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Sie beschäftigte sich mit dem Tod, mit dem Bedürfnis Sterbender. Und dabei entdeckte die Schweizer Psychi­aterin Elisabeth Kübler-Ross in den 1960ern einen interessanten Zusammenhang. Den Tod zu akzeptieren: Das lief bei allen im Wesentlichen gleich. Auf eine Phase des Ignorierens folgten meist Wut, das Bedürfnis, den Tod doch noch mal zu verschieben, Depression und schließlich Akzeptanz.

Mit seinem Schicksal hadern, sich und andere wütend fragen „Warum ich?“ — das erleben Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes ebenfalls. Und auch hier geht es darum, zu lernen, das Schicksal zu akzeptieren. Zu wissen, dass widerstreitende Gefühle normal sind, dass es anderen genauso geht, kann Betroffenen helfen, meint die psychologische Psychotherapeutin Dr. Sabine Waadt aus München. Es sei wichtig, sich aktiv mit der Diagnose auseinanderzusetzen, um zu lernen, gut mit der Krankheit zu leben. Oft erleben Menschen mit Diabetes immer wieder Krisen. Experten geben Tipps, was dann in welcher Situation hilft.

1. Die innere Verweigerung überwinden

Die Krankheit ignorieren, wie lange geht das gut? Bei Typ-1-Diabetes gar nicht. Die Betroffenen müssen handeln. Auch Menschen mit Typ-2-Diabetes sollten ihre Scheuklappen schnell ablegen, selbst wenn sie kaum Symptome spüren. Zu denken: „Ist doch gar nicht so schlimm“, hilft nicht weiter. Waadt rät in solchen Fällen, ehrlich zu sich selbst zu sein.

Ein Beispiel: Ein Betroffener mit Typ-2-Diabetes liebt sein tägliches Kaffeekränzchen und will so weitermachen wie bisher. Bei der regelmäßigen Blutzuckerkontrolle nach dem Tortenessen stellt er jedoch fest, dass sein Wert zu hoch ist. Dies schwarz auf weiß zu sehen, kann zum Nachdenken anregen, so Waadt: „Welches Bedürfnis steckt hinter dem Kaffeekränzchen? Der Kuchen? Oder die Begegnung?“ Wer dies für sich beantwortet, findet auch eine Lösung, die mit dem Diabetes vereinbar ist. Wem etwa Begegnung wichtig ist, der könnte sich alternativ zum Spazierengehen mit Freunden verabreden.

2. Kraft aus der Wut schöpfen

Zornig auf die Zuckerkrankheit zu sein, das kennen vermutlich alle Menschen mit Diabetes. Expertin Waadt meint, dass diese Phase durchaus Positives hat: „Die Wut kann Kraft geben. Und wenn man erkennt, dass niemand schuld ist, kann man eigene Bedürfnisse formulieren.“

Ein Teenager mit Diabetes Typ 1 etwa fühlt sich in seiner Freiheit beschnitten und entwickelt Wut. Warum muss gerade er auf Partys seinen Blutzucker im Blick behalten, statt stundenlang abzutanzen? Setzt er sich mit dem Groll auseinander, bemerkt er, worauf es ihm wirklich ankommt. Im Beispiel ist der Wunsch ein Vergnügen ohne Einschränkung. Möglich wäre das zum Beispiel, wenn der Teenager vor dem Disco-Besuch etwas essen würde, das den Blutzucker nur langsam ansteigen lässt oder ihn lange auf einem Level hält, um Unterzuckerungen während des Tanzens zu vermeiden. Die Wut kann vergehen und der neuen Sichtweise Platz machen.

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Mit Diabetes ins Ferienlager

Kinder und Teenies mit Typ-1-Diabetes können wegen ihrer Erkrankung häufig nicht an „normalen“ Ferienfreizeiten teilnehmen. Für sie gibt es spezielle Camps mit geschulten Betreuer:innen zum Artikel

3. Mit der Krankheit ins Reine kommen

Bei chronischen Krankheiten gibt es ständig Dinge, die Betroffene mit sich aushandeln müssen, weil sie immer wieder mit neuen Situationen konfrontiert werden. Ein Beispiel: Eine Frau mit Diabetes Typ 2 hat sich gut im Arbeitsleben mit ihrem Typ-2-Diabetes arrangiert. Dann kommt die Rente und sie stellt fest: Das passt nicht mehr. Sie würde für ihr Leben gern reisen, fühlt sich vom Diabetes aber eingeschränkt.

Expertin Waadt erklärt: „Die Prioritäten haben sich geändert, damit muss sie sich auseinandersetzen.“ Beschäftigt sich die Frau damit, wird sie auch eine Lösung finden, wie sie reisen und dennoch sicher mit dem Diabetes umgehen kann.

4. Hoffnungen wachsen lassen

Auch für Menschen, die ihre Krankheit schon gut im Griff haben, kann der Punkt kommen, an dem sie sich wieder mies fühlen und denken: „Ich habe mich so bemüht, aber es bringt nichts.“ Das sei typisch für eine Phase der Niedergeschlagenheit, erklärt Waadt. Dabei gilt: Während sich Betroffene mit einer behandlungsbedürftigen Depression eher wie betäubt fühlen, kann der Schmerz, den die normale Traurigkeit mit sich bringt, heilsam sein. Lassen Betroffene diese Empfindung zu, erkennen sie, dass sie zwar etwas Wertvolles verloren haben, aber dennoch nach vorn blicken können.

„Das gibt Hoffnung und Mut“, meint die Psychologin. Wer vielleicht in seiner Trauer feststellt, dass die Lebensfreude durch die Erkrankung verschwunden ist, kann daran arbeiten, diese mit dem Diabetes wiederzufinden. Dazu schlägt Waadt vor zu überlegen, was früher besonders große Freude bereitet hat, Ausgehen vielleicht oder Skifahren, Gärtnern oder ins Kino gehen. Behutsam und achtsam lohnt es sich, diese Dinge neu zu probieren.

5. Sich mit dem Diabetes verbünden

Akzeptieren bedeutet, den Diabetes nicht nur zu erdulden, sondern das Beste daraus zu machen. Expertin Waadt: „Wenn ich anerkenne, dass für mein Wohlbefinden regelmäßiges Blutzuckermanagement notwendig ist, werde ich es in mein Leben einbauen.“ Dann merken Betroffene vielleicht auch, dass sie trotzdem viele Ziele erreichen können.

Um sich zu arrangieren, kann es helfen, sich das Schlimmste auszumalen, das passieren kann, oder sich konkret vorzustellen, wie alles schiefgeht. Dann sucht man dafür einen Ausweg und fühlt sich beruhigter. Wer etwa um seinen Arbeitsplatz fürchtet, weil er öfter unterzuckert und pausieren muss, kann fragen: Wie halte ich den Blutzucker bei der Arbeit stabil? Oder könnte es sein, dass eine andere Stelle viel besser passen würde? „Dadurch, dass meine Gedanken in Bewegung kommen, setze ich mich mit meinen Bedürfnissen und Zielen auseinander“, sagt Waadt.

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