitspsychologie an der Bergischen Universität Wuppertal

„Was wir im Elternhaus oder in jungen Jahren gelernt haben, prägt uns“, erklärt Radtke. „Haben die Eltern nach dem Zähneputzen Zahnseide verwendet und haben wir einst spielerisch mitgemacht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir diese auch als Erwachsene benutzen.“ Ähnlich verhalte es sich mit der Ernährung und Bewegung. Standen früher Cola und Chips in der Küche bereit oder Obst und Gemüse? War die Familie häufig mit dem Auto unterwegs oder mit dem Fahrrad? Haben sich enge Freunde eher für Computerspiele oder aktiven Sport interessiert?

Unangenehmes erscheint heute schlimmer

Doch nicht nur, was früher war, leitet das Verhalten. Auch Denkfehler und -verzerrungen beeinflussen Entscheidungen und führen dazu, Gefahren und Risiken zu unterschätzen. Etwas Unangenehmes in der Zukunft wird dann als weniger schlimm empfunden, als etwas Unangenehmes im Hier und Jetzt.

Diese Woche noch auf dem Zahnarztstuhl Platz zu nehmen erscheint vielen aufwendiger und nervtötender als eine Wurzelbehandlung, die irgendwann nötig werden könnte, weil man die jährliche Kontrolle versäumt hat. Die meisten Gesundheitsgefahren seien zu abstrakt, die Bedrohung zu vage, meint Präventionsmediziner Kurz: „Laborbefunde wie zu hohe Cholesterinwerte kann ich nicht spüren, deshalb werden sie als nicht so bedrohlich empfunden.“

Wenn der Körper jeden Tag eine konkrete Rückmeldung geben würde, sobald man sich ungesund verhält, würde es vermutlich leichter fallen, darauf zu reagieren. Doch meist vergehen Monate oder Jahre, bis der Rücken schmerzt oder es zum Herzinfarkt kommt. Wertvolle Zeit zum Handeln verstreiche ungenutzt, so Kurz.

Das Risiko ist hoch - wird aber nur anfangs gesehen

Studien belegen: Menschen können Risiken schlecht abschätzen und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefahr eintritt, schwer einordnen. Viele haben mehr Angst davor, mit einem Flugzeug abzustürzen, als an Krebs zu erkranken. Dabei ist das Risiko für Letzteres um ein Vielfaches höher. Mehr noch: Das Gefühl, dass etwas riskant ist, lässt nach, je häufiger man dieser Situation ausgesetzt ist.

Arbeitnehmer in gefährlichen Berufen, zum Beispiel Handwerker, die Starkstromleitungen warten, sind am ersten Arbeitstag vielleicht noch nervös. Mit den Monaten und Jahren verfliegt die Angst vor einem tödlichen Schlag. Das Risiko, dass tatsächlich etwas passieren könnte, wird nach und nach als geringer empfunden – obwohl es Tag für Tag gleich hoch ist.

Wie verzerrt Risiken eingeschätzt werden, zeigt sich auch in der Corona-Pandemie. Anfangs herrschte große Vorsicht, doch nach fast anderthalb Jahren scheint die Bedrohung durch das Virus Teil des Lebens zu sein. Unachtsamkeit macht sich breit, nicht nur bei Geimpften.

„Riskant – aber nicht für mich“

Leichtsinn wurzelt mitunter auch in einem Denkfehler, den Fachleute „unrealistischen Optimismus“ nennen. Bei der Gesundheit zuversichtlich zu sein, ist an sich gut. Wer optimistisch in die Zukunft blickt, geht körperlich wie mental tendenziell gesünder durchs Leben. Allerdings kann der Optimismus auch in ein Übermaß umschwenken.

Oft denken wir: „Es wird schon alles gut werden. Mich trifft es schon nicht“. Fragt man etwa Raucherinnen und Raucher, wie hoch sie das Risiko einschätzen, selbst an Lungenkrebs zu erkranken, und dann, wie hoch das Risiko für andere Raucher sei, dann bewerten sie häufig ihr persönliches Risiko deutlich geringer als das anderer.

Ein ähnliches Ergebnis erhält, wer 50-Jährige mit Übergewicht zu ihrem eigenen Herzinfarktrisiko befragt – und anschließend nach dem von Gleichaltrigen. Vier von zehn Erwachsenen unterschätzen im Durchschnitt ihr Risiko hierfür. Das untermauern mehrere Hundert Untersuchungen aus mehr als 30 Jahren Forschung.

Neben diesem Logikfehler beeinflusst ein ganz normaler sozialer Mechanismus das Handeln: der Herdentrieb. „Menschen tun gedankenlos das, was andere in ihrer Lebensumwelt auch tun“, erklärt Psychologe Ralf Schwarzer. Wenn besonders viele in einer Gruppe enger Bekannter rauchen, liefere dies den Maßstab für eigenes Verhalten. Es gelte dann eine soziale Norm. Diese müsse aber nicht nur Negatives hervorbringen, so Schwarzer. Sie könne auch medizinisch sinnvolles Verhalten fördern.

„Die anderen machen es doch genauso“

„Wir sind soziale Wesen, wollen anderen gefallen und dazugehören“, sagt Theda Radtke. „Deshalb halten wir uns auch eher an das, was alle machen.“ Das habe man zum Beispiel in der Corona-Pandemie deutlich sehen können. „Früher trug niemand einen Mund-Nasen-Schutz, dann wurde er zur Norm und mittlerweile vergisst ihn kaum jemand.“

Ähnlich verhalte es sich bei anderen Gesundheitsfragen: „Wenn es normal ist, sich gegen Erkrankungen impfen zu lassen oder zur Darmkrebsvorsorge zu gehen, dann machen es auch mehr Menschen“, sagt Radtke.

An dieser Stelle ergibt sich eine Möglichkeit, den eigenen Fehlschlüssen und Verzerrungen etwas entgegenzusetzen. „Wer an Ernährung, Bewegung oder anderen Verhaltensweisen im Alltag etwas verbessern will, sucht sich dafür am besten Unterstützung von anderen“, sagt Gesundheitspsychologin Theda Radtke.

Veränderungen sind möglich. Nur seien sie mitunter harte Arbeit und meistens nicht von heute auf morgen umsetzbar. Es braucht Durchhaltevermögen – genau hierbei können Mitstreiter helfen.

Von der Motivation hängt es ab

Vor allem aber kommt es auf die eigene Motivation an, sagt Internist Peter Kurz: „Die wenigsten schaffen es rein aus Vernunftgründen, auf Dauer etwas an ihrem Verhalten zu ändern. Es braucht einen inneren Antrieb.“ Er empfiehlt, sich vier Aspekte ehrlich aufzuschreiben und gegeneinander abzuwägen: einerseits die Vor- und Nachteile, die ein neues, gesünderes Verhalten haben kann, andererseits die Vor- und Nachteile, wenn man nichts verändert.

Das Für und Wider deutlich zu sehen, den persönlichen Zugewinn einer Verhaltensänderung zu erkennen, könne die Motivation steigern, es wirklich anzugehen, rät Kurz. Und dann lieber in kleinen Schritten zu denken.

„Viele denken, sie müssten ihr Leben umkrempeln und alles auf einmal verändern. Ich rate eher dazu, persönliche Prioritäten zu setzen und nach und nach Dinge anzugehen.“ Und womit sollte man beginnen? Mit dem, was einem am leichtesten fällt.

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