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Wie Puzzleteile greifen die einzelnen Schädelknochen des Menschen ineinander – und formen ein robustes Dach. Wer sich daran stößt, trägt oft höchstens eine Beule davon. Bei schlimmeren Unfällen kann jedoch nicht nur der Schädel, sondern auch das darunter liegende Gehirn verletzt werden. Die Diagnose lautet dann Schädel-Hirn-Trauma. Häufige Ursachen: Verkehrsunfälle, Sportverletzungen und zunehmend auch Stürze zu Hause. Die Beschwerden reichen von Kopfschmerzen, Schwindel und Erbrechen bis hin zum lebensgefährlichen Koma.

Menschliches Gehirn (Schematische Darstellung)

Schädel-Hirn-Trauma

Ein Schädel-Hirn-Trauma ist eine Verletzung des Schädels und des Gehirns. Es entsteht, wenn eine äußere Gewalt auf den Kopf einwirkt. Symptome und Folgen hängen von der Schwere des Traumas ab zum Artikel

Folgen teilweise schwerwiegend

Zunächst beruhigend: Rund 90 Prozent der in der Notaufnahme behandelten Verletzungen werden als leicht eingestuft, nur zehn Prozent als mittelschwer oder schwer.[1] Anhand ­einer festgelegten Skala bewertet die Ärztin oder der Arzt, wie stark das Bewusstsein der Person gestört ist und ob ­diese auf bestimmte Reize reagiert. Je nach Art und Schwere der Hirnver­letzung können deren Folgen manchmal über Jahre nachwirken.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung und des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung ergab: Nach einem Schädel-Hirn-Trauma litten Betroffene zehn Jahre nach dem Ereignis häu­figer an bestimmten Erkrankungen als Menschen ohne eine solche Ver­letzung.[2] Zum Beispiel traten Epilepsien und Probleme mit der geistigen Leistungsfähigkeit fast doppelt so oft auf wie in der Kon­trollgruppe. Eine ­Demenz kam rund 1,7 Mal häufiger vor. Je be­handlungs­intensiver das Trauma, ­desto öfter traten die Erkrankungen auf.

Einschränkung der Leistungsfähigkeit

Doch: „Auch ein nicht geringer Anteil Betroffener mit einem leichten Schädel-Hirn-Trauma leidet unter Folgeschäden“, sagt Studienautor und Neuro­chirurg Prof. Dr. Eckhard Rickels von der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung. Schon früher konnte er bei Leichtverletzten gravierende Probleme noch ein Jahr nach der Diagnose dokumentieren:[1] „Sie können in der Schule oder im Beruf ihre Leistungen nicht mehr erbringen oder verändern sich im Umgang mit dem Partner oder der Partnerin.“

Die Ergebnisse der Studie überraschen Prof. Dr. Patrizia Thoma kaum. Die Co-Leiterin des Neuropsychologischen Therapie Centrums an der Ruhr-Universität Bochum hat täglich mit den Langzeitfolgen bei Menschen mit Schädel-Hirn-Traumata zu tun. „Wir sehen teilweise noch Jahre nach dem akuten Trauma deutliche Einschränkungen in der geistigen Leistungsfähigkeit“, berichtet die Expertin. Vielen Betroffenen fiele es etwa schwer, sich länger zu konzentrieren, vor allem dann, wenn sich mehrere Personen im Raum unterhielten.

Langfristige Nachsorge entscheidend

Ob und welche Langzeitfolgen auftreten, ist sehr individuell und hängt von vielen Faktoren ab — nicht nur vom Schweregrad der Verletzung. Das ­Alter spielt eine Rolle, die frühere Leistungsfähigkeit und begleitende psychische Erkrankungen. Relevant ist auch, wie gut Angehörige unterstützen und ob man Hilfe in der Schule oder am Arbeitsplatz erhält.

Eine langfristige Betreuung und Nachsorge ist also von zentraler Bedeutung. Doch wie steht es um diese? Das Urteil von Rickels fällt eindeutig aus. Zwar sei die Versorgung akuter Schädel-Hirn-Traumata hierzulande sehr gut. Doch „nach einem stationären Aufenthalt und einer Reha fallen Betroffene oft in ein Loch. Vor allem, wenn sie allein sind“, sagt Rickels. Häufig leiden die Patientinnen und Patienten auch weiterhin an Problemen: Sie sind beispielsweise nicht mehr so aktiv, haben Schwierigkeiten beim Sprechen oder können aufgrund einer Lähmung nicht richtig laufen.

Behandlung durch neuropsychologische Therapie

Dass Folgeerkrankungen entstehen, lässt sich manchmal nicht verhindern — etwa, wenn im Gehirn infolge der Verletzung Gewebe dauerhaft zugrunde gegangen ist. Zum Beispiel bauen Betroffene dann im Alter möglicherweise geistig schneller ab. Aber: Es lässt sich einiges tun, um bestimmte Einschränkungen zumindest zu mildern oder auszugleichen.

Hier kommen Fachkräfte wie Patrizia Thoma ins Spiel — und insbesondere der Ansatz der neuropsychologischen Therapie. Dieser zielt darauf ab, geistige Probleme infolge einer Hirnverletzung wieder zu verringern. Gelingt es Betroffenen etwa kaum, konzen­triert zu bleiben, übt Thoma mit ihnen, sich auf bestimmte Reize zu fokussieren und andere auszublenden. Auch lernen sie, früh zu erkennen, wann sie eine Pause brauchen, um sich nicht zu überfordern. Nicht jede geistige Fertigkeit lasse sich jedoch gleich gut trainieren. Bei Gedächtnisproblemen zum Beispiel helfen vor ­allem Ausgleichsstrategien, um den Alltag besser zu bewältigen — ­etwa der Einsatz von Tage­büchern, Notizzetteln oder Handy-Erinnerungsfunktionen.

Wenig Therapieplätze

Generell gilt: Je früher mit der Therapie begonnen wird, desto besser sind die Erfolgsaussichten. Allerdings gebe es vor allem ambulant im Bereich der neuropsychologischen Therapie eine Versorgungslücke, erklärt Thoma: „Hier kommt ungefähr ein Behandler auf 300 Patientinnen und Patienten.“ Nur wenige bekommen also zeitnah einen Platz. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen in der Regel nur dann die Therapie, wenn das akute Schädel-Hirn-Trauma nicht länger als fünf Jahre zurückliegt.

Dazu komme ein weiterer Mangel, sagt Patrizia Thoma: „Die stationären Einrichtungen sind oft nicht gut mit Nachsorge-Einrichtungen vernetzt.“ Das gelte auch für die einzelnen Bereiche, die in der ambulanten Rehabilitation mitwirken, zum Beispiel Neurologie, Logopädie oder Physiotherapie. Das alles zeigt: An einer strukturierten, langfristigen Versorgung hakt es. Laut Rickels ist diese aber entscheidend, auch um Folge­erkrankungen früh zu erkennen und die Patientinnen und Patienten zielgerichtet zu unterstützen.

Alternativen zur Behandlung in der Klinik

Was können Betroffene also tun, wenn sie nach einem stationären Aufenthalt in einer Klinik oder nach einer Reha immer noch Probleme feststellen und ihren Alltag nicht gut bewältigen können? Eine erste Anlaufstelle ist etwa die Hausarztpraxis sowie die Neuro­login oder der Neurologe. Diese überweisen dann an entsprechende Stellen. Eine Physiotherapie hilft etwa bei Bewegungseinschränkungen, eine Logopädie bei Sprachproblemen.

Ergotherapeutinnen und -therapeuten unterstützen dabei, wieder selbstständig im Alltag klarzukommen. Manchmal können schon einfache Dinge, die man dort lernt, viel bewegen, beispielsweise, sich mit einer Hand ein Brot zu schmieren. Expertin Thoma empfiehlt Betroffenen und ihren Angehörigen zudem, sich an die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung zu wenden. Sie erhalten dort eine individuelle Beratung und praktische Hilfe.

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Quellen:

  • [1] Rickels E, Wild K & Wenzlaff, P: Head injury in Germany: A population-based prospective study on epidemiology, causes, treatment and outcome of all degrees of head-injury severity in two distinct areas. Brain Injury: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 01.12.2023)
  • [2] Rickels E, Streudel W-I et al.: Langzeitfolgen von Schädelhirntraumen mit 10 Jahren Nachbeobachtung, Gematchte Kohortenstudie auf der Basis von Abrechnungsdaten einer gesetzlichen Krankenkasse. Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/... (Abgerufen am 01.12.2023)