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Was bedeutet Gerinnungshemmung?

  • In Deutschland nehmen ungefähr eine Million Menschen gerinnungshemmende Medikamente langfristig ein.
  • Unsere Blutgerinnung ist ein komplexes Zusammenspiel aus Entstehung und Wiederauflösung von Blutgerinnseln. Dieses ständige Ineinandergreifen sorgt einerseits für eine rasche Blutstillung.
  • Andererseits stellt es sicher, dass das Blut flüssig und die Gefäße durchgängig bleiben. Die Blutstillung unter Einbeziehung der Gerinnung heißt Hämostase.
  • Wenn gerinnungsfördernde Faktoren überwiegen, ergibt sich ein Ungleichgewicht. Dann bildet sich unter Umständen ein gefäßverschließendes Blutgerinnsel (Thrombus).
  • Diesem Risiko und möglichen gefürchteten Folgen wie zum Beispiel Herzinfarkt, Schlaganfall oder Lungenembolie kann eine gerinnungshemmende Therapie vorbeugen.

Blutgerinnsel: Unberechenbarer Verlauf

Ein Blutgerinnsel (Blutpfropf, Thrombus) kann entweder am Ort seines Entstehens zu einem Gefäßverschluss führen. Das ist dann eine Thrombose. Wenn der Thrombus mit dem Blutstrom weiterverschleppt wird und später im Gefäßsystem hängen bleibt, spricht man von einer Embolie, beispielsweise einer Lungenembolie.

Wann ist eine dauerhafte Blutverdünnung notwendig?

Bei verschiedenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist eine gerinnungshemmende Behandlung wichtiger Bestandteil der Therapie. Die Dauer hängt von der individuellen Ausprägung des  Krankheitsbildes und von fortbestehenden Risikofaktoren ab.

Nach wiederholten Thrombosen und Embolien empfehlen  Experten oft eine dauerhafte Behandlung mit  Gerinnungshemmern.

  • Die wohl häufigste Ursache ist ein dauerhaftes Vorhofflimmern. Diese Herzrhythmusstörung geht ohne eine Blutverdünnung oft mit einem erheblichen Risiko für Schlaganfälle einher und bedarf einer dauerhaften Therapie.
  • Auch nach dem Einsetzen von mechanischen Herzklappen ist  zeitlebens eine Hemmung der Blutgerinnung wichtig.  
  • Nach einer Thrombose oder Lungenembolie ist meistens eine Blutverdünnung über drei bis sechs Monate ausreichend. Manchmal ist sie aber auch für Jahre oder zeitlebens notwendig, um der Bildung von weiteren Gerinnseln vorzubeugen.
Bei Verletzungen bildet geronnenes Blut einen Wundschorf

Bei Verletzungen bildet geronnenes Blut einen Wundschorf

Was passiert bei der normalen Blutgerinnung?

Die Blutgerinnung läuft auf mehreren Ebenen gleichzeitig ab. Eine Verletzung an der Gefäßwand führt zunächst zu einer Gefäßverengung an der verletzten Stelle. Unter Einwirken eines bestimmten Faktors aus dem Blut und der Gefäßwand (von Willebrand Faktor) verklumpen im Blut schwimmende Blutplättchen (Thrombozyten).

Die verklumpten Blutplättchen geben Stoffe ab, welche die Anlagerung (Aggregation) weiterer Blutplättchen fördern. Es entsteht ein "provisorisches" Gerinnsel, ein sogenannter Plättchenthrombus (weißer Thrombus).

Gleichzeitig aktivieren Stoffe aus der verletzten Gefäßwand ("äußerer Pfad"), meist aus dem Endothel (siehe Bild unten: So entsteht ein Gefäßverschluss) sowie parallel aus bestimmten Blutzellen ("innerer Pfad") die plasmatische Blutgerinnung.

Diese eigentliche Blutgerinnung läuft in mehreren Stufen ab, man spricht von einer Gerinnungskaskade. Den Anstoß gibt in erster Linie ein sogenannter Gewebefaktor (engl. tissue factor).

Dieser Stoff aktiviert einen Gerinnungsfaktor. Der aktivierte Faktor aktiviert den nächsten Faktor und so fort. Am Ende der Gerinnungskaskade steht durch Einwirken des aktiven Faktors Thrombin (Faktor IIa) die Bildung von Fibrin, was einem Gerinnsel entspricht. Fibrin bildet Netze und wirkt wie ein Klebstoff.

So entwickelt sich in mehreren Schritten aus dem ersten (weißen) Plättchenthrombus schließlich ein stabiler Blutgerinnungsthrombus. Dieses Fibringerinnsel enthält noch weitere Blutbestandteile wie rote Blutkörperchen (daher auch roter Thrombus genannt).

Im Zuge der Wundheilung – und damit das betroffene Gefäß durchgängig bleibt –, muss der Pfropf natürlich wieder aufgelöst werden. Dafür sorgt ein weiteres System im Blut, das mit der Gerinnung ein fein abgestimmtes, ständig aktives Gleichgewicht bildet: die Fibrinolyse. Ein wichtiger Stoff darin, der den Thrombus auflöst, ist Plasmin. Daneben gibt es noch weitere Stoffe, die einzelne Gerinnungsfaktoren "kontrollieren", um eine überschießende Gerinnung zu vermeiden.

Typische Medikamente zur Blutverdünnung und ihre Einsatzgebiete

  • Medikamente zur Hemmung der Plättchenaggregation

Wirkstoffe, die das Verklumpen der Blutplättchen vermindern, heißen  Thrombozytenaggregations-Hemmer. Ihr Haupteinsatzgebiet ist die  Vorbeugung von Blutgerinnseln im Bereich der Schlagadern (Arterien).

Angebracht ist diese Behandlung bei Menschen mit einer bekannten Arteriosklerose, also einer Verkalkung der Schlagadern. Betroffen sind häufig die Herzkranzgefäße, die Gehirngefäße, die Bauch- und /oder Beingefäße.

Bei Arteriosklerose können sich an eingerissenen Plaques Blutgerinnsel bilden

Bei Arteriosklerose können sich an eingerissenen Plaques Blutgerinnsel bilden

Der verbreitetste Wirkstoff für arterielle Gefäßkrankheiten ist Acetylsalicylsäure (ASS). Das Mittel ist vor allem aus der Kopfschmerzbehandlung bekannt. Zur wirksamen Hemmung der Verklumpung von Blutplättchen sind aber im Allgemeinen mit 75 bis 100 Milligramm deutlich geringere Wirkstoffmengen notwendig als zur Schmerzbehandlung (ASS-Schmerztabletten enthalten zum Beispiel 500 Milligramm).

Weitere, häufig eingesetzte Substanzen zur Verminderung des Zusammenklebens der Blutplättchen sind Wirkstoffe wie Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor. Sie kommen vorwiegend zur Behandlung nach einem Herzinfarkt und/oder nach dem Einbringen von Gefäßstützen (Stents) in Herzkranzgefäße, Hirngefäße oder Beingefäße gemeinsam mit ASS zum Einsatz. 

Die Auswahl des Wirkstoffs und die Dauer der Behandlung legt der Arzt im Einzelfall fest. Wenn zwei der Substanzen gleichzeitig verabreicht werden, nennt man das doppelte (duale) Plättchenhemmung.

Diese wird für ein paar Wochen oder Monate durchgeführt. Langfristig ist im Allgemeinen ein Medikament ausreichend, in der Regel ASS oder Clopidogrel.

  • Hemmstoffe der plasmatischen Blutgerinnung

Lange Zeit waren Heparin und sogenannte Vitamin-K-Gegenspieler (Phenprocoumon, Warfarin) die einzigen Substanzen (Antikoagulanzien), die zur Hemmung der plasmatischen Gerinnung zur Verfügung standen. In den letzten Jahren wurden die neuen oralen Wirkstoffe Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban entwickelt (oral bedeutet: zum Einnehmen).

Noch zur Information vorab: Es gibt insgesamt 13 Gerinnungsfaktoren. Sie wurden nach der Reihenfolge ihrer Entdeckung mit römischen Ziffern durchnummeriert. Die Faktoren II, VII, IX und X werden abhängig von Vitamin K in der Leber gebildet.

Diese vier Vitamin-K-abhängigen Faktoren werden durch die Arzneistoffe Phenprocoumon und Warfarin blockiert, was die Blutgerinnung hemmt.

Heparine (sogenannte hochmolekulare sowie niedermolekulare Heparine) und die neuen oralen Hemmstoffe der Blutgerinnung blockieren vorwiegend einen einzelnen Gerinnungsfaktor: den Faktor Xa (das "a" steht wiederum für die aktive Form eines Gerinnungsfaktors; siehe Abschnitt weiter oben: "Was passiert bei der normalen Blutgerinnung?") oder das Thrombin (Faktor IIa).

Der Reihe nach:

Heparinspritzen können geschulte Patienten auch selbst anwenden

Heparinspritzen können geschulte Patienten auch selbst anwenden

Heparin: Meist als Spritzen unter die Haut

Hauptanwendungsbereich für Heparine ist die Verhütung von Thrombosen (Thromboseprophylaxe), zum Beispiel nach Operationen, Verletzungen und bei Bettlägerigkeit wegen schwerer Krankheiten. Daneben kommen sie auch bei der  Therapie nach Venenthrombosen oder Lungenembolien zum Einsatz.

Schon seit langer Zeit verwendete man den Wirkstoff Heparin zur  Vorbeugung und Behandlung von Thrombosen und Embolien. In den letzten  Jahrzehnten spielen zunehmend die sogenannten niedermolekularen Heparine eine Rolle für diese Anwendungsbereiche. Bekannte Wirkstoffe sind  Enoxaparin, Certoparin, Tinzaparin, Dalteparin, Nadroparin und Reviparin.

Sie hemmen  die Blutgerinnung, indem sie vorwiegend als Gegenspieler des aktivierten  Gerinnungsfaktors X (also des Faktors Xa) agieren (siehe oben).

Die niedermolekularen Heparine haben für viele Anwendungsbereiche  Vorteile gegenüber dem herkömmlichen Heparin. Dazu zählen eine verbesserte  Wirksamkeit, eine vereinfachte Anwendung und weniger Blutungskomplikationen. Daher haben sie das ursprüngliche Heparin über  weite Strecken ersetzt (der Einfachheit halber nennen wir sie allgemein Heparin).

Heparine entfalten ihre Wirkung kurz nachdem sie in  das Fettgewebe unter der Haut injiziert wurden ("Bauchspritzen", subkutan). Zur Vorbeugung von Thrombosen ist  einmal am Tag eine Spritze nötig, zur Behandlung einer Thrombose ein- bis zweimal  am Tag. Die Dosis pro Spritze wird je nach medizinischen Maßgaben angepasst. Sie ist bei der Thrombosevorbeugung natürlich geringer als bei der Thrombosebehandlung.

Es gibt auch Anlässe, bei denen Ärzte Heparin in eine Vene verabreichen können, zum Beispiel bei akuten  Herz-Kreislauf-Krankheiten, bei denen verschlossene Gefäße wieder  eröffnet werden (Herzinfarkt, Schlaganfall, drohender Gewebsuntergang  einer Gliedmaße).

Fondaparinux

Mit Fondaparinux steht noch ein weiterer Wirkstoff zur Vorbeugung und Behandlung von Thrombosen und Embolien zur Verfügung. Das Medikament hemmt – wie Heparin – den Faktor Xa, wird aber gentechnologisch hergestellt. Es wird einmal täglich unter die Haut gespritzt. 

Für eine dauerhafte Blutverdünnung oder eine Behandlung über längere Zeit sind jedoch Gerinnungshemmer notwendig, die der/die Betroffene in Form von Tabletten einnehmen kann. Das sind die Vitamin-K-Gegenspieler (Cumarine wie die oben schon erwähnten Substanzen Phenprocoumon und Warfarin) und die neuen (direkten) oralen Gerinnungshemmer. Diese heißen abgekürzt NOAK’s oder DOAK’s. Für einige Menschen, bei denen eine dauerhafte Blutverdünnung notwendig ist, können insbesondere Letztere eine Erleichterung des Alltags bringen.

Vitamin-K-Gegenspieler (Phenprocoumon, Warfarin)

Die Vitamin-K-Hemmer Warfarin und das in Deutschland hauptsächlich gebräuchliche Phenprocoumon sind wohl die bekanntesten Wirkstoffe zur Blutverdünnung. Schon seit den vierziger Jahren haben diese sogenannten Cumarine einen festen Stellenwert als Gerinnungshemmer in der Medizin.

Sie unterdrücken dosisabhängig die Bildung der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X in der Leber (siehe oben: "Hemmstoffe der plasmatischen Blutgerinnung").

Zugelassen sind sie für alle oben genannten Anwendungsgebiete (siehe Abschnitt: "Wann ist eine dauerhafte Blutverdünnung notwendig?" weiter oben). Dabei ist Folgendes zu beachten:

  • Die gerinnungshemmende Wirkung von Phenprocoumon und Warfarin setzt erst einige Zeit nach Beginn der Behandlung ein, wenn die vorhandenen Gerinnungsfaktoren verbraucht oder abgebaut sind und dann entsprechend weniger Nachschub aus der Leber kommt. In dieser Zeit ist ein ausreichender Thromboseschutz durch die kurzfristige gleichzeitige Gabe von Heparin oder Fondaparinux sicherzustellen. Ebenso dauert es mehrere Tage, bis nach dem Absetzen von Phenprocoumon die Gerinnungsfaktoren wieder in ihrer normalen Menge nachgebildet wurden.
  • Die Zufuhr von Vitamin K kann die Normalisierung der Gerinnungsfunktion beschleunigen, und die Zufuhr von PPSB (das heißt der vier Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren als Infusion) kann die Gerinnungshemmung unmittelbar aufheben.
  • Die Wirkung von Phenprocoumon und Warfarin muss der Arzt in regelmäßigen Abständen durch die Messung der sogenannten INR (Prothrombinzeit),  eines Blutwertes, überprüfen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Betroffene den Gerinnungswert auch selbst messen und nach einer Schulung die Dosis entsprechend anpassen.
  • Besonders Vitamin-K-haltige Nahrungsmittel können einen Einfluss auf die Wirkung von Phenprocoumon und Warfarin haben. Die Patienten sollten sich möglichst gleichmäßig über      die Woche verteilt mit Vitamin-K-reichen (grünen) Gemüsesorten  und Kräutern      wie Broccoli, Brunnenkresse, Fenchel, Grün- und  Rosenkohl, Spinat, Erbsen, Brunnenkresse, Schnittlauch versorgen.
  • Eine Vielzahl von anderen Medikamenten kann die Wirkung ebenfalls verstärken oder abschwächen.
Wird im EKG Vorhofflimmern nachgewiesen, besteht wegen der erhöhten Gefahr von Gerinnselbildungen Handlungsbedarf

Wird im EKG Vorhofflimmern nachgewiesen, besteht wegen der erhöhten Gefahr von Gerinnselbildungen Handlungsbedarf

Neue (direkte) Gerinnungshemmer zum Einnehmen

Seit wenigen Jahren stehen neue Gerinnungshemmer in Tablettenform, also orale Wirkstoffe, zur Verfügung, sie sogenannten NOAK's oder DOAK's. Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban (auch Xabane genannt) sind Hemmstoffe des aktivierten Faktor X (Xa). Dabigatran hemmt Thrombin (Faktor IIa).

Die Substanzen entfalten ihre volle Wirkung bereits wenige Stunden nach der Tabletteneinnahme, gut vergleichbar mit Heparinen und Fondaparinux, jedoch mit dem Vorteil der Einnahme als Tabletten.

Weitere Vorteile dieser Substanzen sind vor allem folgende:

  • Die Wirkung ist besser steuerbar als bei Vitamin-K-Gegenspielern. Sie beginnt rasch (wenige Stunden) nach der Einnahme des Wirkstoffs und endet ebenso rasch nach Absetzen der Behandlung.
  • Nahrungsmittel haben keinen Einfluss auf die Wirkung.
  • Es sind keine routinemäßigen Laborkontrollen zur Überprüfung der Wirksamkeit notwendig.
  • Die Häufigkeit schwerer Gehirnblutungen ist geringer.

Zugelassen sind die neuen Wirkstoffe mit entsprechender Dosierung für folgende Anwendungsgebiete:

  • Vorhofflimmern mit erhöhtem Risiko für einen Schlaganfall oder eine Embolie ohne Beteiligung der Herzklappen (alle vier aktuell verfügbaren Substanzen)
  • Thrombosevorbeugung nach Hüft- und Kniegelenkersatz (derzeit Rivaroxaban, Dabigatran, Apixaban)
  • Behandlung von tiefen Beinvenenthrombosen oder Lungenembolien

Nachteile der neuen Gerinnungshemmer im Vergleich zu den Cumarinen sind:

  • Sie bergen ein erhöhtes Risiko für eine Überdosierung und damit ein  erhöhtes Blutungsrisiko bei zunehmender Einschränkung      der Nierenfunktion (am stärksten zu  beachten bei Dabigatran), da sie alle mehr      oder weniger stark über  die Nieren ausgeschieden werden. Bei      Nierenschwäche ist die Dosis  zu reduzieren. Ausgeprägte      Nierenschwäche ist hier eine  der Gegenanzeigen, bei den Vitamin-K-Gegenspielern aber auch.
  • Sie sollen nicht in der      Schwangerschaft eingesetzt werden; aber auch bei Vitamin-K-Hemmern gelten Einschränkungen für schwangere Frauen.
  • Sie sind nicht effektiv      genug wirksam bei künstlichen mechanischen Herzklappen und dürfen hier nicht      eingesetzt werden. Vitamin-K-Hemmer sind dann die Therapie der Wahl.
  • Im Fall einer schweren oder      lebensbedrohlichen Blutung gibt es für Dabigatran ein direkt wirksames      Gegenmittel (Idarucizumab). Für die Xabane stehen globale Gerinnungsmittel      zur Verfügung (PPSB-Konzentrate), die auch im Falle einer Blutung unter Cumarinen verabreicht werden (siehe Abschnitt "Vitamin-K-Gegenspieler"). Ein spezifisch wirksames      Gegenmittel ist in der Erprobungsphase (Adexanet).

Vitamin-K-Gegenspieler oder direkte Gerinnungshemmer zur Blutverdünnung?

Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Es erscheint ratsam, eine Behandlung mit Phenprocoumon oder Warfarin weiterzuführen, bei der ohne größere Schwankungen eine stabile Gerinnungshemmung erreichbar ist. Dafür sollten mindestens 70 Prozent der gemessenen Werte im Zielbereich liegen (meistens eine INR von 2-3).

In Situationen, in denen die Einstellung mit Phenprocoumon schwierig ist, kann der Arzt unter Beachtung der Indikation und der Risikofaktoren (unter anderem Einschränkung der Nieren- oder Leberfunktion) eine Umstellung auf eine der neuen Substanzen erwägen.

Auch bei Patienten, die nur einer kurzzeitigen Antikoagulation bedürfen oder bei denen die Gerinnungshemmung häufiger unterbrochen werden muss, zum Beispiel für Polypabtragungen im Darm oder bei größeren zahnärztlichen Eingriffen, bietet sich wegen der guten Steuerbarkeit die Behandlung mit einem direkten Gerinnungshemmer an.

Was müssen Sie beachten, wenn Sie gerinnungshemmende Medikamente einnehmen?

Es ist einleuchtend, dass unter der Behandlung mit allen gerinnungshemmenden Medikamenten ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht. Im Alltag macht sich das häufig nicht sofort bemerkbar, denn die Medikamente heben ja die Blutgerinnung nicht komplett auf, sondern sie schwächen sie nur ab.

Allerdings kommt es auch unter einer korrekten Dosierung zu verstärkten oder verlängerten Blutungen bei Verletzungen.

Wenn Sie gerinnungshemmende Medikamente einnehmen, sind daher bestimmte Vorsichtsmaßnahmen wichtig:

  • Tragen Sie immer einen Ausweis in Ihrem Portemonnaie, aus dem hervorgeht, dass Sie einen Gerinnungshemmer einnehmen, was der Grund dafür ist, welcher es ist und in welcher Dosis.
  • Informieren Sie alle behandelnden Ärzte darüber, dass Sie gerinnungshemmende Medikamente einnehmen. Das ist vor allem dann wichtig, wenn Operationen, Katheteruntersuchungen, Magen-Darm-Spiegelungen oder auch Zahnbehandlungen anstehen. Unter Umständen ist vor der Behandlung eine Änderung oder gar ein Absetzen des Blutgerinnungshemmers notwendig. Darüber entscheiden die behandelnden Ärzte, auch in Absprache mit Ihrem Hausarzt.
  • Es gibt zahlreiche Medikamente, die zu einer Veränderung der Wirkung von gerinnungshemmenden Medikamenten führen, bei Phenprocoumon oder Warfarin beispielsweise mehrere Antibiotika. Einige von ihnen können das Blutungsrisiko erheblich erhöhen. Eventuell ist dann das mehrmalige kurzfristige Bestimmen des INR-Wertes oder eine Verminderung der Dosis nötig.
  • Bei      allen Blutgerinnungshemmern verstärkt die gleichzeitige  Einnahme von      entzündungshemmenden Medikamenten wie Ibuprofen,  Diclofenac oder ASS das      Blutungsrisiko.
  • Auch freiverkäufliche Medikamente können die Wirkung beeinflussen, zum Beispiel die Substanzen Gingko und Johanniskraut. Fragen Sie daher vor der Einnahme weiterer Medikamente Ihren Arzt oder Apotheker nach möglichen Wechselwirkungen und beachten Sie die Packungsbeilage.

Insbesondere bei Einnahme von Phenprocoumon oder eines neuen, direkten Gerinnungshemmers gelten folgende Hinweise:

  • Lassen Sie sich keine Spritzen in den Gesäßmuskel oder in Gelenke geben, es sei denn, die Maßnahmen erfolgen nach einer ärztlich festgelegten Behandlungspause.
  • Ändern Sie nicht ohne Rücksprache mit Ihrem Arzt die Dosis der Tabletteneinnahme (Ausnahme: Selbstmanagement der Therapie mit einem Vitamin-K-Hemmer, das heißt Selbstmessung der Blutgerinnung (INR-Werte) und eigenständige Anpassung der Medikamentendosis, ärztliche Kontrollen nach Vereinbarung).
    Sowohl eine Unterdosierung als auch eine Überdosierung einer Blutverdünnung kann schwerwiegende Folgen haben.
  • Während einer Behandlung mit blutverdünnenden Medikamenten sollte man Sportarten vermeiden, die mit einem erhöhten Verletzungsrisiko einhergehen, zum Beispiel Kontaktsportarten wie Handball oder Boxen. Das gilt insbesondere, wenn bei bestimmten Erkrankungen Kombinationen aus verschiedenen gerinnungshemmenden Medikamenten notwendig sind.
  • Wenden Sie sich unverzüglich an Ihren Arzt oder an den Rettungsdienst (Notruf: 112), wenn Sehstörungen, plötzliche Wortfindungsstörungen, Lähmungserscheinungen oder Kopfschmerzen auftreten.
  • Dasselbe gilt auch, wenn es zu spontanen, sichtbaren Blutungen kommt (ohne vorangegangene Verletzung), unter anderem Zahnfleischblutungen, stärkeres Nasenbluten, gesteigerte Regelblutungen, ein Blutabgang über den Urin oder aus dem Enddarm, und bei Blut im Auswurf. Oder wenn nach einer Verletzung eine Blutung trotz Druckverbands nicht zum Stillstand kommt.
Prof. Dr. med. Viola Hach-Wunderle

Prof. Dr. med. Viola Hach-Wunderle

Beratende Expertin: Professor Dr. med. Viola Hach-Wunderle ist Fachärztin für Innere Medizin und Gefäßkrankheiten (Angiologie). Seit 1998 lehrt sie an der medizinischen Universitätsklinik Frankfurt am Main, wo sie sich auch habilitierte, als außerordentliche Professorin für Innere Medizin. Die Gefäßspezialistin leitet das Gefäßzentrum des Krankenhauses Nordwest (Akademisches Lehrkrankenhaus) und führt eine eigene Praxis in Frankfurt. Professor Hach-Wunderle ist seit Jahren aktives Vorstandsmitglied der Hessischen Ärztekammer. Sie hat federführend die Leitlinien zur Venenthrombose und Lungenembolie bearbeitet.

Quellen für diesen Ratgeber:

1. Neue Antikoagulanzien in der Therapie des Vorhofflimmerns, Fortbildungsveranstaltung der AKdÄ in Kooperation mit der ÄK Sachsen und der KV Sachsen, Stand Oktober 2013. Online: https://www.akdae.de/Fortbildung/Vortraege/TS/2013/Neue-Antikoagulantien.pdf (Abgerufen am 15.04.2019)

2. Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin e.V.: Arterielle Erkrankungen.
Online: https://www.dga-gefaessmedizin.de/patienten/arterielle-erkrankungen.html (Abgerufen am 15.04.2019)

3. Patienteninformation des Universitätsherzzentrums Freiburg, Bad Krozingen zur Gerinnungshemmung. Stand: Mai 2012. Online: https://www.herzzentrum.de/fileadmin/mediapool/08_aufenthalt/pdf/piz_gerinnungshemmung-fact-sheet.pdf
(Abgerufen am 15.04.2019)

4. Gawaz M, Geisler T, Update orale Plättchenhemmer. In: Kardiologie 2012, 6:195-209. Online:https://leitlinien.dgk.org/files/2012_Positionspapier_Orale_Plaettchenhemmer.pdf (Abgerufen am 15.04.2019)

5. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Angiologie: Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie. AWMF-Leitlinen-Register Nr. 065/002. Online (Pocketversion): https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/065-002k_S2k_VTE_Venenthrombose-Lungenembolie_2017-04.pdf
(Abgerufen am 15.04.2019)

6. Altiok E, Marx N: Orale Antikoagulation. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 115, Heft 46, 16. Nov. 2018, 776-83. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0776

Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.