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Bewegung und Entspannung, Medikamente, Hörgerät, kognitive Verhaltenstherapie? Je nach Schweregrad, Auslöser und individueller Belastung können verschiedene Maßnahmen das Pfeifgeräusch lindern oder stoppen. Wir stellen sechs Therapien vor: Was wirkt wann und wie gut? Warum ist ein Besuch in der Arztpraxis sinnvoll und wichtig? Und warum sollten akustisch stimulierende Tinnitus-Apps besser nicht in Eigenregie verwendet werden?

Zahlreiche Studien zeigen: Intensive ärztliche ­Aufklärung und Beratung gehört wesentlich zu einer guten Therapie dazu. Dabei werden Themen besprochen wie: Welche Faktoren haben den Tinnitus ausgelöst? Wie schwerwiegend ist die Belastung? Gibt es Begleiterkrankungen wie etwa eine Depres­sion? „Das sollte am Anfang jeder Therapie stehen und auf keinen Fall unterschätzt werden“, sagt Prof. Dr. Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums der Charité Universitätsmedizin Berlin. „Denn wer die Krankheit versteht und Techniken zum Umgang damit erlernt, kann die Be­lastung ­deutlich mindern.“

Im Optimalfall lässt man sich umfassend beraten in einem spezialisierten Zentrum, in dem Fachleute für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, ­Hörakustik und Psychologie eng zusammenarbeiten.

Sie ist unverzichtbar bei einem chronischen Tinnitus: die Überprüfung des Hörvermögens. Oft steckt hinter den Störgeräuschen nämlich eine Schwerhörigkeit. Weil davon in der Regel bestimmte Tonhöhen mehr betroffen sind als andere, verstärkt das Gehirn die fehlenden Frequenzen. Hörgeräte oder ein Cochlea-Implantat korrigieren dies. Wichtig: bei beidseitiger Schwerhörigkeit zwei Hörgeräte tragen und die nötige Geduld aufbringen, sich an das neue Hören zu gewöhnen

„In manchen Fällen wird der Tinnitus wieder leiser oder weniger wahrgenommen“, sagt Birgit Mazurek. Bisweilen verursacht Ohrenschmalz den Tinnitus. Hals-Nasen-Ohren-Ärztinnen und -Ärzte können die Verstopfung beseitigen. Von zusätzlichen Rauschgeneratoren, auch Noiser genannt, rät Mazurek ab. Diese werden in ­vielen Hörgeräten verbaut und erzeugen eine Art Gegenton, der den Tinnitus lindern soll. „Für die Wirkung gibt es aber keine wissenschaftlichen Belege“, so die Expertin.

Tinnitus wird in verschiedene Schweregrade eingeteilt. Wenig ­Leidensdruck besteht bei Grad 1 und 2, das Geräusch stört kaum. Anders sieht es mit Schweregrad 3 und 4 aus, hier können Privat­leben und Beruf stark beeinträchtigt sein. In solchen Fällen ist eine kognitive Verhaltenstherapie ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Betroffene lernen dabei, wie sie die Aus­wirkungen des Tinnitus auf ihren Alltag abschwächen können. Das Ziel besteht darin, sich so an das Geräusch zu gewöhnen, dass es als weniger störend empfunden wird oder sogar ganz aus der Wah­r­nehmung verschwindet.

Die Wirksamkeit einer solchen Tinnitus-Bewältigungs-Therapie (TBT) ist wissenschaftlich gut belegt. HNO-Ärztin Mazurek macht Betroffenen Mut: „Der Mehrzahl der Patienten gelingt es damit, die Ohrgeräusche so weit in den Hintergrund zu drängen, dass sie nicht mehr stören.“ Auch wenn sie laut sind. Studien zeigen, dass der ­Zusammenhang zwischen der Stärke des Tinnitus und der Belastung durch die Erkrankung erstaunlich gering ist. Das heißt: Man kann lernen, gut damit zu leben.

Bei akutem, plötzlichem Tinnitus, der manchmal mit einer Hörminderung ­einhergeht, kann Kortison lindernd wirken. Für mindestens drei Monate anhaltenden chronischen Tinnitus gilt leider: Wirk­same Medikamente gibt es bisher nicht. Anders sieht es bei zusätzlichen Erkrankungen aus: Bis zu 39 Prozent der Betroffenen leiden unter Depressionen, bis zu 19 Prozent unter Angststörungen. Eine Behandlung mit Psychopharmaka kann in solchen Fällen helfen und sich dadurch auch mildernd auf den Tinnitus auswirken. „Die durch die Medikamente verringerte Stress­belastung führt oft zu einer Besserung der Hörgeräusche“, erklärt die Expertin.

„Dieser Bereich wird oft unterschätzt“, sagt Mazurek. Tatsächlich kann der Austausch mit anderen Betroffenen aber nachweislich Entlastung bringen. In den medizinischen Leitlinien zur Behandlung der Erkrankung wird der Besuch von Selbsthilfegruppen deshalb ausdrücklich empfohlen.

Auch sonst können Betroffene viel tun: Ein aktiver und gesunder Lebensstil etwa ist wichtig. Dazu gehören eine ausgewogene Ernährung, viel Bewegung und möglichst wenig Stress und Lärm. Für Betroffene kann es sich lohnen, Techniken zur Stressminderung zu erlernen. Musiktherapie kann ­Tinnitus zwar nicht vertreiben, aber zumindest im Rahmen von Entspannungsmaßnahmen hilfreich sein. Für die Wirkung von Nahrungsergänzungsmitteln oder Heilpflanzen wie Ginkgo wiederum gibt es keine wissenschaftlichen Belege, sie wirken in Studien nicht besser als ein Placebo. „Das­selbe gilt für Akupressur, Elektrostimulation oder medizinisches Cannabis“, so Mazurek.

Mit Apps ist es so eine Sache: Manche können ergänzend sinnvoll sein, andere sogar schaden. „In Eigenregie sollte man damit lieber nicht hantieren“, warnt Medizinerin ­Mazurek. Gerade stark beworbene Tinnitus-Apps, die mit akustischer Stimulation arbeiten, sind mit Vorsicht zu ­ge­nießen. Hilfreicher sind aus Sicht der Expertin Apps, die das psychische Wohlbefinden verbessern und Stress ­mindern sollen.

So oder so gilt: Digitale Anwendungen besser nur nach ärztlicher Absprache verwenden – und nicht zu viel erwarten. „Aus wissenschaftlicher Perspektive sind Apps zum jetzigen Zeitpunkt kein relevanter Therapiebestandteil“, sagt Expertin Birgit Mazurek.

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Quellen:

  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie: Patientenleitlinie, Chronischer Tinnitus. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 16.01.2024)
  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilunde, Kopf- und Halsschirurgie: S3-Leitlinie Chronischer Tinnitus. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 16.01.2024)