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Für die meisten Operationen ist ein Ausschalten des Schmerz- und Berührungsempfindens notwendig, eine sogenannte Anästhesie. Sie ermöglicht dem Patienten eine schmerz- und angstfreie Operation und schafft dem Operateur optimale Arbeitsbedingungen für den erforderlichen Eingriff. Durch eine regionale Anästhesie kann man bestimmte Körperteile wirksam betäuben, ohne das Bewusstsein auzuschalten. Dazu gehören die rückenmarksnahen Anästhesieverfahren Spinalanästhesie und Periduralanästhesie (PDA). Lesen sie mehr dazu, wann diese Verfahren zum Einsatz kommen, wie sie wirken und wie sie sich voneinander unterscheiden.

Wann kommen Spinalanästhesie und Periduralanästhesie zum Einsatz?

Für jede Operation wählt der Narkosearzt immer das Anästhesieverfahren, das dem Patienten die meisten Vorteile bietet. Manchmal liegt der Vorteil einer Regionalanästhesie darin, dass sie die Risiken einer Vollnarkose vermeidet. Manchmal ermöglicht sie eine bessere Schmerztherapie als andere, weniger invasive Verfahren.

Zu den Einsatzbereichen der Spinalanästhesie gehören Operationen am Unterbauch, an der Leiste, am Damm oder an den Beinen. Auch Kaiserschnitte erfolgen mittlerweile größtenteils in Spinalanästhesie.

Das hauptsächliche Einsatzgebiet der Periduralanästhesie (PDA) ist die Schmerztherapie. Einen hohen Stellenwert hat sie in der Geburtshilfe. Dort gilt sie als das Verfahren der ersten Wahl zur Linderung des Wehenschmerzes während der Entbindung. Ist eine Spontangeburt nicht möglich, können die Ärzte unter einer PDA auch einen Kaiserschnitt durchführen. Daneben setzt der Narkosearzt sie auch für die Schmerztherapie während und nach Operationen ein. Vorwiegend für große Eingriffe am Bauch oder im Bereich des Brustkorbes (zum Beispiel an der Lunge) kombiniert der Arzt häufig eine Vollnarkose mit einer PDA. Nach der Operation kann er die Schmerztherapie noch für einige Tage weiterführen.

Wie legt der Arzt rückenmarksnahe Anästhesieverfahren an?

Eine rückenmarksnahe Anästhesie muss unter keimfreien Bedingungen erfolgen. Meist sitzen die Patienten dabei, seltener liegen sie auf der Seite. Der Narkosearzt verwendet verschieden geformte Spezialnadeln. Er tastet die Wirbelfortsätze ab, um die richtige Einstichstelle zu finden. Beim Vorschieben der Nadel kann er sich an den Widerständen orientieren, welche die zwischen den Wirbeln verlaufenden Bänder bieten. Vor der Anlage werden die Haut und die Gewebe in der Region des Einstichs örtlich betäubt.

Wie führt der Arzt die Spinalanästhesie durch?

Bei der Spinalanästhesie durchsticht der Narkosearzt die harte Hirnhaut und spritzt die Medikamente durch die Nadel direkt in das Nervenwasser. Der Einstich erfolgt in der Regel im Bereich des dritten und vierten Lendenwirbels. Dort hat sich das Rückenmark bereits in einzelne Rückenmarksnerven aufgeteilt. Eine Verletzung des Rückenmarks durch den Einstich ist daher weitestgehend ausgeschlossen. Unmittelbar nach der Gabe der Betäubungsmittel setzt die Wirkung zunächst in Form eines Wärmegefühls ein. Es folgt eine zunehmende Taubheit, bis dann innerhalb weniger Minuten auch die Bewegungsfunktion blockiert ist. Die Blockade breitet sich von unten nach oben aus. Die Betäubung beginnt also zum Beispiel bei den Füßen und breitet sich Richtung Bauch aus. Die Rückbildung der Blockade erfolgt in umgekehrter Reihenfolge. Betäubt wird in der Regel die gesamte untere Körperhälfte (Ausnahmen siehe unten). Die Dauer der Blockade beträgt je nach Art und Menge des verwendeten Wirkstoffes zwischen 1,5 und 6 Stunden.

Oft verwendet der Narkosearzt sogenannte örtliche Betäubungsmittel, die mit der Schwerkraft nach unten sinken (sogenannte hyperbare Lokalanästhetika). Damit kann der Arzt die Ausbreitung der Blockade beeinflussen, je nachdem, wie er den Patienten lagert. Durch die Lagerung des Patienten auf eine Seite sind zum Beispiel einseitige Blockaden möglich. Wenn der Arzt nur eine sehr geringe Menge verwendet, ist auch eine alleinige Blockierung der untersten Rückenmarksnerven (der Sakralnerven, also der Nerven, die zum Kreuzbein gehören) möglich. Dadurch betäubt der Arzt den Bereich von Damm, Schamregion und After. Diese Art der Regionalanästhesie heißt Sattelblock.

Wie führt der Arzt die Periduralanästhesie durch?

Bei der Periduralanästhesie (PDA) verbleibt die Nadel außerhalb der harten Hirnhaut. Der Narkosearzt platziert über die Nadel zunächst einen dünnen Plastikschlauch, der für einige Zeit dort liegen bleibt. Dann zieht er die Nadel zurück, und verabreicht über den Schlauch die Betäubungsmittel. Die Nervenblockade bei der PDA setzt erst nach zirka 15 Minuten und damit deutlich langsamer ein als bei der Spinalanästhesie. Die Stärke der Nervenblockade steuert der Arzt durch eine unterschiedlich starke Verdünnung der örtlichen Betäubungsmittel. Niedrig konzentrierte Betäubungsmittel blockieren nur die dünneren Nervenfasern, zu denen auch die Schmerzfasern gehören. Für die Blockade von motorischen Nerven sind höhere Konzentrationen notwendig. Wie viele Körpersegmente betäubt werden, kann der Narkosearzt über die Menge der verabreichten Medikamente festlegen.

Die Betäubungsmittel wirken, sobald die Nervenfasern sie aufnehmen. Dabei blockieren sie die Weiterleitung von Sinnesempfindungen und motorischen Funktionen in den von den Nerven versorgten Körpersegmenten. Die Betäubungsmittel binden zuerst an die dünnen Nervenfasern (sympathische Nervenfasern, Fasern für das Temperaturempfinden, Schmerzempfinden und Berührungsempfinden) und zuletzt an die dicken motorischen Nervenfasern. Oft verwendet man  zusätzlich zu den örtlichen Betäubungsmitteln Opiate, weil sie die schmerzlindernde Wirkung verstärken.

Vergleich von Spinalanästhesie und Periduralanästhesie

Man kann sich den Unterschied zwischen Spinalanästhesie und PDA bildlich vorstellen. Die Spinalanästhesie funktioniert so: Ein Bündel Dochte (die Rückenmarksnerven) schwimmt in klarer Flüssigkeit (Nervenwasser). Eine kleine Menge Farbe (örtliches Betäubungsmittel)  kommt in die Flüssigkeit hinein und verfärbt den gesamten unteren Teil der Flüssigkeit. Die Dochte nehmen die nun gefärbte Flüssigkeit schnell auf und sind daraufhin intensiv gefärbt (vollständige Betäubung der Rückenmarksnerven). Bei der PDA ziehen die Dochte durch einen Schwamm. Eine bestimmte Menge Farbe kommt in den Schwamm. Der Schwamm färbt sich und färbt auf die Dochte ab. Sie sind aber nur zum Teil gefärbt, nämlich da, wo die Farbe am besten hinkommt. Je intensiver die Farbe ist, desto mehr Teile der Dochte werden gefärbt.

Während der Narkosearzt also bei der Spinalanästhesie mit einer kleinen Menge Betäubungsmittel meist die gesamte untere Körperhälfte komplett mit allen Sinnesqualitäten betäubt, kann er mit der PDA mit größeren Mengen Betäubungsmitteln gezielt Schmerz- und Berührungsempfinden ausschalten, ohne zum Beispiel die Bewegungsfunktion einzuschränken.

Aufbau des Wirbelkanals und Funktion der Rückenmarksnerven

Nebenwirkungen von Spinalanästhesie und Periduralanästhesie

Durch die Betäubung der Nerven kommt es auch zu unerwünschten Wirkungen: Weil auch die Nerven betäubt werden, die die Spannung in den Blutgefäßen steuern, kann der Blutdruck sinken. Sinkt der Blutdruck zu stark, kann der Narkosearzt gegensteuern, indem er ausreichend Flüssigkeit zuführt oder gefäßverengende Medikamente einsetzt. Eine Blockade der Nerven, welche die Blase steuern, tritt vergleichsweise häufig im Rahmen einer Spinalanästhesie auf. Das führt zu einem vorübergehenden Harnverhalt. Mit Abklingen der Nervenblockade gehen auch diese unerwünschten Wirkungen vorbei.  
Der sogenannte postspinale Kopfschmerz kann nach einer Spinalanästhesie auftreten, oder wenn es  im Rahmen einer PDA zu einer Verletzung der harten Hirnhaut kommt. Es handelt sich um einen Kopfschmerz, der in aufrechter Position entsteht und im Liegen wieder verschwindet. Meist ist er durch Schmerzmedikamente gut zu behandeln.

Weitere Risiken von Spinalanästhesie und Periduralanästhesie

Schwerwiegende Komplikationen von rückenmarksnahen Verfahren sind Blutergüsse oder Abszesse im Bereich des Periduralraumes. Sie können zu einer Kompression des Rückenmarkes mit bleibenden Nervenschäden führen. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer dauerhaften Querschnittslähmung. Diese Komplikationen treten aber extrem selten auf. Als Hauptrisikofaktor für einen periduralen Bluterguss gilt eine Störung des Blutgerinnungssystems, zum Beispiel durch Erkrankungen oder durch bestimmte gerinnungshemmende Medikamente. Bei Patienten, die ein erhöhtes Risiko für Blutungen oder Infektionen tragen, dürfen rückenmarksnahe Anästhesieverfahren nur nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko durchgeführt werden. Darüber hinaus muss jeder Patient mit oder nach einem rückenmarksnahen Anästhesieverfahren auf neurologische Auffälligkeiten hin überwacht werden, so dass die Ärzte eventuelle Komplikationen frühzeitig erkennen und behandeln können.

Werden die entsprechenden Richtlinien eingehalten und Gegenanzeigen beachtet, sind rückenmarksnahe Anästhesieverfahren vorteilhaft und sicher.

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Beratende Expertin: Dr. med. Dagmar Schneck, Fachärztin für Anästhesie

Quellen:
1. Striebel H-W: Die Anästhesie,  2. Auflage, Stuttgart Schattauer Verlag, 2010
2. P. Kessler: Update rückenmarksnahe Regionalanästhesie – weniger Nutzen, mehr Gefahr? online: www.ai-online.info/abstracts/pdf/dacAbstracts/2010/02_Kessler.pdf (abgerufen am 15.07.2013)

Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.