Mangelware Pflege
„Leider können wir keine neuen Kunden mehr annehmen!“ Eine solche Absage durch einen Pflegedienst ist kein Einzelfall mehr. Eine aktuelle Umfrage des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) zeigt, dass 89 Prozent der rund 230 befragten ambulanten Pflegedienste im letzten halben Jahr Neukunden abgelehnt haben. Auch wenn Bestandskunden Leistungen aufstocken wollten, mussten die Dienste in fast jedem dritten Fall eine Absage erteilen. Woran liegt das?
Pflege ist teurer geworden
„Immer mehr Menschen werden zu Hause gepflegt“, erklärt Annemarie Fajardo, Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats in Berlin. Das liegt am demografischen Wandel, aber auch an den Erfahrungen in der Corona-Zeit. Viele wollen auf keinen Fall ins Heim. Gleichzeitig ist die Zahl der Anbieter gesunken. „In den letzten Monaten mussten immer mehr Pflegedienste schließen, weil sie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren oder sogar insolvent wurden“, erklärt Fajardo.
Ein wichtiger Grund dafür ist das sogenannte Tariftreuegesetz: Seit September 2022 sind Pflegedienste verpflichtet, ihrem Personal einen tarifähnlichen Lohn zu zahlen. Das ist gut für die Pflegekräfte, die besser bezahlt werden, macht die Leistungen aber auch teurer. „Dadurch sind die Kosten für das Personal durchschnittlich um etwa 30 Prozent gestiegen“, so die Einschätzung von Fajardo.
Die Rechnung geht nicht auf
Die Bezahlung, die die Pflegedienste für ihre Leistungen abrechnen dürfen, ist jedoch nur wenig höher als vorher. „Vor allem die teuren, hoch qualifizierten Pflegekräfte, die eine anspruchsvolle medizinische Versorgung leisten, können oft nicht mehr finanziert werden“, sagt Fajardo. Soll eine solche Fachkraft beispielsweise eine großflächige Wunde versorgen, braucht sie dafür manchmal eineinhalb Stunden. Das kostet den Pflegedienst inklusive aller Nebenkosten teilweise mehr als 45 Euro.
Von der Kasse erhält der Dienst dafür aber eine Pauschale von weniger als 30 Euro. Klar, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Dazu kommt noch die Inflation. So müssen Pflegedienste etwa für Benzin, Strom und Verbrauchsmaterial viel mehr zahlen als früher. Auch spüren die Dienste den Fachkräftemangel. „Die meisten Anbieter haben sehr große Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden“, erklärt Fajardo.
Oft nur Basisversorgung
Wie in jedem Beruf gibt es auch in der Pflege unterschiedliche Formen der Ausbildung und spezielle Zusatzqualifikationen. Einfachere Tätigkeiten wie Duschen oder Zähneputzen dürfen alle Pflegekräfte ausführen. Doch für komplexe medizinische Leistungen braucht man speziell geschultes Fachpersonal – und das ist nicht nur teuer geworden, sondern inzwischen auch kaum noch zu finden. Deshalb können viele Pflegedienste neuen Kunden oft nur eine einfache Basisversorgung anbieten – für die Versorgung komplexer Fälle fehlt ihnen meistens das Personal.
Leidtragende seien daher „vor allem die stark pflegebedürftigen Menschen, die eine hoch spezialisierte Pflege brauchen“, berichtet Fajardo. Damit sich dies ändert, fordert die Expertin mehr Zeit und Geld für die Pflege, eine Abschaffung der Pauschalen und weniger Bürokratie.
Quellen:
- Gemeinsame Pressemitteilung von Diakonie Deutschland und Deutscher Evangelischer Verband für Altenarbeit und Pflege e.V.: Umfrage von Diakonie und DEVAP: Vier von fünf Pflegeeinrichtungen müssen Angebote einschränken – 89 Prozent der Pflegedienste mussten bereits neue Pflegekunden ablehnen. Pressemitteilung: https://www.diakonie.de/... (Abgerufen am 07.07.2023)