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Die Leere ist schwer auszuhalten. Gespenstisch still ist es auf dem langen Flur, jeder Schritt quietscht auf dem Boden, jedes Wort hallt von den Wänden. Hinter den Türen, die rechts und links vom Gang abgehen, liegen Zimmer mit leeren Betten. Mehr als 50 sind es an diesem Tag im Januar 2023 insgesamt. Und fast jeden Tag melden sich Menschen, die gerne dort einziehen würden oder einen Platz für ihre Angehörigen suchen – für den dementen Vater, die Oma mit dem Schlaganfall, die Tante, die sich nach einem Sturz nicht mehr selbst versorgen kann. „Wir haben 10 bis 20 Anfragen pro Woche“, sagt Joachim Knollmann, „aber wir müssen ständig absagen.“

Existenzbedrohende Lage

Knollmann ist der Geschäftsführer des Seniorenzentrums Bethel in Bad Oeynhausen, einem Städtchen in Nordrhein-Westfalen. Rund 260 Menschen werden im Heim aktuell versorgt, vom betreuten Wohnen bis hin zur stationären Pflege. Das Haus ist hell, freundlich und modern, es gibt ein Café, einen Kindergarten, viele ehrenamtliche Helfende und einen Park, in dem zwei drollige Alpakas grasen. Noch mehr Menschen könnten hier ein Zuhause finden, an Platz und Zimmern mangelt es in Bethel nicht. An Pflegekräften dafür umso mehr.

In den letzten Jahren hat Heimleiter Knollmann so ziemlich alles versucht, um das zu ändern. Er hat Werbung geschaltet, eine Einstiegsprämie von 5000 Euro eingeführt, Plakate aufgehängt, beim Arbeitsamt vorgesprochen, sich in der Lokalpolitik engagiert, Zeitarbeitsfirmen abgeklappert, einen Brief an den Gesundheitsminister geschrieben, über die Medien die Öffentlichkeit gesucht – und zuletzt eine Firma beauftragt, die Pflegefachkräfte aus dem Ausland vermittelt. „Das ist unsere letzte Chance.“

Tatsächlich ist die Lage für seine Einrichtung mittlerweile existenzbedrohend: Von 187 Betten in der stationären Pflege sind nur 135 belegt, ein Neubau für 15 Millionen Euro steht ungenutzt herum. Obwohl die Warteliste überquillt, ist ein wirtschaftlicher Betrieb so kaum möglich – pro nicht belegtem Bett fehlen etwa 3000 Euro monatlich. Doch die Heimaufsicht hat ein Belegungsverbot verhängt, weil der Betreuungsschlüssel in Bethel nicht mehr passt.

265 Tage

So lange dauert es im Schnitt, bis eine offene Stelle in der Altenpflege wieder besetzt ist. Der Durchschnitt für alle Berufe liegt bei 145 Tagen.

Mehr als 200.000

So viele ausländische Pflegekräfte arbeiten in Deutschland, davon rund 120.000 aus Staaten außerhalb der EU. Auch etwa 15.000 Menschen aus Asyl-Staaten sind in der Pflege tätig – viele sind 2015 als Geflüchtete nach Deutschland gekommen, so der Mediendienst Integration.

500.000

Laut Prognosen werden 2030 eine halbe Million Pflegekräfte in Deutschland fehlen. Allein für die Altenpflege gehen Schätzungen von 182 000 fehlenden Profis aus.

Rund 5 Millionen

So hoch ist die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland (Stand Ende 2021). 2035 werden es laut Statistischem Bundesamt circa 5,6 Millionen sein. Das entspricht einem Zuwachs von etwa 14 %.

Hoffnung auf Pflegekräfte aus dem Ausland

Die sogenannte Fachkräftequote schreibt vor, dass mindestens die Hälfte der Belegschaft aus Pflegefachkräften mit abgeschlossener Ausbildung bestehen muss. Nur sie dürfen Medikamente verabreichen, Wunden versorgen oder die Dokumentation machen. Erst wenn wieder mehr solcher Fachkräfte da sind, können neue Bewohne­rinnen und Bewohner einziehen. Mindestens zehn zusätzliche Personen bräuchte Knollmann, um das Heim voll auszulasten. Er schüttelt resigniert den Kopf: „Wo soll ich die finden?“

500 Kilometer weiter südlich und zehn Monate zuvor ist er noch optimistischer. Da sitzt er mit seiner Kollegin Tanja Moysig im Frühstücksraum eines Hotels in Enzklösterle im Schwarzwald. Die Stimmung ist aufgekratzt, schwankt zwischen Neugier, Skepsis und Hoffnung. Gleich werden die beiden Bewerbungsgespräche führen – mit jungen, motivierten, gut ausgebildeten Pflegekräften aus dem Ausland. Eine Firma namens Becon hat das Treffen arrangiert. Sie wurde dem Heim empfohlen, ihre Website macht einen seriösen Eindruck, der bisherige Kontakt war nett. „Wir haben keine Alternativen mehr, also probieren wir das jetzt aus“, sagt Moysig, die sich in Bethel um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert.

Der Personaldienstleister Becon ist da­rauf spezialisiert, Fachkräfte aus Dritt­staaten nach Deutschland zu holen, also aus Ländern außerhalb der EU. Die meisten kommen aus Albanien, Serbien oder dem Kosovo. Das Konzept ist einfach: Interessierte Fachkräfte werden in ihren Heimatländern über Werbung und soziale Medien angesprochen, lernen in einem Sprachkurs ein wenig Deutsch und treffen anschließend potenzielle Arbeitgeber in Deutschland – online oder vor Ort. Kommen beide Seiten zusammen, wickelt die Firma den Papierkram ab, vom Visum bis zur Anerkennung der Ausbildung.

Hoffnungsschimmer im Schwarzwald

Becon-Geschäftsführerin Corinna Bender begrüßt die Gäste aus Bad Oeynhausen mit einem breiten Lächeln. Sie hat ins Schulungszentrum der Firma eingeladen und ist optimistisch, die offenen Stellen besetzen zu können. Anfangs ist die Stimmung noch freundlich, kippt dann aber schnell: Das Gebäude im Schwarzwald entpuppt sich als heruntergekommener Landgasthof, das Internet rumpelt und die Kandidatinnen und Kandidaten versinken unsicher in ihren Stühlen. Zwischen ausgestopften Eichhörnchen und Wildschweinköpfen vergehen quälende Minuten, Chaos statt Kennenlernen. Die einen schauen betreten zu Boden, die anderen hantieren hektisch mit Routern und Laptops herum.

Umsonst: Weder die Präsentation zur Vorstellung des Pflegeheims noch die Videoverbindung mit Pflegedienstleiter Maik Detert aus Bad Oeynhausen läuft stabil. Am Ende werden die Gespräche in ein Hinterzimmer verlegt. Kabel hängen aus der Wand, alte Bürostühle ächzen, ein klobiges Telefon in der Ecke wird auf Lautsprecher geschaltet, damit Detert mithören und den Bewerberinnen und Bewerbern wenigstens ein paar Fragen stellen kann.

Die immerhin machen einen guten Eindruck: Zwar ist das Deutsch, mit dem sie von ihrer Ausbildung, ihren Zielen, ihrer Lebenssituation und ihren Familien erzählen, sehr holprig. Aber die meisten wirken aufgeschlossen, haben viel Berufserfahrung, gute Lebensläufe und viel Motivation.

Qualifizierte Fachkräfte

Da ist zum Beispiel Valentina, 30, aus dem Kosovo, die sechs Jahre Klinikerfahrung hat und während der Pandemie auf einer Covidstation gearbeitet hat. Sie hat ein sechs Monate altes Kind, das sie später nachholen will. „Und das würden Sie wirklich alleinlassen?“, fragt Moysig ungläubig nach. Die junge Frau nickt entschlossen: „Ich will mir etwas aufbauen in Deutschland.“

Da ist Achmed, 22, aus Serbien, der in der neurologischen Abteilung einer Klinik angestellt ist. „Ich kann Kanülen legen, Blutdruck messen, Spritzen setzen, Blutzucker bestimmen“, zählt er auf. „Wissen Sie denn, was Altenpflege bedeutet?“, fragt Maik Detert. Achmed lacht: „Klar, das kann ich auch.“ Da ist Klaudia, 22, aus Albanien, die einen Bachelorabschluss hat. Sie starrt schüchtern auf ihre Sneaker, doch ihre Stimme ist fest, als sie sagt: „Ich will wirklich sehr gerne bei Ihnen arbeiten.“ Die Worte wirken auswendig gelernt, das Anliegen aber echt.

Das Dilemma der Arbeitskräfteabwerbung

Als Knollmann und Moysig in einer kurzen Pause vor dem Gebäude in der Sonne stehen, wirken sie sichtlich angefasst. Die miese Organisation macht sie fassungslos, die menschlichen Schicksale noch mehr. Auf einmal stecken sie mittendrin in einem moralischen Dilemma: Darf man einem anderen Land qualifizierte Arbeitskräfte wegnehmen? Ist es vertretbar, dafür ganze Familien zu zerreißen? Ist das nicht moderner Menschenhandel? „Irgendwie fühlt sich das alles nicht richtig an“, murmelt Knollmann und seufzt ein Wölkchen in die kalte Märzmorgenluft.

Andererseits: Die Menschen, mit denen sie den Vormittag über gesprochen haben, sind auf der Suche nach einer besseren Zukunft, haben Ziele und Träume. In Albanien verdient eine ausgebildete Krankenschwester etwa 600 Euro im Monat, im Kosovo sind es 400. Und in Bethel? Bis zu 4000 Euro – plus Prämien, Bonusprogramme, Kinderbetreuung und E-Bike. „Die Arbeitsbedingungen und Löhne in Deutschland sind für viele Menschen aus der Balkanregion attraktiv“, sagt Becon-Geschäftsführerin Bender, die Wert darauf legt, dass für die Pflegekräfte bei der Vermittlung keine Kosten entstehen. Die dafür fällige Gebühr übernehmen die Heime und Kliniken, rund 8000 Euro pro geglückter Vermittlung.

Am Ende der Vorstellungsrunde sind die Gefühle gemischt. Mit einem Stapel Lebensläufe in der Tasche verabschieden sich Knollmann und Moysig. Der Ton ist weniger herzlich als zu Beginn, aber zur Wahrheit gehört auch: Es braucht keine schicke Adresse, kein Highspeed-Internet und nicht mal nette Floskeln, wenn die Abhängigkeiten so offensichtlich sind. Bethel braucht Pflegekräfte, Becon hat sie. Bender entschuldigt sich trotzdem für die technischen Probleme, schüttelt fleißig Hände: „Wenn Sie sich schnell entscheiden, können die Ersten im Juli anfangen“, versichert sie.

Heimsterben in Deutschland

658 Insolvenzen und 152 Schließungen in der Altenpflege im Jahr 2023 – so lautet die Bilanz des Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP). Mitte Januar 2024 hat er eine Deutschlandkarte veröffentlicht, auf der alle betroffenen Einrichtungen und Dienste kennzeichnet sind.

Insolvenzen

Insgesamt mussten 247 stationäre Pflegeeinrichtungen wegen Insolvenz schließen. Daneben waren 143 ambulante Angebote betroffen und 183 Senioren-WGs und Häuser für betreutes Wohnen. Zusätzlich wurden 85 Tagespflegeinrichtungen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit geschlossen.

Schließungen

Wegen des akuten Pflegenotstands kam es nicht nur zu Schließungen in den verschiedenen Pflegebereichen, es mussten zudem Verträge mit ambulanten Diensten aufgekündigt werden. Ebenso gibt es Pflegedienste, die keine neuen Patienten und Patientinnen mehr aufnehmen können. Diese sind auch auf der Deutschland-Karte ersichtlich.

Die Versuche der Politik scheitern

In den 2030er-Jahren könnten in Deutsch­land nach verschiedenen Berechnungen etwa eine halbe Million Pflegekräfte fehlen. Dass sich diese Lücke ohne Pflegekräfte aus dem Ausland nicht füllen lassen wird, ist der Politik seit vielen Jahren klar. Sie versucht, über Vermittlungsabsprachen und Kooperationen Menschen außerhalb der Europäischen Union für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen ­– aus Indien, Indonesien, Mexiko, Brasilien oder Jordanien. Die Bürokratie wurde dafür etwas vereinfacht, Anerkennungsverfahren beschleunigt.

Die Zahlen sind dennoch ernüchternd: Laut Bundesgesundheitsministerium sind 2022 auf diesem Weg nur 656 ausländische Pflegekräfte nach Deutschland gekommen. Private Vermittler wie Becon tauchen in dieser Statistik zwar nicht auf, weil es keine offiziellen Zahlen aus der Branche gibt. So oder so häufen sich aber kritische Stimmen. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, etwa sagte gegenüber dem Fernsehsender „N-TV“: „Die Versuche der Politik, Arbeitskräfte von außerhalb Europas zu gewinnen, sind bisher kläglich gescheitert, weil man die Hürden zu hoch setzt.“

Hürden für private Vermittler

Von diesen Hürden kann Knollmann ein Lied singen. Sieben Kandidatinnen hat er aus den zwölf Gesprächen in Enzklösterle ausgewählt – doch danach passierte monatelang so gut wie nichts. Die Firma ist auf einmal schwierig zu erreichen, Mails bleiben oft tagelang unbeantwortet, der Papierkram läuft nur schleppend, die Aussagen bleiben vage. Als man sich Ende Juni zu einer zweiten Bewerbungsrunde trifft, sind die Fronten verhärtet. Dass diesmal nur fünf Bewerberinnen vor Ort sind und zwei davon abwinken, als sie erfahren, dass sie nicht in einem Krankenhaus, sondern in der Altenpflege arbeiten sollen, macht die Sache nicht besser. „Das ist derart unprofessionell, dass es mich sprachlos macht“, schimpft Moysig. Knollmann hingegen wirkt müde und resigniert.

Becon-Mitarbeiter Kevin Villanova versucht, die Wogen etwas zu glätten: „Wir sind dran“, versichert er, „aber die Zusammenarbeit mit den Behörden in Nordrhein-Westfalen ist schwieriger als in Baden-Württemberg. Und manchmal ist es sehr kompliziert, fehlende Dokumente in den Herkunftsländern zu beschaffen.“ Ob Ausrede oder nicht, Villanova hat einen Punkt: Jedes Bundesland kocht in der Sache sein eigenes Süppchen, der bürokratische Aufwand ist enorm.

Verzögerungen und Frustrationen

Auch nach dem Treffen im Juni passiert sehr lange nichts. Die Monate vergehen, die Laune sinkt, der Ton in den Mails wird schärfer, nichts geht voran: Mal fehlt ein Formular, mal ist eine Sachbearbeiterin im Urlaub, mal eine andere Stelle zuständig. „Die lassen uns völlig in der Luft hängen“, sagt Moysig. Der Juli, in dem die ersten Kräfte hätten eintreffen sollen, zieht vorüber. Der restliche Sommer ebenso. Ernüchterung: Haben die uns etwa gelinkt?

Und dann, als in Bad Oeynhausen schon niemand mehr richtig daran glaubt, steht im Oktober auf einmal Vjolica Kurti vor der Tür – eine Kandidatin aus der ersten Runde. Die 41-jährige Kosovarin ist gelernte Krankenschwester. „Ich habe selbst nicht mehr daran geglaubt, dass es noch klappt“, sagt sie. Offenbar wurde nicht nur das Heim, sondern auch die Kandidatinnen immer wieder vertröstet.

Ankunft erster Kanditatinnen

Ein paar Wochen später treffen auch die Albanerinnen Enisa Mahmuti, 24, und Klaudia Haxhiu, 23, ein. Alle drei wohnen erst mal vor Ort, das Heim hat ihnen Zimmer hergerichtet und frisch möbliert, den Kühlschrank in der Küche gefüllt, Pflanzen aufgestellt. Sie sollen gut ankommen, sich wohlfühlen.

Die drei schlagen sich gut. Sie sind kompetent, fleißig, lernbegierig. Nur ihr Sprachlevel entspricht nicht dem, was abgemacht war: B1-Niveau. Nun zahlt das Heim teure Deutschkurse, die Anerkennung verzögert sich weiter. Bis dahin können die gelernten Krankenschwestern nur als Pflegehelfe­rinnen arbeiten: Essen servieren, beim Aufstehen, Waschen und Anziehen helfen, Toilettenbegleitung. Mit ihrer Freundlichkeit kommen sie im Alltag weit: ein Lächeln hier, ein Händedruck dort, mal eine kleine Umarmung. Für die Bürokratie aber reicht das nicht. Und die Betten im Heim stehen weiterhin leer.

Die Tage der drei Frauen sind voll. Um halb sechs Uhr morgens beginnt die Frühschicht, nach der Mittagspause stehen fünf Stunden Deutschkurs auf dem Programm. Erst gegen 20 Uhr haben sie Feierabend. Dann sprechen sie mit ihren Familien, surfen im Internet, schauen Fernsehen, reden oder backen Fli, eine Art albanische Quiche. „Das hilft gegen Heimweh“, sagt Vjolica Kurti.

Dolmetscherin, Psychologin, Lotsin

Das findet auch Sultone Rexhepaj aus dem Kosovo, die schon seit sieben Jahren in Bethel arbeitet. Eigentlich hilft sie in der Küche, doch seit die drei neuen Frauen da sind, ist sie auch Dolmetscherin, Psychologin, Lotsin: Sie ist da, sie hört zu, verteilt je nach Bedarf Ratschläge oder Umarmungen. „Ich habe ja schon alles hinter mir, was noch vor ihnen liegt. Also kann ich helfen.“ Wie wichtig das ist, blitzt durch, wenn die Frauen über ihre Heimat reden. Besonders bei Klaudia, der jüngsten, kommen dann schnell die Tränen. Alle hier haben für das Neugewonnene auch etwas aufgegeben. Mag sein, dass es in der Heimat wenig Perspektiven gibt. Aber Familie und Freunde sind trotzdem dort.

„Alle drei sind großartig“, sagt Pflegedienstleiter Maik Detert, dem sehr daran gelegen ist, dass seine neuen Mitarbeiterinnen gut ankommen. Das Heim unterstützt sie nicht nur beim Deutschlernen, sondern auch bei der Suche nach einer Wohnung und im Alltag. „Tatsächlich ist es eine Sache, Pflegekräfte ins Land zu locken. Aber eine andere, sie auch zu behalten.“

Konkurrenzkampf in der Pflegebranche

Der Pflegenotstand hat in der Branche zu einem erbitterten Konkurrenzkampf geführt, Abwerbungen sind an der Tagesordnung. Kliniken und Heime überbieten sich gegenseitig mit außertariflichen Zulagen und Zusatzprämien. Die Frauen in Bethel sind gelernte Krankenschwestern. Gut möglich, dass es sie irgendwann von der Altenpflege wieder zurück in die Klinik zieht, wo sie mehr verdienen können. Hinzu kommt, dass es nicht nur in Deutschland alte Menschen gibt, die gepflegt werden müssen. Und andere Länder sind für viele attraktiver: leichtere Sprache, besseres Wetter, weniger Bürokratie. Vjolica Kurti zieht einen Ordner aus dem Regal, gefüllt mit Papieren. Examen, Zeugnisse, Noten, Zertifikate. Sie ist exzellent ausgebildet – und frustriert, dass sie trotzdem nicht gleich loslegen kann mit der Arbeit.

In Bethel hoffen sie, dass auch die restlichen vier Pflegekräfte noch kommen. Aber so schnell wie erhofft wird das nichts. Das Vertrauen zu Becon ist dahin, man wird nicht weiter miteinander arbeiten. Knollmann ist mit anderen Agenturen im Gespräch: Eine vermittelt Pflegekräfte von den Philippinen, eine aus Rumänien.

Pflegedienstleiter Detert hat ein gutes Gefühl, der neue Dienstleister wirkt auf ihn zuverlässiger: „Und Rumänien ist in der EU, das macht vieles einfacher.“ Können sie vielleicht schon nächstes Jahr wieder alle Betten belegen? Joachim Knollmann ist skeptisch, denn aus den vergangenen Monaten bleibt für ihn eine Erkenntnis: „Manche Versprechungen sind noch leerer als die Zimmer in meinem Heim.“


Quellen:

  • Statistisches Bundesamt: Pflegevorausberechnung: 1,8 Millionen mehr Pflegebedürftige bis zum Jahr 2055 zu erwarten. Pressemitteilung: https://www.destatis.de/... (Abgerufen am 27.04.2023)
  • Statista/Institut der deutschen Wirtschaft Köln: Prognostizierter Bedarf an stationären und ambulanten Pflegekräften* in Deutschland bis zum Jahr 2035. https://de.statista.com/... (Abgerufen am 27.04.2023)
  • Kuratorium Deutsche Altershilfe KDA: Zahlen, Daten, Fakten zur Pflege und zu Pflegekräften. https://kda.de/... (Abgerufen am 27.04.2023)
  • Bundesagentur für Arbeit: Gemeldete Arbeitsstellen - Deutschland (Monatszahlen). https://statistik.arbeitsagentur.de/... (Abgerufen am 27.04.2023)
  • Mediendienst Integration: Factsheet: Zuwanderung von Pflegekräften und Ärztinnen & Ärzten. https://mediendienst-integration.de/... (Abgerufen am 27.04.2023)
  • Arbeitgeberverband Pflege: Deutschlandkarte Heimsterben: Verband veröffentlicht Übersicht zu Insolvenzen und Schließungen in der Altenpflege. Online: https://arbeitgeberverband-pflege.de/... (Abgerufen am 17.01.2024)