Wie lange ist Stillen ideal?

Wie lange sollte ein Kind gestillt werden?
© istock/SDI Productions
Eigentlich ist es fast schon egal, wie lange eine Mutter stillt: Irgendjemand fühlt sich immer bemüßigt zu werten – zu kurz, zu lang. Die Reaktionen des Umfelds bewegen sich nicht selten zwischen Verwunderung und Missbilligung. Das Thema polarisiert, jeder hat eine Meinung dazu, wie lange ein Kind Muttermilch erhalten sollte.
Empfehlung: Mindestens vier Monate ausschließlich stillen
Die Empfehlungen der Nationalen Stillkommission sind dagegen eindeutig: Säuglinge sollten, unabhängig von ihrem Allergierisiko, mindestens bis zum Beginn des fünften Monats ausschließlich gestillt werden. Frühestens dann raten Fachleute zur Beikosteinführung. Spätestens zu Beginn des siebten Monats sollte dies geschehen. "Beikost bedeutet aber nicht automatisch Abstillen. Beikost und Stillmahlzeiten ergänzen sich im Idealfall", sagt Prof. Michael Abou-Dakn, Mitglied der Nationalen Stillkommission und Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am St. Joseph-Krankenhaus Berlin.
Viele Frauen brechen das Stillen früh ab
In Deutschland bekommen jedoch viele Babys bereits vor dem fünften Monat industriell hergestellte Säuglingsmilch, sogenannte Formula-Nahrung. "Über 80 Prozent der Frauen stillen nach der Geburt, doch die Abbruchrate ist dann hoch", sagt Michael Abou-Dakn. Vom Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass Babys sechs Monate ausschließlich Muttermilch trinken sollten, sind deutsche Kinder weit entfernt. Sinnvoll ist diese Empfehlung vor allem für Babys in Entwicklungsländern. "Sehr wünschenswert wäre das aber auch hier", sagt Abou-Dakn. In den Augen des Experten wäre es bereits ein großer Schritt, wenn hierzulande mehr Mütter bis in den fünften Monat hinein voll stillen würden und erst danach ihr Kind langsam von der Brust entwöhnen.
Stillkinder und deren Mütter im Schnitt gesünder
Die Argumente dafür sind durch viele Studien belegt: Frauen senken zum Beispiel ihr Risiko, an Brustkrebs oder Diabetes zu erkranken. Gestillte Kinder entwickeln im Kindergartenalter seltener Übergewicht. Sie erkranken nicht so häufig an Infektionen, vor allem des Magen-Darm-Trakts, sind besser vor dem plötzlichen Kindstod geschützt. "Es ist ein Potpourri vieler Themen, das für das ausschließliche Stillen in den ersten vier Monaten spricht, allerdings streitet die Wissenschaft in einzelnen Fällen über den Effekt."
Keine Empfehlung zur optimalen Stilldauer
Doch wie lange sollte ein Kind insgesamt Muttermilch bekommen? Zur Stilldauer gibt die Nationale Stillkommission keine Empfehlung. Sie rät: Jede Frau solle das für sich entscheiden – und sich nicht dafür rechtfertigen müssen.
"Solange sich Mutter und Kind wohlfühlen, ist alles in Ordnung", ergänzt Michael Abou-Dakn. Der Hinweis auf Schadstoffe in der Muttermilch, der immer wieder einmal für ein frühes Abstillen ins Feld geführt wird, sei hinfällig. "Das ist nicht relevant fürs Kind", so Abou-Dakn.
Bei Stillverzicht kein schlechtes Gewissen
Und was, wenn es mit dem Stillen nicht klappt oder eine Frau nicht stillen möchte? Verurteilen sollte das niemand, auch ein schlechtes Gewissen braucht deshalb keine Frau zu haben. "Wer sein Baby mit Formula-Nahrung füttert, schädigt es nicht, er nimmt ihm einfach Vorteile, die die Muttermilch bietet", erklärt der Gynäkologe. Da die Neugeborenenmilch, das sogenannte Kolostrum, besonders reichhaltig in seiner Zusammensetzung ist, wäre es gut, wenn Säuglinge in ihren ersten Lebenstagen wenigstens sie bekommen könnten. Ansonsten rät der Experte, besonders auf viel liebevollen und engen Hautkontakt sowie Schmuseeinheiten mit dem Baby zu achten. Denn ein wichtiger Punkt, den das Stillen automatisch fördert, ist die Bindung zwischen Mutter und Kind.
"Ich orientierte mich an den Experten-Empfehlungen"
Anna-Lena N.* (38) hat eine Tochter* (4) und einen Sohn* (1)
"Mein Ziel war, zwischen vier und sechs Monate voll zu stillen. Bei Carla habe ich nach fünf Monaten mit der Beikost begonnen: Alle vier Wochen ersetzten wir eine Mahlzeit. Mit etwa neun Monaten hat sie durchgeschlafen und damit auf die letzte Stillmahlzeit nachts verzichtet. Sie hatte nie ein Fläschchen. Quirin hat sich schon früher fürs Essen interessiert. Er bekam nach vier Monaten den ersten Brei, sechs Wochen später waren alle Tagesstillmahlzeiten ersetzt, nur noch nachts stillte ich ihn einmal. Mit circa sieben Monaten gab ich ihm nachts statt der Brust ein Fläschchen. Obwohl ich gerne gestillt habe, empfand ich die Art und Weise, wie das Stillen propagiert wird, fast als unangenehm. Ich habe einen Druck verspürt, der mich gerade bei meinem ersten Kind verunsicherte."
* Namen von der Redaktion geändert