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Eine Bekannte von mir, stets offen für Experimente in der Selbstbehandlung, will ein Heilmittel für ihre schmerzenden Gelenke gefunden haben. Im Internet natürlich, wo sonst? Sie schluckt jetzt Kapseln mit Haifischknorpelpulver.

Hai für Knie und Hüfte?

Ich bin skeptisch und sehe mir das Präparat genauer an. Die schnellen Schwimmer mit dem kräftigen Biss verdanken ihre Fitness, so verrät mir ein Aufdruck, ihrem Skelett. Das besteht nämlich nicht aus Knochen, sondern komplett aus Knorpel. Diese Besonderheit verleihe den Haien Widerstandskraft und Vitalität, so die Erklärung zur mythenhaften Hai-Stärke.

Die Kapseln werden als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Wer dreimal täglich eine schluckt, tut damit angeblich seinen Gelenken Gutes. Sind laut Etikett im Fischpulver doch reichlich Proteine, Mineralien, Glukosamin, Chondroitin und weitere Stoffe enthalten, die auch der Mensch für den Erhalt seiner Knorpel, Bänder und Sehnen brauche. Dies suggeriert, dass die Kapseln ein Heilmittel für Volksleiden wie Arthrose, Rheuma und Gelenkverschleiß seien.

Können sogar gefährlich werden...

Doch die schönen Versprechen auf den Pillendosen haben einen Haken, wie ich schnell herausfinde: Sie sind wissenschaftlich nicht haltbar. Dieses nüchterne Fazit zieht ein Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Deren Fachleute haben die Studienlage zum Haiknorpelpulver gesichtet, konnten aber keine Belege für eine Wirkung auf die Knorpelgesundheit erkennen.

Laut Verbraucherzentralen können die Mittel sogar gefährlich werden. Zum Beispiel für Menschen, die allergisch auf Fisch reagieren oder Blutgerinnungshemmer einnehmen. Die vorgeschriebene Allergenkennzeichnung fehle auf den Produkten oft. Ebenso ein Warnhinweis für Betroffene, die Gerinnungshemmer schlucken müssen. Das im Knorpelpulver enthaltene Glukosamin könne deren Wirkung riskant verstärken.

Haiarten von Aussterben bedroht

Wirklich wütend macht mich, dass die Anbieter auch noch mit Artenschutz werben. Sie behaupten, ihre Rohstoffe stammten aus europäischem Fischfang und „nicht aus überfischten pazifischen Gewässern“. Die Lage für die Haie macht das nicht besser: Mehr als die Hälfte aller Haiarten im Mittelmeer sind laut der Umweltorganisation WWF mittlerweile aufgrund von Überfischung gefährdet oder vom Aussterben bedroht.

All das erzähle ich meiner Bekannten. Sie wird nachdenklich. Und will jetzt doch mal zu ihrem Arzt gehen. Vielleicht wisse der ja, was ihren Gelenken wirklich hilft.

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