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Wollen Befürworter auf die jahrhun­dertealte Tradition des Cannabis-Rauchens hierzulande hinweisen, wird des Öfteren Wilhelm Busch genannt. Und tatsächlich: Es ist gut möglich, dass der Comic-Pionier eine Kiffer-Geschichte gezeichnet hat. „Krischan mit der ­Piepe“ heißt das plattdeutsche Werk. Es geht in etwa so:

„Krischan, lass die Pfeife stehen“

Krischans Vater will gerade das Haus verlassen. Bevor er geht, ermahnt er seinen Sohn, der solle seine Pfeife nicht anfassen. Der Vater ist kaum aus der Tür, schon stibitzt Krischan die Pfeife, zündet sie sich an – und raucht.

Ihre Wirkung lässt nicht auf sich warten: Krischan ist zunehmend berauscht und sieht schließlich den Ofen mit dem Regenschirm, den Tisch mit dem Kanapee tanzen. Zudem erscheint ein schwarzer Mann aus der Pfeife, obenherum nackt, mit goldenem Ohrring und dick überzeichneten Lippen. Der tobt und springt gemeinsam mit Krischan und den Möbeln umher, bis sich die ganze Stube dreht.

Seine Mutter findet den halluzinierenden Jungen gekrümmt auf dem Boden liegend. Sie bringt ihn ins Bett und serviert ihm schwarzen Kaffee. Der tut Krischan gut und lässt ihn wieder zu sich kommen. Indes kehrt der Vater zurück und scheint so gar nicht sauer. „Ja, so muss es gehen – Krischan, lass die Pfeife stehen“, sagt er sinngemäß zum Sohn. Und lacht.

Ein Comic mit aktueller Botschaft

Dass der Comic von 1864 ein überholtes Geschlechterrollenverständnis sowie rassistische Stereotype zeigt ist das eine. Wer will, könnte je nach persönlicher Erfahrung oder politischer Einstellung aber auch zwei entgegengesetzte Sichtweisen auf Cannabis herauslesen. Sie machen die Geschichte um den potenziellen Kiffer Krischan aktueller denn je.

Wussten Sie schon...?

Geheimsache

Neben Handel und Anbau werden derzeit Besitz, Erwerb und Abgabe von Cannabis strafrechtlich geahndet. Fast 190.000 Delikte waren das laut Bundeskriminalamt alleine 2020. Das Rauchen selbst wird nicht bestraft

Wärmen, schreiben, heilen

Seit Jahrtausenden ist Hanf kulturgeschichtlich relevant – als Rohstoff für Papier, Kleidung oder als Arzneimittel. Heute werden aus ihm Kosmetik, Lebensmittel oder Lifestyleprodukte gefertigt.

Die erste lautet: Cannabis zu rauchen ist ein Genuss – wie Wein zu trinken oder Zigarren zu rauchen. Es entspannt und beruhigt. Ganz nor­male Bürger, in Buschs Fall ein Familienvater, geben sich dem gepflegt zu Hause hin.

Sichtweise Nummer zwei: Kiffen berauscht und verursacht selten, aber schlimmstenfalls eine Psychose. Insbesondere Jugendliche gilt es vor der Droge zu schützen. Der Konflikt bis heute ist nun: Beide Ansichten treffen zu. Und sie sind, wie manche Expertinnen und Experten fürchten, nicht so einfach zu vereinen. Beziehungsweise gar nicht.

Wechsel in der Drogenpolitik

Ende des vergangenen Jahres haben die Regierungspartner SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, „die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einzuführen. Dadurch soll die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet werden.

Die Pläne sind ein fundamentaler Wechsel der bisherigen Drogenpolitik, die vor allem eine Verbotspolitik ist: Laut Betäubungsmittelgesetz sind jeglicher Erwerb, Besitz, Anbau und Handel von Cannabis oder Cannabisprodukten strafbar. Jetzt scheint die Ampel für eine lockerere Cannabispolitik auf Grün geschaltet. „Endlich!“, sagen Befürworter und wollen auf die Tube drücken. Andere würden gerne erst mal mit angezogener Handbremse losfahren. Und wieder andere am liebsten anhalten, den Motor abstellen – und zu Fuß weitergehen. Der Suchtexperte Professor Rainer Thomasius ist einer von ihnen.

Besonders phsychisch vorbelastet Jugendliche sind suchtgefährdet

Thomasius leitet das Deutsche Zentrum für Sucht­fragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). 1200 der jährlich 1600 Patientinnen und Patienten, die dort stationär und ambulant behandelt werden, kommen aufgrund von Lernstörungen, Antriebslosigkeit, dissozialem Verhalten und Schulversagen zu ihm. Symptome einer fortgeschrittenen Cannabis-Sucht.

Wie bei anderen Süchten sind vor ­allem psychisch vorbelastete Jugend­liche gefährdet, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Die, die an Ängsten leiden, depressiv sind, sich haltlos fühlen, unverstanden – und dann merken: Wenn sie Gras rauchen, sind sie entspannter, lockerer, weniger ängstlich. Thomasius ist täglich mit den Worst Cases konfrontiert. Kritiker seiner harten Linie sagen: Kaum verwunderlich, dass er als Gutachter im Gesundheitsausschuss seit Jahren gegen Lockerungsambitionen eintritt.

So kann sich starker Cannabiskonsum auf den Körper auswirken

Fakt ist: Wer Cannabis ein- oder zweimal ausprobiert, weil die anderen es machen und er oder sie dazugehören will, hört oft auch wieder auf. Und wer regelmäßig konsumiert, wird nicht zwangsläufig süchtig. So hat jeder Zehnte der 12- bis 17-Jährigen laut einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schon einmal Cannabis konsumiert. 1,6 Prozent tun es regelmäßig, also ­öfter als zehnmal im vergangenen Jahr. Bei den jungen Erwachsenen hat fast jeder Zweite schon mal gekifft. 6,9 Prozent konsumieren regelmäßig.

Fakt ist aber auch: Starker Cannabiskonsum könnte das Gehirn Heranwachsender nachhaltig schädigen – denn das ist erst im Alter von 25 Jahren ausgereift. Die Hanf-Wirkstoffe, Cannabinoide genannt, können im Gehirn und auch in anderen Körpergeweben an Rezeptoren andocken.

Es ist das bekannteste Cannabinoid THC, das nicht nur kurzfristig rauschhafte Zustände verursacht, sondern auch langfristig psychoaktiv wirken kann. Studien gaben bereits vor einigen Jahren Hinweise, dass starker Cannabiskonsum die Hirnstrukturen wie den Hippocampus und deren Arbeitsweise bei Jugendlichen verändern könnte. Andere Studien legten einen Zusammenhang zwischen geringerem Bildungserfolg und starkem Kiffen nahe.

In einer Stellungnahme haben sich die Fachverbände von Kinder- und Jugendpsychiatern sowie Kinder- und Jugendmedizinern Ende 2020 gegen eine Legalisierung positioniert: „Alle Vorsätze, die Legalisierung mit einem bestmöglichen Jugendschutz zu verbinden, haben sich in vielen Legalisierungsländern als Illusion erwiesen.“ Tatsächlich: Für die USA zeigte eine Studie 2020 in JAMA Psychiatry, dass der erlaubte Konsum für Erwachsene nicht nur mit einem gesteigerten Konsum bei diesen einherging. Sondern auch mit einer leicht gesteigerten Suchtgefahr bei Jugendlichen.

Experten fordern eine Entkriminalisierung von Cannabis

Dass sich durch einen legalisierten Konsum für Erwachsene der Markt für Sucht erzeugende Substanzen erweitert, sieht auch Theresia Höynck kritisch. Ändern müsse sich trotzdem etwas, findet die Professorin für Kinder- und Jugendrecht an der Universität Kassel. Gerade wegen des Jugendschutzes. „Die Strafbarkeit von Cannabis zieht eine Gruppe junger Menschen in die Welt des Strafrechts, die dort nicht hineingehört.“

„Die Strafbarkeit von Cannabis zieht eine Gruppe junger Menschen in die Welt des Strafrechts, die dort nicht hineingehört.“ (Theresia Höynck, Professorin für Kinder- und Jugendrecht an der Universität Kassel)

„Die Strafbarkeit von Cannabis zieht eine Gruppe junger Menschen in die Welt des Strafrechts, die dort nicht hineingehört.“ (Theresia Höynck, Professorin für Kinder- und Jugendrecht an der Universität Kassel)

Höynck ist Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V. Der Verein hat das Ziel, „die mit der Jugendkriminalität zusammenhängenden Fragen unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen zu erörtern und ihre Lösung zu fördern“.

Die Expertinnen und Experten plädieren vor allem für eine Entkriminalisierung. „Cannabis muss so weit wie möglich raus aus dem Strafrecht“, sagt Höynck. Dieses sei stets ein politisch billiges Mittel, um gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten vermeintlich effektiv zu verhindern. Aber bei Cannabis „drängt es den ganzen Bereich in die Illegalität. Jugendliche haben automatisch mit Drogendealern zu tun und werden zu kriminellen Szenen hingezogen.“

Konsum bei jungen Menschen verhindern

Eine Entkriminalisierung müsste her. Und dann? Wie lassen sich funktionierende Kontrollmechanismen aufbauen, von der Cannabis-Herstellung und -Qualität über Vertrieb und Verkauf hin zum Verbrauch? Wer organisiert, wer kontrolliert? Der Staat? Der Teufel ­liege im Detail, glaubt Höynck. „Im Ausland gibt es kein gutes Beispiel, das wir eins zu eins übernehmen könnten.“

Gleichzeitig dürfe mit einer Entkriminalisierung nicht das Bewusstsein entstehen, Cannabis sei offen­bar doch ganz harmlos. Zumal Kinder- und Jugendpsychologen alleine schon durch die aktuelle Legalisierungsdebatte mit ungünstigen Effekten auf das Konsumverhalten junger Menschen rechnen. Die Politik, glaubt Höynck, müsse deshalb darauf ausgerichtet sein, den Konsum bei jungen Menschen zu verhindern. Dazu gehört auch eine bessere Aufklärung. „Letztlich wird der Staat viel Geld in die Hand nehmen müssen“, denkt sie.

Legales Kiffen, die neue Steuereinnahme? Wäre erst mal passé, würde man Gelder aus dem Konsum ­direkt in die Prävention stecken. Wei­tere Argumente für die Legalisierung sieht ­Georg Wurth. Nicht umsonst ist er Gründer und Vorsitzender des Deutschen Hanfverbands – und damit eine Art Chef-Lobbyist. ­Eine mit Legalisierung verbundene Entkriminalisierung würde erheb­liche Strafverfolgungskosten einsparen, sagt Wurth. Fast 190.000 Anzeigen fielen jährlich weg. Mit einem legalen Markt würde der Schwarzmarkt zudem automatisch schrumpfen. Und immer weniger unkontrolliertes oder verunreinigtes Cannabis verbreitet.

Cannabis in der Schmerztherapie

Zur Behandlung weniger schwerer Erkrankungen ist der Einsatz von medizinischem Cannabis seit 2017 unter strengen ge­setz­lichen Auflagen erlaubt. „Viele Kollegen und Kolleginnen scheuen sich grundsätzlich, Cannabinoide zu verschreiben – aus verschiedenen Gründen, nicht nur wegen möglicher Risiken“, sagt Dr. Harald Lucius.

Der Schmerzthe­rapeut aus Gammellund ist Mitglied des Arbeitskreises Komplemen­tär­medi­zin/Inte­grative Medizin in der Schmerztherapie der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. Er selbst sowie seine Kollegin Dr. Stefanie Jahn, Sprecherin des Arbeitskreises, haben durchaus erfolgreiche Krankheitsverläufe unter regelmäßiger Cannabis-Therapie bei chronischen Schmerzen beobachtet. Stefanie Jahn berichtet aber auch von einer steigenden Erwartungshaltung seitens der Pa­tien­tinnen und Patienten.

Die Wirksamkeit von Cannabisprodukten in der Medizin ist noch nicht ausreichend erforscht

Die Wirksamkeit von Cannabisprodukten in der Medizin ist noch nicht ausreichend erforscht

Medizinisches Cannabis, das neue Wundermittel? Wohl eher nicht. Zudem ist es wissenschaftlicher Konsens, dass seine Wirksamkeit bezüglich Zusammensetzung, Einnahmeform und Erkrankung noch viel ge­nauer untersucht werden muss. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat in einer Begleit­erhebung bereits Daten gesammelt. Behandelnde Ärztinnen und Ärzte mussten bis zum 31. März 2022 melden, unter welchen Bedingungen Cannabinoide verschrieben wurden. Erste Daten wurden bereits publiziert.

Häufigster Anlass für ­eine Verschreibung waren in fast drei Vierteln der Fälle chronische Schmerzen. Bei 34 Prozent der Patientinnen und Patienten verbesserte sich der Therapieerfolg deutlich, bei 36 Prozent moderat. Mehr als ein Drittel brach die Therapie innerhalb eines Jahres wieder ab. Häufigste Gründe für den Abbruch: Nebeneffekte und ­eine unzureichende Wirkung.

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