Frühgeburten: Ursachen, Risiken, Spätfolgen
Eigentlich wären es noch viele Wochen bis zum errechneten Geburtstermin gewesen. Doch plötzlich ist das Baby da – viel zu früh. Etwa 65.000 Kinder werden pro Jahr in Deutschland bereits vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche geboren und gelten damit als Frühgeborene, meldet der "Bundesverband Das frühgeborene Kind e. V.". Wir haben Antworten auf die wichtigsten Fragen gesammelt.
Welche Abstufungen der Frühgeburtlichkeit gibt es?
Babys, die ab Vollendung der 34. Schwangerschaftswoche entbunden werden, nennen Mediziner späte Frühgeborene. Zwischen Ende der 32. und der 34. Schwangerschaftswoche sprechen sie von moderaten Frühgeburten. Sehr früh geborene Kinder kommen zwischen der vollendeten 28. und der 32. Schwangerschaftswoche zur Welt und wiegen im Durchschnitt nicht mehr als 1500 Gramm. Vor Vollendung der 28. Schwangerschaftswoche kommen extrem unreife Frühgeborene zur Welt. Sie bringen nur bis zu 1000 Gramm auf die Waage.
Wie sind die Überlebenschancen?
"Von den sehr früh geborenen Kindern, zwischen der 28. und 32. Schwangerschaftswoche, überleben nahezu 100 Prozent", sagt Professor Matthias Keller, Chefarzt der Kinderklinik Dritter Orden in Passau. Mit jeder Woche weniger in der Gebärmutter steigt das Risiko, dass ein Baby stirbt. Bei 24 Schwangerschaftswochen beträgt die Überlebenswahrscheinlichkeit noch etwa 75 bis 90 Prozent. "Im Bereich der 22. und 23. Schwangerschaftswoche liegt die Grenze der Lebensfähigkeit", so Matthias Keller. In einer Datenbank sammelt die University of Iowa Berichte besonders kleiner Babys, die überlebt haben. Demnach wog das leichteste Frühchen der Welt, das im Jahr 2018 in San Diego (USA) geboren wurde, gerade einmal 245 Gramm.
Welche Ursachen für eine Frühgeburt gibt es?
Eine große Rolle spielen Infektionen und Erkrankungen der Mutter wie eine Schwangerschaftsvergiftung. In anderen Fällen lösen Krankheiten oder Fehlbildungen des Kindes die Frühgeburt aus. Auch eine Mehrlingsschwangerschaft und genetische Ursachen machen eine vorzeitige Entbindung wahrscheinlicher. Matthias Keller betont: "Letztlich kann eine Frühgeburt nur selten durch das Verhalten der Mutter verhindert werden." Sie sollte jedoch Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, damit Risiken früh erkannt und gegebenenfalls behandelt werden können.
Wie kündigt sich eine Frühgeburt an?
Setzen vorzeitige Wehen ein oder platzt die Fruchtblase, sollten Schwangere umgehend einen Arzt aufsuchen. In einem spezialisierten Krankenhaus versuchen Gynäkologen, die Schwangerschaft zu verlängern.
Was passiert nach der Geburt?
Noch im Kreißsaal stabilisieren Ärzte und Pflegekräfte Atmung und Kreislauf. Danach kommt das Kind auf die Intensivstation für Neugeborene (Neonatologie). "Die erste Stunde ist entscheidend für die Prognose des Kindes", erklärt Matthias Keller. Krankenhäuser unterscheiden sich in ihrer Erfahrung und in ihrer Ausstattung. Mütter mit einem erhöhten Frühgeburtsrisiko sollten sich daher rechtzeitig über die Kliniken in ihrer Umgebung informieren, rät Matthias Keller.
Was können Eltern tun?
Die Bindung zwischen ihnen und ihrem Kind fördern – durch intensiven Hautkontakt: Beim sogenannten Känguruhen liegt das Neugeborene auf der nackten Brust von Mutter oder Vater, wenn möglich schon im Kreißsaal. So unterstützen Eltern die Entwicklung ihres Kindes. "Wir schulen die Eltern auch darin, dem Frühgeborenen Nahrung zu geben, es zu wickeln oder zu baden", so Matthias Keller. "Sie sollen ein Gespür für ihr Kind bekommen."
Mit Unterstützung einer Hebamme oder des Pflegepersonals können Mütter zudem versuchen zu stillen oder Muttermilch abzupumpen. "Muttermilch schützt gegen verschiedene Erkrankungen wie Lungen- und Augenprobleme oder Darmentzündungen, für die Frühgeborene ein erhöhtes Risiko haben", erklärt Professor Wolfgang Göpel, Neonatologe und Leitender Oberarzt an der Kinderklinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.
Welche weiteren Risiken haben Frühgeborene?
Neben Atemstörungen zählen Hirnblutungen zu den gefürchteten Komplikationen, vor allem bei sehr kleinen Frühgeborenen. Aus verschiedenen Gründen kann es dabei zu Einblutungen ins Gehirn kommen. Sie sind häufig leichter Natur, manchmal können sie aber auch schwer sein und schlimmstenfalls zu Behinderungen führen. "Insgesamt überleben aber immer mehr Frühgeborene komplikationslos", sagt Wolfgang Göpel.
Wie entwickeln sich die Frühgeborenen weiter?
"Weit über die Hälfte von ihnen unterscheiden sich im Schulkindalter nicht von anderen Kindern", berichtet Wolfgang Göpel. Er leitet die Studie eines Forschungsverbundes aus über 50 Kliniken in Deutschland ("German Neonatal Network"), für die bereits etwa 3000 einst sehr kleine Frühgeborene im Alter von fünf Jahren nachuntersucht wurden. "Im Intelligenztest schnitten sie durchschnittlich etwas schlechter ab als ihre Altersgenossen, wohl mitbedingt durch Komplikationen wie Hirnblutungen", berichtet Wolfgang Göpel. Auch waren die Frühgeborenen schneller aus der Puste, litten häufiger unter Entzündungen der Atemwege und waren etwas kleiner und zarter als andere Fünfjährige. Ziel der Forscher ist nun, unter anderem mit Hilfe von Genanalysen genauer vorherzusagen, welche Frühgeborenen spezifische Probleme bekommen könnten – um sie schon in den ersten Lebenstagen gezielter zu unterstützen.