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Lebensstil aktiviert Migräneerkrankung

Von 2000 befragten Studenten leiden fast zwei Drittel unter Kopfschmerzen. Sehr viele nehmen Medikamente, um die Beschwerden schnell zu beseitigen und leistungsfähig zu bleiben. Vor allem die Migräne trifft zunehmend junge Erwachsene – ja sogar Kinder. Das hat eine Studie der Schmerzklinik Kiel ergeben. Deren Chefarzt Professor Hartmut Göbel überraschen diese Umfrageergebnisse nicht. „Es geht heute mit der Einschulung los und hinauf bis ins höhere Alter“, so der Kopfschmerzexperte. Natürlich hätten sich die genetischen Veranlagungen für Migräne nicht vermehrt. Aber die Krankheit werde auch durch einen Lebensstil aktiviert, der die Nervenzellen überlaste.

Wie Stress Migräneattacken begünstigt

„Alles muss ganz schnell gehen und möglichst viel auf einmal“, sagt Göbel. „Wenn man so einen Alltag lebt, wird sich eine Veranlagung entsprechend auswirken. „Kopfschmerzen sind eine unterschätzte Volkskrankheit. Mehr als zwei Drittel der Deutschen waren schon einmal betroffen, zeigt die Umfrage aus Kiel. Jeden Tag nehmen im Schnitt drei Millionen Deutsche eine Kopfschmerztablette.

Vor allem zwei Beschwerdeformen treten besonders häufig auf: der dumpf drückende Spannungskopfschmerz sowie pochende Migräneattacken. Längst nicht alle Patienten suchen sich professionelle Hilfe. Bei Spannungskopfschmerz beispielsweise gehen nur 20 Prozent der Betroffenen zum Arzt, bei der Migräne sind es circa 40 Prozent. Das hat jüngst das Robert- Koch-Institut (RKI) ermittelt. Dabei kann der Leidensdruck enorm sein. „Bei chronischen Kopfschmerzerkrankungen steigt der Anteil der Patienten, die nicht mehr voll erwerbsfähig sind“, berichtet PD Dr. Charly Gaul, Generalsekretär der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.

Warum die Psyche mitleidet

Viele Betroffene schleppen sich nur mühsam durch den Arbeitsalltag, Fehlzeiten häufen sich. 100.000 Menschen liegen jeden Tag wegen Migräne kaum ansprechbar im Bett, sagt Schmerzexperte Göbel. Das belastet auch das Familienleben, zieht Ängste und Hoffnungslosigkeit nach sich. „Chronische Kopfschmerzerkrankungen gehen sehr häufig mit psychischen Begleiterkrankungen einher“, erläutert Gaul. „Die Schmerzen können eine Depression begünstigen.“

Die Suche nach möglichen Ursachen für die Beschwerden kann sich für die Patienten kompliziert gestalten. Sie suchen Klarheit und Rat bei Hals-Nasen-Ohren- und Zahnärzten, bei Orthopäden oder Heilpraktikern – nicht selten vergebens. Denn meist handelt es sich nicht um Kopfschmerzen, denen eine andere Erkrankung zugrunde liegt. Auslöser ist nicht der kaputte Zahn oder ein Problem mit der Halswirbelsäule, sondern eine Überlastung im Gehirn.

Oft kann es schon helfen, den Alltag zu verändern – und die Häufigkeit der Attacken sinkt. Auch Vorbeugen mit Medikamenten unter ärztlicher Anleitung ist vielversprechend (siehe weiter unten). Gelegentliche Beschwerden lassen sich mit Arzneien selbst behandeln. Nimmt der Schmerzmittelgebrauch aber zu, ist Vorsicht geboten. Wer ohne Beratung von Arzt oder Apotheker handelt, dem droht unter anderem Dauerkopfschmerz.

Akut-Medikamente: Kopfschmerzmittel nicht zu häufig nutzen

Kurz vor einem wichtigen Termin dröhnt der Schädel – also schnell eine Schmerztablette schlucken, und schon ist man einsatzbereit. Wer von Zeit zu Zeit auf diese Weise Migräne oder Spannungskopfschmerz lindert, macht damit nichts falsch. „Der Löwenanteil der Migränepatienten beispielsweise hat nur ein bis zwei Attacken pro Monat. Wenn sie auf rezeptfreie Schmerzmittel ansprechen, gibt es keinen Anlass, gleich zum Arzt zu gehen“, urteilt Professor Hans-Christoph Diener, langjähriger Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen.

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Gut wirksam sind nach derzeitiger Datenlage bei leichten bis mittelschweren Kopfschmerzen Acetylsalicylsäure (ASS) und Ibuprofen. Bei Migräne hat sich ein Kombinationspräparat aus Paracetamol, ASS und Koffein als etwas wirkungsvoller erwiesen als die Einzelsubstanzen. „Bei Spannungskopfschmerz ordnen die aktuellen Therapieempfehlungen Paracetamol als Medikament der zweiten Wahl ein. Dafür weist es ein sehr günstiges Nebenwirkungsprofil auf“, sagt Apothekenleiter Dr. Arndt Stütz aus Essen. Auch Pfefferminzöl, auf die Schläfen und den Nacken aufgetragen, habe sich hier als gut wirksam erwiesen.

Triptane bei starken Beschwerden

Hat ein Arzt eine Migräne diagnostiziert, können auch rezeptfreie Triptane zur Selbstbehandlung eingesetzt werden, sofern mögliche Gegenanzeigen mit dem Arzt abgeklärt wurden. Die Wirkstoffe blockieren zum einen die Übermittlung von Schmerzsignalen im Gehirn. Zugleich führen sie dazu, dass die Blutgefäße in den Hirnhäuten, die sich während einer Attacke erweitern, normal gestellt werden. Der Pulsschlag der Gefäße, den Betroffene häufig schmerzhaft spüren, wird dann weniger stark oder nicht mehr wahrgenommen.

Bei Spannungskopfschmerz wirken Triptane allerdings nicht. Schwangere, Patienten nach einem Schlaganfall, bei koronarer Herzerkrankung oder Morbus Raynaud müssen auf Triptane verzichten. Wer die Mittel anwendet, sollte sie einnehmen, wenn sich die Kopfschmerzen gerade aufbauen.

Allerdings hat die Selbstmedikation klare Grenzen. Pro Anfall und Tag sollten es nicht mehr als drei Tabletten sein. Akut-Kopfschmerzmittel sollte man höchstens an zehn Tagen pro Monat und drei aufeinanderfolgenden Tagen einnehmen. Sonst drohen als Folge andauernde Kopfschmerzen.

Wie man Dauerkopfschmerz vermeidet

„Kerngebiete des Trigeminusnervs werden empfindlicher. Sie reagieren plötzlich auf ganz banale Reize mit Kopfschmerzen. Das geht dann in einen Dauerkopfschmerz über“, erklärt Professorin Dagny Holle- Lee vom Westdeutschen Kopfschmerzzentrum. Damit es nicht so weit kommt, empfehlen Ärzte die „10/20-Regel“: 20 Tage pro Monat ohne, höchstens 10 mit Kopfschmerzmitteln.

Wird diese Grenze überschritten oder kommt es während der Attacken etwa zu neurologischen Ausfällen, sollten Betroffene unbedingt den Hausarzt einschalten. Dieser wird gegebenenfalls an einen Facharzt überweisen.

Welchen Kopfschmerz-Typ habe ich?

Migräne:

  • Schmerz einseitig, oft im Augenbereich und an der Schläfe, pochender Schmerz
  • Aura (z.B. Sehstörungen) im Vorfeld möglich
  • Ruhebedürfnis, Übelkeit und Erbrechen
  • Licht-, Geräusch-, Geruchsempfindlichkeit
  • Dauer: 4 bis 72 Stunden
  • Körperliche Anstrengung verschlimmert die Symptome

Spannungskopfschmerz:

  • dumpf-drückender Schmerz über den ganzen Kopf
  • Helm-, Schraubstockgefühlschmerzhafte Verspannungen der Nacken, Schulter- und Kiefermuskulatur
  • Licht-, Geräusch-, Geruchsempfindlichkeit kann vorkommen
  • Dauer: zwischen 30 Minuten und 7 Tagen
  • Körperliche Anstrenung bringt keine Verschlimmerung

Wiederkehrender Schmerz: Welche Arzneien vorbeugen

Endlich Wochenende! Ausschlafen, spät frühstücken, zur Ruhe kommen. Schöner Plan – den aber schon am Samstagmorgen eine Migräneattacke vereitelt. Schlimme Schmerzen, ausgelöst durch den Wechsel des Schlafrhythmus. Expertin Holle-Lee kennt das Problem. Etwa 3000 Kopfschmerzgeplagte kommen pro Jahr in ihre Klinik in Essen.

Die Veranlagung zur Migräne liegt in den Genen. Verschiedenste Auslöser, sogenannte Trigger, können dann zur Attacke führen: etwa ein Wetterwechsel, Hormonschwankungen, Alkoholgenuss, Stress – oder eben ein Wechsel im gewohnten Tag-Nacht-Rhythmus. „Ich würde einfach versuchen, am Wochenende nicht mehr auszuschlafen“, sagt Holle-Lee.

So einfach ist die Lösung aber selten. „Ähnlich wie beim Fußball sind ganz viele Spieler auf dem Platz, die im Zusammenspiel zur Attacke führen können“, erklärt die Medizinerin. In einem ausführlichen Gespräch versuchen Arzt und Patient, mögliche Trigger zu entdecken. Vielen Betroffenen gelingt es dann bereits mit einem Verhaltenswechsel, die Häufigkeit ihrer Anfälle zu senken. Zum Beispiel können Sport oder weniger Stress dazu beitragen, dass das schmerzverarbeitende System im Gehirn weniger empfindlich reagiert.

Häufig in der Notaufnahme?

Wird der Leidensdruck zu groß, kommt auch eine vorbeugende Einnahme von Medikamenten infrage. Für Spezialist Charly Gaul, der die Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein leitet, sind hier folgende Faktoren entscheidend: Der Patient leidet zwischen acht und 14 Tagen pro Monat unter Schmerzen, sein Verbrauch an Akut-Medikamenten ist hoch oder seine Attacken sind so schwer, dass er regelmäßig die Notaufnahme aufsuchen muss.

Neurologe Diener hat an den aktuellen ärztlichen Therapieempfehlungen bei Migräne mitgearbeitet. Er geht davon aus, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung unter chronischer Migräne und 0,3 Prozent unter chronischem Spannungskopfschmerz leiden, also an mindestens 15 Tagen pro Monat Schmerzen haben. Für ihn ist dann die Behandlung mit Prophylaxe-Arzneien eine wichtige Säule der Therapie. „Langfristig sollte man aber immer versuchen, ohne Arzneimittel auszukommen.“

Eine Migräne lässt sich in erster Linie gut mit Betablockern verhindern. Da sie den Blutdruck senken und Migränepatienten oft einen niedrigen Blutdruck haben, sollten sie abends eingenommen werden. Die Dosis muss langsam gesteigert werden. Ebenso gut wie Betablocker wirken verschiedene Epilepsie- Medikamente. Eher zweite Wahl sind Antidepressiva wie Amitriptylin oder Botox-Injektionen. Spannungskopfschmerzen lassen sich im Vorfeld ebenfalls mit Antidepressiva wie Amitriptylin oder Mirtazapin vorbeugen.

Nebenwirkungen mildern

Die medikamentöse Prophylaxe sei aber mit einem großen psychischen Problem behaftet, findet Experte Diener: „Es dauert vier bis zwölf Wochen, bis man die Wirkung spürt. Nebenwirkungen wie etwa Müdigkeit oder Gewichtszunahme kommen dummerweise sofort.“ Ärzte versuchen daher, die Nebenwirkungen zu mildern. Hat ein Migränepatient zusätzlich Bluthochdruck, bietet sich ein Betablocker an. Klagt er über Schlafstörungen, könnte Flunarizin die richtige Wahl sein, denn es macht zugleich müde.

Eine neue Entwicklung macht denjenigen Hoffnung, die gängige Medikamente nicht vertragen oder bei denen diese nicht ausreichend wirken. Seit 2018 sind drei monoklonale Antikörper zugelassen zur Migränevorbeugung bei Patienten, die an mindestens vier Tagen pro Monat unter Attacken leiden. Diese Arzneien blockieren den migräneauslösenden Botenstoff CGRP im Gehirn.

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Besser als die herkömmlichen Medikamente sind sie nicht, aber sie haben weit weniger Nebenwirkungen, wie Studien zeigen. Und sie wirken häufig, wenn Patienten auf die alten Präparate nicht ansprechen. „Das ist ein Riesenfortschritt“, findet Medizinerin Holle-Lee. Patienten können sich die Antikörper einmal pro Monat selbst spritzen. Der gravierende Nachteil: Die Mittel kosten zwischen 7000 und 8500 Euro pro Jahr. Patienten, die unter chronischer Migräne leiden, müssen daher fünf gängige Medikamentenklassen ausprobiert haben, bevor die Krankenkasse die Kosten für eine Antikörpertherapie übernimmt.

Wiederkehrender Schmerz 2: Vorbeugen ohne Medikamente

„Das Gehirn von Migränepatienten ist kreativ, flink und schnell, arbeitet aber aufgrund besonderer Erbanlagen eigentlich immer an der Obergrenze seiner Leistungsfähigkeit“, sagt Schmerzmediziner Hartmut Göbel. Ein Wechsel der eigenen Verhaltensweisen kann bereits vor Überlastung schützen. Auch Spannungskopfschmerzen lassen sich so verhindern.

Ernährung: Schon eine regelmäßige Nahrungsaufnahme kann bei Migräne helfen, um einer Fehlfunktion der Nervenzellen vorzubeugen. „Die meisten Attacken kommen am frühen Morgen, weil das Energiedefizit in den Nervenzellen nach der Nacht am größten ist“, erklärt Göbel. Er empfiehlt, täglich zu frühstücken, vor 13 Uhr Mittag zu essen, damit der Blutzuckerspiegel nicht zu sehr absinkt, und das Abendessen immer zur gleichen Zeit.

Ruhephasen: Ausreichend Schlaf ist vonnöten,damit sich das Nervensystem erholen kann. Aus dem gleichen Grund sollte man auch tagsüber Pausen einlegen. Regelmäßigkeit und ein fester Zeittakt können dabei helfen, Attacken zu vermeiden. „Wenn ich Stop-and-go fahre, brauche ich auch mehr Sprit, als wenn ich gleichmäßig 80 fahre“, sagt Göbel.

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Ausdauersport: Er hilft sowohl vorbeugend gegen Spannungskopfschmerz als auch bei Migräne. „Wahrscheinlich, weil die Empfindlichkeit des schmerzverarbeitenden Systems heruntergeht“, erklärt Neurologin Holle-Lee. Das Schmerzempfinden kann sich ähnlich wie die Körpertemperatur verstellen, sodass man überempfindlich auf Reize reagiert. Normalisiert sich die Schmerzschwelle, bringen die üblichen Trigger das Fass nicht mehr zum Überlaufen.

Entspannungsverfahren: Sie wirken sich sowohl bei Migräne als auch bei Spannungskopfschmerzen beruhigend auf das gesamte Gehirn aus. Besonders die Muskelrelaxation nach Jacobson hat sich in Studien als wirksam erwiesen.

Akupunktur: Eine chinesische Studie scheint zu belegen, dass die Nadelstiche Migräneattacken ähnlich gut verhindern wie Medikamente. Holle-Lee bezweifelt zwar die Aussagekraft der Studie, kommt aber zu dem Schluss: „Wenn Patienten der Akupunktur positiv gegenüberstehen, können sie das gern ausprobieren.“