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Wenn Patienten an Covid-19 erkranken, dann belastet das nicht nur den Körper, sondern oft auch die Psyche. Auch milde Krankheitsverläufe bereiten Sorgen. Viele Patienten fürchten eine Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustandes oder fühlen sich durch die Quarantäne belastet. Die Psychoanalytikerin und Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater, Christa Roth-Sackenheim, erklärt, wie man sich am besten helfen kann.

Frau Roth-Sackenheim, SARS-CoV-2 ruft nicht nur körperliche Symptome hervor. Welche psychischen Folgen können bei Erkrankten auftreten?

In meine Praxis kommen immer mehr Patienten, die auch sechs Monate nach ihrer Corona-Erkrankung kaum leistungsfähig sind. Meist handelt es sich um wirklich langanhaltende seelische und körperliche Erschöpfungszustände. Sie erfüllen zwar nicht die Kriterien einer klassischen Depression, sondern zeigen sich eher in einer Art Fatigue.

Die Betroffenen leiden unter Müdigkeitssymptomen, können sich kaum noch konzentrieren, nicht mehr lesen. Sie haben ein hohes Schlafbedürfnis und sind zum Teil kaum noch arbeitsfähig. Auch beobachten wir eine Zunahme von Angststörungen, Depressionen und Schlafstörungen.

Berichten Ihre Patienten davon, wie es Ihnen erging, als sie sich mit dem Virus infiziert hatten?

Wir beobachten, dass die Ängste speziell bei unseren Patienten, aber auch in der Bevölkerung allgemein immer weiter zunehmen. Die meisten fürchten sich davor, ihre Bezugspersonen anzustecken. Allerdings stellt sich hier auch immer die Frage, wie schwer die Person erkrankt. Unser erster Patient beispielsweise hatte sich in Österreich infiziert. Er wurde sehr schnell sehr krank und musste in unserem Bundeswehrzentralkrankenhaus auf die Intensivstation. Heute sagt er, dass er in dieser Krankheitsphase gar nicht die Zeit hatte, Angst zu haben.

Mit welchen Ängsten haben Patienten zu kämpfen, deren Erkrankung milder verläuft?

Die größte Angst besteht darin, bei vollem Bewusstsein zu ersticken. Das ist eine menschliche Urangst. Gerade das Thema Triage trägt dazu bei, dass viele Menschen jetzt glauben, für sie stünden kein Intensivbett und kein Sauerstoff mehr bereit. Dazu kommt natürlich noch die Einsamkeit in der Quarantäne: Viele fürchten sich davor, schwerkrank zuhause oder im Krankenhaus zu liegen, ohne Besuch empfangen zu dürfen. Sie fürchten, alleine zu sterben – auch eine unserer menschlichen Urängste.

Erkrankte stecken hier in einem Dilemma.

Natürlich, denn es besteht auch die Gefahr, Angehörige und Freunde anzustecken und womöglich deren Leben zu gefährden. Jeder mit einem gesunden Familienumfeld fürchtet sich davor.

In der Einsamkeit tendiert man eher dazu, sich Gedanken um den weiteren Verlauf der Erkrankung zu machen. Wie sinnvoll ist es, sich damit zu beschäftigen?

Grundsätzlich ist es für die Genesung hilfreicher, sich abzulenken und nicht in Panik zu verfallen. Wenn man sich infiziert hat, aber noch keine Symptome zeigt, sollte man trotzdem wachsam bleiben. In den Anfangsphasen der Erkrankung und bei milden Verläufen fühlt man sich subjektiv oft noch gut, obwohl die Lungenfunktion und die Sauerstoffsättigung schon beeinträchtigt sind. Wenn Symptome wie allgemeine Schlappheit, Schüttelfrost, Husten und Fieber auftreten, sollte man sich lieber an einen Arzt wenden.

Ansonsten reicht es, sich gut zu ernähren, ausreichend zu trinken und zu schlafen und nicht in Katastrophenszenarien zu verfallen. Betroffene sollten regelmäßig einen Realitätscheck machen.

Wie sieht der genau aus?

Man sollte sich immer wieder vor Augen führen, dass man selbst entweder noch gesund oder nur leicht erkrankt ist. Um sich zu beruhigen hilft es zudem, nicht zu häufig die aktuellen Neuinfektionen und Todeszahlen vom Robert Koch-Institut zu überprüfen.

Stattdessen sollte man sich an Menschen aus dem näheren Umfeld wenden und das eigene Unterstützernetzwerk aktivieren. Über soziale Medien, Videogespräche oder Sprachnachrichten kann man Kontakt aufnehmen. Ansonsten helfen auch Entspannungsübungen, positive Gedanken und Achtsamkeit.

Welche Strategien gibt es sonst noch?

Tagebücher können helfen. Schreiben ist eine therapeutische Strategie, die man üblicherweise auch in der Psychotherapie oder in Coachings anwendet. Bei Leuten, denen das liegt, ist das sehr hilfreich. Andernfalls kann man auch Sprachmemos mit dem Smartphone machen. Manche zeichnen lieber oder widmen sich Handarbeiten. All das funktioniert natürlich nur, wenn die Erkrankung milde verläuft und man sich gut genug fühlt.

Zum Thema Kontaktpersonen: Es kann auch vorkommen, dass man sich bei Bekannten oder Angehörigen angesteckt hat. Wie geht man damit am besten um?

In jedem Fall macht es einen Unterschied, ob die Person wusste, dass sie infiziert war oder nicht. In dem Moment, in dem die Infektion bekannt war, muss man dem Kontakt eine grobe Fahrlässigkeit unterstellen. Das sollte man unbedingt ansprechen und klar sagen: Du hast mich mit deinem Verhalten gefährdet und angesteckt und das ist nicht in Ordnung. Das kann man neutral, freundlich, aber bestimmt und mit klaren Worten sagen.

Das hört sich jetzt leichter an als es für viele bestimmt ist. Immerhin geht es um eine lebensbedrohliche Krankheit.

Wut zu verspüren, ist völlig normal und ein "logisches" Gefühl.  Hier kann man sich sagen: Ich bin wütend und enttäuscht, weil mein Gegenüber so unachtsam und gefährdend mit mir oder einer anderen Person umgegangen ist.  Dann kommt es nun darauf an, wie der Verlauf der Erkrankung ist. Tritt das Schlimmste ein und die infizierte Person verstirbt, kann das dazu führen, dass man nicht verzeihen kann. Es kommt auch darauf an, ob der oder die "Schuldige" Einsicht und Reue zeigt.

Was kann ich tun, wenn meine Kontaktperson ihren Fehler nicht einsehen möchte?

Manchmal hilft Reden nicht. Dann ist es ratsamer, den Kontakt konsequent abzubrechen. Wenn man beim Gegenüber diese allgemeine sorglose Haltung sehen kann, sollte man sich gut überlegen, ob es einem wert ist, diesen Kontakt weiterhin aufrechtzuerhalten. Der Umgang mit diesem Virus ist auch eine Frage der inneren Haltung und des Respekts gegenüber anderen.

Kann eine Infektion mit dem Coronavirus bei solchen Menschen und Leugnern der Pandemie auch zu einem Umdenken führen?

Davon gehe ich aus. Man konnte das gut beim britischen Premierminister Boris Johnson sehen. Wenn der Körper so lahmgelegt wird, ist das schon ein sehr prägendes Erlebnis. Trotzdem möchte man niemandem, auch nicht den Querdenkern, wünschen, dass sie auf diese Weise eines Besseren belehrt werden.