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Anmerkung der Redaktion: Dieser Kommentar unseres Kollegen Kai Kindt wurde Ende Dezember 2021 veröffentlicht. Die Arbeitssituation in der Pflege hat sich bis jetzt – Ende März 2022 – nicht wesentlich geändert. Die im Kommentar erwähnten Pflege-Boni wurden aber zwischenzeitlich vom Bundeskabinett beschlossen.

Es klingt großzügig, es sind Ankündigungen nach dem Motto: „Wir haben verstanden.“ Eine Milliarde Euro steuerfreie Boni stellt der künftige Bundeskanzler Olaf Scholz den Pflegekräften der Republik in Aussicht. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig will eine Prämie von 5000 Euro ausloben, um unter anderem ausgestiegene Fachkräfte in den Beruf zurückzulocken. Klaus Holotschek, Gesundheitsminister von Bayern, spricht davon, den Beschäftigten auf Intensivstationen für einige Monate das Gehalt zu verdoppeln.

Sie erreichen den Autor per Mail: k.klindt@wubv.de

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All das ist richtig. Pflegekräfte sind – gemessen an ihrer Qualifikation und Verantwortung, an ihrer seelischen wie körperlichen Belastung – klar unterbezahlt. Die Vorschläge und Versprechungen, die in diesen Wochen durch die Medien geistern, sind aber kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Zum einen sind eine Millarde Euro wenig für eine Berufsgruppe, in der es rund 1,7 Millionen Beschäftigte gibt. Zum anderen geht es hier um einmalige oder befristete Maßnahmen, deren Wirkung schnell verpuffen dürfte. Wenig erfolgversprechend ist auch das Instrument der Prämie für (Wieder-)Einsteiger: Seit vielen Jahren werben Krankenhäuser mit „Willkommensprämien“ von oft mehreren tausend Euro um Personal, ohne dass sich dadurch die Lage des Berufs verbessert hätte.

Mehr Geld ist zu wenig

Vor allem aber zeugt die Idee, die Probleme der Pflege mit einer Geldspritze lösen zu wollen, von einem großen Missverständnis. Ein höheres Gehalt steht für viele Pflegekräfte an zweiter Stelle der Wunschliste. Was dagegen wirklich drängt, sind die Verhältnisse, unter denen die Pflegenden alte, kranke und hilfsbedürftige Menschen versorgen. Es sind Arbeitsbedingungen, wie sie in vielen anderen Branchen wohl nie akzeptiert würden.

Das beginnt mit scheinbar kleinen Dingen. Es gibt Einrichtungen, die keine Umkleide haben – das Personal wechselt die Kleidung im Abstellraum oder in der Toilette. Oft ist es schwierig bis unmöglich, die Pausen zu nehmen, die das Arbeitszeitgesetz vorschreibt. Immer wieder müssen Pflegende ihre Arbeit am Bett unterbrechen, weil Patienten in einem anderen Krankenzimmer um Hilfe klingeln. Pflegekräfte im ambulanten Dienst arbeiten häufig mit der Uhr im Nacken – die Einsätze sind eng getaktet und nehmen keine Rücksicht auf die Tagesform der oft älteren Kunden.

Hinzu kommen die Folgen des chronischen Personalmangels in nahezu allen Bereichen der Pflege. Die Corona-Pandemie hat die Misere verschärft. Pflegende berichten, sie müssten ständig damit rechnen, als Helfer in der Not angerufen zu werden: am freien Wochenende, im Urlaub, manchmal schon auf dem Heimweg von der Schicht.

Personalnot erzeugt noch mehr Personalnot

Wer kann sich solche Belastungen auf Dauer zumuten? Pflegekräfte über 50 – allein in der ambulanten Pflege liegt ihr Anteil bei rund 40 Prozent – sind oft am Rand ihrer Kräfte. In Heimen und Kliniken wird es mitunter schwierig, Kolleg:innen zu finden, die noch den Nachtdienst übernehmen können. Gut die Hälfte des Pflegepersonals arbeitet in Teilzeit. Das wird gern damit erklärt, dass mehr als 80 Prozent der Pflegenden weiblich sind, bleiben doch Haushalt und Familie nach wie vor überwiegend an den Frauen hängen.

Aber für den Anstieg der Teilzeitquote gibt es einen zweiten Grund. Viele packen einen Vollzeitjob in der Pflege schlicht nicht oder nicht mehr. Hinter vorgehaltener Hand gibt mancher Heimleiter zu, dass es kaum zu schaffen sei, über 38 oder 40 Stunden pro Woche beispielsweise Menschen mit fortgeschritttener Demenz zu betreuen. Die Corona-Krise könnte den Trend zur Teilzeit verstärken. Nicht wenige Pflegekräfte – vor allem auf den Intensivstationen – haben ihre Arbeitszeit nach den Zumutungen der ersten Wellen der Pandemie reduziert, vermuten Expert:innen.

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#RettetDiePflege

Schon vor der Corona-Pandemie waren die Arbeitsbedingungen für Pflegende in Deutschland schlecht. Das alles hat sich in den vergangenen zwei Jahren noch deutlich verschärft. zum Artikel

Von den Fluglotsen lernen

Es wird höchste Zeit, diese Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen: Was der Pflege tatsächlich helfen würde, ist eine Arbeitszeitreduktion bei (mindestens) vollem Lohnausgleich. Wie man Verhältnisse schafft, die einem Beruf mit großer Verantwortung Rechnung tragen, zeigt das Beispiel der Fluglotsen: Verkürzte Arbeitswoche, alle zwei bis drei Stunden eine Pflichtpause von einer halben Stunde (als Arbeitszeit!), extra Kuren und Urlaubstage, Rente mit 55. Es mag zwar utopisch klingen, ist aber keineswegs vermessen, wenn sich etwa Pflegekräfte auf Intensivstationen an diesem Maßstab orientieren. Die Pflicht zur bezahlten Pause wäre schon mal ein guter Anfang.

Bessere Arbeitsbedingungen plus mehr Personal: Diese Formel würden das Potenzial freisetzen, das in der Pflege steckt. Denn auch das belastet viele Pflegekräfte: Sie können vielfach nicht so arbeiten, wie sie es gelernt haben. In der Ausbildung, die in Deutschland schon jetzt ein hohes Niveau hat, geht es nicht nur darum, kranke und pflegebedürftige Menschen fachkundig zu versorgen, sondern auch um Beratung und Anleitung, um Prävention – auch darum, Pflegebedürftigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen oder zu lindern.

Die ganze Gesellschaft – auch die, die im Augenblick gesund sind – würde gewinnen, wenn die professionelle Pflege ihre Möglichkeiten endlich ausspielen könnte. Es wäre nicht zuletzt ein Stoff, aus dem gute Nachrichten entstehen. Längst sind es viele Pflegekräfte leid, dass über ihren Beruf nur noch im Katastrophenmodus berichtet wird, sie sehen in ihrer Aufgabe trotz allem einen Traumjob. Die schönen Seiten, dazu gehören Szenen von berührender Dankbarkeit der Patient:innen, finden in der öffentlichen Wahrnehmung keinen Raum.

Die halbherzige Pflegepolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte hat an der Last der Beschäftigten kaum etwas geändert. Die Politik muss jetzt glaubhaft machen, dass sie nicht nur Corona-Prämien zahlen will, sondern die Lage des Berufs nachhaltig verbessert. Dies wäre auch ein wichtiges Signal an die Auszubildenden in den Pflegeschulen: Dass sie sicher sein können, einen Beruf fürs Leben gewählt zu haben.