TENS: Schmerzen mit Strom behandeln
Bereits vor 4500 Jahren sollen Ägypter Strom zur Schmerzlinderung verwendet haben: Sie legten sich auf die geplagten Körperteile Fische, die kleine Stromstöße abgaben. Heutzutage verwenden Schmerztherapeuten kleine Geräte mit Hautelektroden für die Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS). Als Väter der TENS gelten die Schmerzforscher Professor Ronald Melzack und Professor Patrick Wall. In den 1960er-Jahren entwarfen sie ein neues Konzept der Schmerzwahrnehmung, die sogenannte Kontrollschrankentheorie. Diese besagt, dass ein Schmerzreiz auf dem Weg zum Gehirn im Rückenmark auf eine zweite Nervenzelle umgeschaltet wird. Dabei können sowohl vom Gehirn absteigende Nervenbahnen als auch Reize aus der Peripherie diese Schmerzweiterleitung blockieren. Ausgehend von dieser Theorie entwickelten die Wissenschaftler anschließend das TENS-Verfahren, das Reize in der Peripherie auslöst.
Wenig Aufwand und geringe Risiken
Viele Untersuchungen bescheinigen TENS eine Wirksamkeit. "Allerdings erfüllen die meisten Studien nicht die nötigen Qualitätskriterien", sagt Professor Andreas Michalsen, Leiter der Abteilung Naturheilkunde des Immanuel-Krankenhauses Berlin und Professor für Naturheilkunde an der Charité Berlin. "Die wissenschaftliche Evidenz für das Verfahren ist daher nicht gut." Dennoch kennt jeder Schmerztherapeut die Methode. Gründe für die weite Verbreitung sind die einfache Handhabung, die geringen Kosten und die Tatsache, dass TENS als wenig gefährliche und nebenwirkungsarme Methode gilt: Bei sachgerechter Anwendung wurden abgesehen von leichten Hautirritationen bisher keine Schäden durch TENS beobachtet.
Anwendung der TENS bei zahlreichen Schmerzsyndromen
"Wenn eine Schmerzminderung eintritt, fällt sie meist moderat aus", räumt Michalsen mit falschen Erwartungen auf. "Dennoch lohnt es sich, bei therapieresistenten Schmerzen einen Behandlungsversuch mit TENS zu unternehmen, als Ergänzung zur restlichen Therapie."
Als begleitende Maßnahme setzen Ärzte die Methode bei Sportverletzungen und verschiedenen Gelenkbeschwerden ein, außerdem bei Kopfschmerzen, Migräneanfällen, Tumorschmerzen, Nervenschmerzen bei Diabetes oder nach Gürtelrose, im Rahmen einer Algodystrophie (Morbus Sudeck) und bei Phantomschmerzen nach Amputationen. Ob TENS im Einzelfall eine geeignete Behandlungsmethode ist, sollte der Patient mit dem Arzt besprechen.
Eine Leitlinie zur Behandlung nach Operationen empfiehlt das Verfahren, um nach bestimmten Eingriffen Schmerzen und den Bedarf an Schmerzmitteln zu senken. Dagegen sehen die Autoren der Leitlinie "Kreuzschmerz" bei allgemeinen Kreuzschmerzen keinen Nutzen.
Wann sollte keine TENS erfolgen?
Epilepsie, psychische Erkrankungen, Schwangerschaft, Herzschrittmacher oder ein eingepflanzter Defibrillator sprechen gegen eine TENS – und auch bei Menschen mit akuten Entzündungen von Gelenken oder Organen ist von einer TENS abzusehen.
Theorie der Wirkungsweise der TENS
Hautelektroden übertragen die Stromimpulse des Gerätes auf den Körper. Der Strom reizt die im Gewebe liegenden Nerven. Diese schicken elektrische Signale zum Rückenmark, wo sich – gemäß der Kontrollschrankentheorie der Erfinder – die TENS-Wirkung entfaltet. Die Stimulation mit hohen Frequenzen (80 bis 150 Hertz) unterbricht demnach die Signalweiterleitung ins Gehirn und damit die Schmerzwahrnehmung. Niedrige TENS-Frequenzen (zwei bis vier Hertz) sollen anders wirken: Sie setzen der Theorie nach im Gehirn chemische Substanzen frei, welche die Schmerzwahrnehmung dämpfen.
Ablauf einer TENS-Behandlung
Die Geräte, wenig größer als Mobiltelefone, werden über zwei oder vier selbstklebende Elektroden mit der Haut verbunden. Deren Position richtet sich nach dem Ort der Schmerzen und deren Ausstrahlung. Auch den Verlauf von Nerven, die Lage von Schmerz- und Akupunkturpunkten sowie die auslösende Krankheit gilt es zu berücksichtigen. Die vielen möglichen Einstellungen von Stromfrequenz und -intensität erfordern eine Einweisung, bevor das Gerät zuhause zum Einsatz kommt. Mit Frequenzen zwischen 50 und 150 Hertz und mittlerer Stromstärke sollen sich akute und örtliche Schmerzen für kurze Zeit lindern lassen. Für eine längere Wirkung werden niedrige Frequenzen und eine hohe Stromstärke verwendet. Diese Form wird auch als akupunkturähnliches TENS bezeichnet, weil die Elektroden auf Akupunkturpunkte geklebt werden, und schmerzt etwas. Doch das ist die Ausnahme. Meistens spürt der Patient den Strom nur als Kribbeln. Bisweilen ziehen sich Muskeln zusammen, die sich in der Nähe der Elektroden befinden.
Jede Sitzung dauert gewöhnlich zwischen 20 und 50 Minuten, wobei mehrere Behandlungen pro Tag möglich sind. Die Zahl und Dauer hängt davon ab, wie gut das Verfahren bei einer Person wirkt und wie lange der Effekt anhält.
Kostenübernahme vorher abklären
Bei bestimmten Schmerzzuständen übernehmen gesetzliche Krankenkassen die Miete eines TENS-Geräts. Vor der Behandlung muss ein Antrag gestellt werden. Die Zuzahlung beträgt maximal zehn Euro für den gesamten Mietzeitraum. Eine erste TENS-Verordnung gilt – je nach Krankenkasse – für bis zu drei Monate. Verlängerungen sind möglich – wie in seltenen Fällen auch langfristige Verordnungen. Privatpatienten sollten die Kostenübernahme mit ihrer Kasse abklären, bevor sie ein Gerät mieten oder sogar kaufen.
Beratender Experte: Professor Dr. Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin, Inhaber der Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité-Universitätsmedizin Berlin
Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.