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Frau von der Heydt, ein afrikanisches, offensichtlich mangelernährtes Kind hockt auf staubtrockenem Boden: ein Bild, wie es häufig gewählt wird, wenn es um Folgen des Klimawandels für Kinder geht. Wie denken Sie darüber?

Dr. Susanne von der Heydt ist Mitglied der Ärzte-Initiative KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. Sie ist dort vor allem aktiv in der Arbeitsgruppe Pädiatrie

Dr. Susanne von der Heydt ist Mitglied der Ärzte-Initiative KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. Sie ist dort vor allem aktiv in der Arbeitsgruppe Pädiatrie

Das ist mir auch schon aufgefallen, ob bei Vorträgen zum Thema oder in Artikeln. Dadurch kann der Eindruck entstehen, dass das Problem nur Kinder in der Ferne betrifft. Das wäre total falsch, auch wenn wir die Kinder in Afrika und anderen Weltgegenden nicht vergessen dürfen. Sie haben eine kleinere Lobby als Kinder hierzulande oder gar keine und ihre Länder oft deutlich weniger Möglichkeiten, den Folgen des Klimawandels zu begegnen. Aber Fakt ist: Die Klimakrise wirkt sich längst auch auf unsere Kinder aus.

Inwiefern?

Nehmen wir die häufigeren Hitzeperioden: Mehrere Stu­dien weisen auf einen Zusammenhang zwischen großer Hitze im ersten Schwanger­schaftsdrittel und angeborenen Herzfehlern hin. Im kanadischen Quebec etwa lag die Zahl der Fälle in einem Jahr mit zehn Hitzetagen um elf Prozent höher als in einem Jahr ohne Hitzetage. Auch das Risiko für Frühgeburten steigt um bis zu 16 Prozent – vor allem wenn es zusätzlich eine Belastung durch Ozon und Feinstaub gibt. Die Stoffe gelangen mitunter über die Lunge und den Blutkreislauf der Mutter zum Fötus. Wer also etwa weniger Auto fährt, hilft nicht nur der Umwelt, sondern auch ungeborenen Kindern.

Wenn es um Temperaturanstiege geht, wirken die Zahlen oft mickrig: 1,5 oder 2 Grad Celsius …

Nicht durcheinanderbringen: Zum ­einen geht es um den mittleren glo­balen Temperaturanstieg, den wir un­bedingt auf 1,5 Grad begrenzen sollten, der in vielen Weltregionen tatsächlich aber schon deutlich höher ausfällt. Zum anderen sprechen wir von Hitzewellen, die regional auftreten. Wie oft und wie heftig Hitzeperioden auftreten, darüber entscheiden wiederum diese scheinbar „mickrigen“ Veränderungen der mittleren Erwärmung. Sie erzeugen Kettenreaktionen erheblichen Ausmaßes für Menschen und Ökosysteme.

Ist es schädlich, wenn durch Hitze unsere Körpertemperatur steigt?

Die Körpertemperatur, in der unser Stoffwechsel gut funktioniert, darf nur um etwa ein Grad schwanken. Darunter unterkühlen wir, darüber kriegen wir Fieber und es funktionieren sehr schnell chemisch-physikalische Abläufe nicht mehr. Hochkomplexe Vorgänge steuern die sogenannte Thermoregulation, die die Temperatur im optimalen Bereich halten soll.

Gerade bei Schwangeren ist das für den Körper schwieriger. Hitze kann bei ihnen deshalb schnell zu Kreislaufpro­blemen führen. Zudem wird das Blut bei hohen Temperaturen dickflüssiger, was die Plazentadurchblutung und damit die Versorgung des Fötus verändert. Schwangere müssen darauf achten, Hitze zu meiden und viel zu trinken. Sie sollten sich bewegen, aber nicht in der direkten Sonne, sondern morgens und abends, und Feinstaubbelastung meiden. Ich will keine Panik schüren, aber wir dürfen das nicht abtun. Es geht um Kinder, deren Organe sich gerade ausbilden und entwickeln.

Wie wirkt sich der Klimawandel aus, wenn Kinder geboren sind?

Hitze belastet Neugeborene und Kleinkinder ähnlich wie Schwangere und alte Menschen, alle Gruppen sind besonders verletzlich. Besonders belastet sie aber auch die höhere UV-Strahlung, ebenfalls eine Folge der Klimaerhitzung: Man sagt, dass Kinder 80 Prozent der gesamten UV-Lebensbelastung vor dem 18. Ge­burtstag abbekommen.

Ihre Haut ist dünner, lässt mehr Strahlung durch. Die Folgen sehen wir erst viel später, wenn die Haut etwa vorzeitig altert oder Krebs entsteht. Auch für die Augen ist UV-Strahlung schädlich. Akut treten etwa Hornhautentzündungen und Netzhautschäden auf, langfristig kann ein grauer Star eine Folge sein. Sonnenbrillen sind deshalb auch für kleine Kinder wichtig, genauso wie UV-Schutzkleidung und Sonnencreme.

Immer mehr Kinder leiden unter ­Allergien. Hängt das auch mit
dem Klimawandel zusammen?

Wir sehen auf jeden Fall, dass der Klimawandel Pflanzenwelt und Vegeta­tionszeiten verändert. Zum Beispiel hat sich der Pollenflug von Pflanzen wie dem Haselstrauch stark verlängert und die hochallergene Ambrosia mit ihrer extremen Pollenkonzentration hat sich inzwischen weltweit ausgebreitet.

Ich hatte einmal einen Biss oder Stich am Bein, der sich extrem entzündet hat. Der Arzt sagte, er sehe das gerade öfter, vermutlich eine nicht heimische Mücke oder Fliege. Was sagen Sie dazu?

Absolut möglich. Mitt­lerweile breiten sich auch bei uns Mückenarten wie die Asiatische Tigermücke aus. Die kann viele verschiedene Virusarten übertragen. Genauso die malariaübertragende Anopheles-Mücke. Als ich 1994 als Stu­dentin in Uganda war, meinten die Ärztinnen und Ärzte zu mir, die Malaria würde sicher auch noch zu uns kommen. Ich gebe zu, diese Vorstellung kam mir damals absurd vor. Heute weiß ich, dass sie recht hatten.

Was würde es denn bedeuten, wenn die Malaria hier wäre?

Es gibt schon Fälle in Europa. Das bedeutet, dass wir unser Verhalten anpassen und irgendwann zum Beispiel unter Mückennetzen schlafen müssen. Und wir Allgemeinärzte und Kindermedizinerinnen müssten uns fort- und weiterbilden. Es werden Krankheiten kommen, die wir hier in Deutschland noch nicht oft gesehen haben.

Würde ein Kind hierzulande von einer Infektion anders getroffen als etwa ein afrikanisches Kind?

Afrikanische Kinder weisen vermehrt Genmutationen auf, die sie vor schwerer Erkrankung schützen. Das haben europäische Kinder weniger, entsprechend könnten sie schwerer erkranken. Andererseits spielen Ernährungszustand, Immunsystem und medizinische Versorgung eine große Rolle. Die sind bei uns viel besser. Südlich der Sahara betreffen 80 Prozent aller Todesfälle durch Malaria unter Fünfjährige.

Welche psychischen Folgen kann die Klimakrise für Kinder haben?

Da müssen wir zwischen direkten und indirekten Folgen unterscheiden. Direkt wirken zum Beispiel Ereignisse wie die Überflutung im Ahrtal. Stellen Sie sich mal vor, wie das für die vielen Kinder dort ist, ihr Haus und ihre Heimat zu verlieren, nicht mehr zu ihrer Schule gehen zu können. So etwas ist hochgradig traumatisierend.

Und dann gibt es eine indirekte Wirkung, die sich zum Beispiel aus einer Frustration heraus ergibt, dem Gefühl etwa, dass zu wenig getan wird. Oder aus einer Hilflosigkeit heraus, dem Gefühl der Ohnmacht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Eltern selbst nicht verzweifeln und ständig Angst verbreiten, sondern die Kinder an die Hand nehmen, sie teilnehmen lassen und ihnen zeigen, dass man selbst etwas tun kann – auch mit kleinen Dingen im Alltag.

Cool bleiben in Freizeit, Arbeit und mit chronischen Erkrankungen.

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Sie sind Mutter von vier Kindern. Engagieren Sie sich auch deshalb für das Thema Klima und Gesundheit?

Wie bei vielen Eltern hat die Geburt unseres ersten Kindes auch bei meinem Mann und mir den Impuls ausgelöst, Dinge verändern zu wollen: Man möchte doch, wenn man dieses intensive Glück empfindet, alles dafür tun, dass die Zukunft dieses Wesens gesichert ist! Als Ärztin bin ich aber auch ständig mit den Folgen eines „Zuviels“ konfrontiert, das uns und die Umwelt krank macht.

Viele dieser Erkrankungen sind im Wesentlichen in Überer­nährung und Bewegungsmangel begründet. Das ständige Autofahren, vor allem aber der hohe Konsum und die Lebensmittelverschwendung haben gleichzeitig enormen Einfluss auf den Klimawandel. Für viele wird sich das nach Verzicht anhören. Es ist aber ein direkter Gewinn: Wenn ich mich mehr bewege und mich gesünder ernähre, geht es mir erwiesenermaßen körperlich und psychisch besser. Und gleichzeitig retten wir nicht nur uns, sondern auch die bedrohte Welt.

Welche Rolle sollten Kinderärzte beim Thema Klimawandel spielen?

Ich finde, dass alle Mitarbeitenden im Gesundheitswesen sehen müssen: Unser Bereich hat selbst einen relevanten Anteil an Emissionen. Denken Sie nur an den immer größer werdenden Müllberg durch Operationen oder den Einsatz extrem klimaschädlicher Betäubungsmittel wie Desfluran.

Darüber hinaus glaube ich, dass wir Ärztinnen und Ärzte lauter gegenüber der Politik auftreten und damit eine stärkere Lobby für Kinder schaffen könnten und sollten. Gleichzeitig sind wir Ansprechpartner für Eltern und sollten sie für das Thema sensibilisieren. Vereinzelt bieten Pra­xen schon „Klimasprechstunden“ an, andere bauen es in die normalen Vor­sorge­untersuchungen ein – wenn sie sowieso mit Eltern über Bewegung und Ernährung sprechen. Das Thema ist in der Aus- und Weiterbildung teilweise angekommen. Wir sind da sicher noch sehr am Anfang. Aber der ist gemacht.

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