Health Claims: Was können Nahrungsergänzungsmittel?

Viele Hersteller werben mit Nahrungsergänzungsmitteln - doch nicht immer halten die Wundermittel, was sie versprechen.
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Toilettenpapier, Zahncreme – was fehlt noch von der Einkaufsliste? Genau, die Glucosamin-Kapseln, die seien so gut für Knorpel und Knochen, sagt die Nachbarin. Der Blick schweift über das Regal mit Nahrungsergänzungsmitteln: Blaubeeren für Augen und Sehkraft, Cranberrys für die Blase, Vitamin C und Zink. Rechts unten: Glucosamin für Knochen und Knorpel.
Was können Nahrungsergänzungsmittel – und was nicht?
Wahre Wunder aus Drogeriemärkten, Apotheken, Reformhäusern und Onlineshops? Schönheit, Vitalität bis ins hohe Alter, gar Heilung von Krankheiten? „Würden Nahrungsergänzungsmittel gegen Erkrankungen wirken, wären es Medikamente“, sagt Dr. Julia Podlogar von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Sind sie aber nicht.
Nahrungsergänzungsmittel sind rechtlich gesehen Lebensmittel und können die Ernährung von gesunden Personen – wie der Name schon sagt – ergänzen. Nur sehen die Produkte in der Regel aus wie Arzneimittel, werden als Tabletten, Kapseln, Pulver oder Tropfen angeboten. „Das erweckt den Eindruck, sie seien mit Medikamenten vergleichbar“, sagt Wiebke Franz von der Verbraucherzentrale Hessen.
Und was ist mit „Versprechen“, die auf den Packungen stehen? Fakt ist: Gesundheitsbezogene Aussagen (etwa „Verbessert die Sehkraft“ oder „Stärkt die Knochen“) sind für Nahrungsergänzungsmittel verboten. Eigentlich. Es sei denn, sie stehen auf einer sogenannten Positivliste der EU. Um den Wildwuchs an angeblichen Gesundheitsversprechen einzudämmen, forderte die EU im Jahr 2006 von den Herstellern, bis zu einem Stichtag sämtliche ihrer gesundheitsbezogenen Behauptungen einzureichen. Sechs Jahre wurden diese wissenschaftlich geprüft, bis 2012 jene Positivliste erschien. Sie wird seither fortlaufend erweitert.
Welche Gesundheitssaussagen sind erlaubt?
Alle „Health Claims“, also Gesundheitsaussagen auf dieser Liste sind von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wissenschaftlich überprüft und zugelassen. Derzeit stehen dort etwa 250 Claims, überwiegend für Vitamine und Mineralstoffe. Erlaubt ist zum Beispiel der Satz: „Vitamin C trägt zur normalen Funktion des Knorpels bei.“ Einschränkung: Das gilt, sofern ein ärztlich festgestellter Mangel vorliegt. Nur gibt es den selten, denn die Versorgung der Bevölkerung mit Vitamin C ist sehr gut. Wer also Knorpelprobleme hat und ausreichend versorgt ist, dem bringt die zusätzliche Einnahme nichts.
Und Glucosamin, das Knorpelmittel, steht es auf der Positivliste? Nein. Alle dafür eingereichten Werbeaussagen wurden abgelehnt. Begründung: Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis für etwa eine knorpelerhaltende Wirkung bei gesunden Menschen. Health Claims wie „Für gesunde Gelenke und Knochen“ oder „Gut für die Knorpelbildung“ sind also seit 2012 nicht mehr erlaubt.
Inwiefern wird bei gesundheitsbezogenen Claims legal getrickst?
„Knochen und Knorpel“ steht aber doch drauf? Richtig. Denn der gute Vorsatz der EU funktioniert nur bedingt. Einige Hersteller haben einen Umweg gefunden: Sie fügen den Mitteln preisgünstige Vitamine oder Mineralstoffe, für die Werbeaussagen erlaubt sind, hinzu. Bei Glucosamin-Präparaten sind das Vitamin C, Vitamin D oder Zink.
Und auf einmal können doch gesundheitsbezogene Claims auf der Packung stehen, die auch Knochen oder Knorpelbildung betreffen: „Vitamin C trägt zu einer normalen Kollagenbildung bei“ oder „Zink und Vitamin D tragen zum Erhalt der normalen Knochen bei“. Glucosamin? Hat damit nichts zu tun. „Die Verbraucher bezahlen viel Geld für Inhaltsstoffe, deren Claims entweder abgelehnt wurden oder deren Wirkung nicht nachgewiesen ist“, sagt Julia Podlogar. Rechtlich alles in Ordnung, das Vorgehen sei jedoch, so Wiebke Franz, „reine Geschäftemacherei“.
Warum sollte ich übermäßige Einnahme vermeiden?
Doch wer ständig solche angereicherten Präparate einnimmt, kann eine Überversorgung riskieren. Bis heute gelten keine Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln. Überdosiert können sie aber zu gesundheitlichen Problemen führen oder mit Medikamenten wechselwirken.
Glucosamin kann die blutgerinnungshemmende Wirkung mancher Arzneien verstärken. Mineralstoffe wie Kalium oder Kalzium können die Wirkung von Blutdruckmedikamenten oder Antibiotika vermindern. Franz sagt: „Liegt kein Vitamin- oder Mineralstoffmangel vor, sind Nahrungsergänzungsmittel bestenfalls überflüssig, schlimmstenfalls schaden sie.“
Sind dann Präparate mit bekannten Heilpflanzen wie Baldrian, Zitronenmelisse und Lavendel eventuell sicherer? Auch hier ist die Antwort nicht einfach. Hersteller von pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln hatten 2006 ebenfalls ihre Claims eingereicht. Diese sind aber bis heute nicht bewertet worden. Sie gelten als „on hold“, also in Wartestellung. Bis es eine Liste gibt, dürfen die Hersteller alle eingereichten, aber nicht geprüften Claims weiterverwenden.
Beispiel: „Baldrian und Zitronenmelisse unterstützen das Einschlafen.“ Klingt gut, ist aber eben ungeprüft. Hinzu kommt, dass in Nahrungsergänzungsmitteln – im Gegensatz zu pflanzlichen Arzneien – häufig nur winzige Mengen der Heilpflanzen stecken. Sie dürfen nämlich per Gesetz gar nicht wie Medikamente wirken. „Dieser feine Unterschied ist für Laien kaum zu erkennen“, sagt Pharmazeutin Podlogar. Nur ist diese Diskrepanz nicht unbedingt gesundheitsgefährdend.
Warum ist gute Beratung wichtig?
Es drängen jedoch immer mehr Nahrungsergänzungsmittel mit exotischen Pflanzen auf den Markt. Egal, wie natürlich sie daherkommen: Einige Inhaltsstoffe können schon in kleinen Mengen gesundheitsschädlich sein. Die wenigsten dieser Pflanzen wurden bisher wissenschaftlich auf ihre Schädlichkeit hin bewertet oder auf Wechselwirkungen überprüft. Von Goji-Beeren etwa ist bekannt, dass sie den Abbau von bestimmten Gerinnungshemmern im Körper blockieren können. Mögliche Folge: vermehrte Blutungsneigung.
Wer nun weiterhin auf Nahrungsergänzungsmittel schwört, sollte sich gut beraten lassen. Am besten in der Apotheke vor Ort: Das Personal kann über die Notwendigkeit von Vitaminen und Mineralstoffen aufklären und überprüfen, ob sie sich mit Medikamenten vertragen. Im Drogeriemarkt, im Reformhaus oder im Internet gibt es das nicht.
Quellen:
- Verbraucherzentrale: Werbung mit Gesundheit - meist zu viel versprochen. https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/... (Abgerufen am 26.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Glucosamin und Chondroitin - Hilfe bei Gelenkbeschwerden?. https://www.verbraucherzentrale.de/... (Abgerufen am 26.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Allgemeine rechtliche Aspekte zu Nahrungsergänzungsmitteln. https://www.verbraucherzentrale.de/... (Abgerufen am 25.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in der EU. https://www.verbraucherzentrale.de/... (Abgerufen am 26.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Lebensmittel mit Gesundheitsversprechen. https://www.verbraucherzentrale-hessen.de/... (Abgerufen am 27.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Endlich Klartext bei Nahrungsergänzungsmitteln schaffen. https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/... (Abgerufen am 26.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Gesundheitsaussagen und Heilungsversprechen: Was ist erlaubt, was nicht?. https://www.faktencheck-gesundheitswerbung.de/... (Abgerufen am 26.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Videos Gesundheitsversprechen: Was ist erlaubt?. https://www.lebensmittelklarheit.de/... (Abgerufen am 24.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Jungbleiben mit Spermidin?. https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/... (Abgerufen am 25.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Verbraucherzentralen fordern Regelungen für Pflanzenstoffe. https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/... (Abgerufen am 24.07.2023)
- Verbraucherzentrale: Cranberry: Sind Produkte zur Vorbeugung von Blasenentzündungen geeignet?. https://www.verbraucherzentrale.de/... (Abgerufen am 24.07.2023)
- Pharmazeutische Zeitung: »Dringender« Handlungsbedarf bei Botanicals. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/... (Abgerufen am 21.07.2023)
- Government UK: GENERAL PRINCIPLES ON FLEXIBILITY OF WORDING FOR HEALTH CLAIMS. https://assets.publishing.service.gov.uk/... (Abgerufen am 26.07.2023)
- Apotheken Umschau: Pflanzenmedizin: Wie wirksam ist sie?. https://www.apotheken-umschau.de/... (Abgerufen am 25.07.2023)
- Medwatch: Werbung für Nahrungsergänzungsmittel - ist das noch erlaubt?. https://medwatch.de/... (Abgerufen am 21.07.2023)
- Spektrum: Wie sinnvoll sind Nahrungsergänzungsmittel?. https://www.spektrum.de/... (Abgerufen am 20.07.2023)
- Dr. Mai Thi Nguyen-Kim : Nahrungsergänzungsmittel - sinnlos bis gefährlich. https://www.zdf.de/... (Abgerufen am 26.07.2023)