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Seit 2001 werden die Infektionsfälle nicht namentlich an das Robert Koch-Institut gemeldet. Die Zahl der Fälle pro Jahr hat sich seither mehr als verfünffacht:

2001 ca. 1554 Meldungen

2019 Ca. 7889 Meldungen

Quelle: Robert Koch-Institut

Pusteln wuchsen in den Gesichtern der Gezeichneten, an Ohren und Nase standen sie wie kleine Hörner ab. Schmerzen, Juckreiz und innere Fäulnis marterten die Infizierten so sehr, dass sie sich den Tod wünschten. So beschrieb der Burghausener Joseph Grünpeck, Sekretär des deutschen Kaisers Maximilian I., im Jahr 1496 eine „grausame, unerhörte und ungesehene Krankheit“. Es gilt als eines der ersten Zeugnisse über die Syphilis, die Ende des 15. Jahrhunderts wohl von den Seefahrern um Kolumbus eingeschleppt wurde und sich mit dem französischen Heer explosionsartig über ganz Europa verbreitete.

Jahrhundertelang vergiftete die „Lustseuche“ die körperliche Liebe. Denn obwohl man ihren Ursprung gern in einer Strafe Gottes oder einem unheilvollen Stand der Gestirne sah: Wie man zu der Krankheit kam, sprach sich schnell herum. Im Expertenlatein der Zeit erhielt das Übel den Namen Morbus veneris, die Krankheit der Liebesgöttin Venus. Ihren heutigen Namen gab ihr ein italienischer Arzt. Ihn erinnerte die Seuche an den Mythos vom Schweinehirten Syphilus, der von Gott Apollo mit einer entstellenden Krankheit bestraft wurde: der Syphilis.

Noch vor wenigen Jahren war die „Krankheit der Venus“ fast vergessen. „In meiner Facharztausbildung in den 1980ern war eine Syphilis eine kleine Sensation“, erinnert sich Dr. Petra Spornraft-Ragaller von der Hautklinik des Uniklinikums Dresden. Heute ist die Diagnose für die Oberärztin nichts Besonderes mehr. Seit der Jahrtausendwende nehmen die Fallzahlen wieder zu, erreichten 2019 sogar einen neuen Höchstwert seit der Einführung des Infektionsschutzgesetzes 2001.

Als Hotspot gilt seit Längerem Berlin, aber auch viele andere Großstädte wie Köln, München, Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf und Dresden melden viele Infizierte. Dort ist ihre Zahl 2020 um 90 Prozent gestiegen.

Penicillin als Heilmittel

„Wenn man die Syphilis rechtzeitig erkennt, ist sie gut zu behandeln“, sagt Spornraft-Ragaller. Die Zeiten, in denen man das Leiden mit Quecksilber bekämpfte, sind schließlich längst vorbei. Damals führte die Therapie bei den Erkrankten oft zum Verlust von Haaren und Zähnen – nicht selten auch des Lebens. Seit der Entdeckung des Antibiotikums Penicillin aber hat die Syphilis ihren Schrecken verloren. „Es ist noch immer das Standardmittel“, so die Hautärztin.

Der Erreger, das Bakterium Treponema pallidum, neigt kaum dazu, Resistenzen zu bilden. Im frühen Erkrankungsstadium genügen meist zwei Spritzen des Medikaments. Bei späteren sind mehrere Spritzen oder Infusionen nötig.

Das weitaus größere Problem ist bei Syphilis die Diagnose. Zwar genügen dazu zwei einfache Bluttests. Der eine zeigt, ob schon einmal Kontakt mit dem Erreger bestand, der zweite, ob die Krankheit aktiv ist. Doch muss man da­rauf kommen, überhaupt auf Syphilis zu testen. „Sie gilt nicht umsonst als Chamäleon unter den Hauterkrankungen“, sagt Dr. Klaus Jansen vom Robert Koch-Institut.

Übertragen werden die Erreger vor allem durch Geschlechtsverkehr. Sie dringen durch winzige Risse in die Schleimhaut, wo sich rund drei Wochen später ein kleines Geschwür bildet. „Oft entsteht eine kleine Vertiefung mit einer Art Krater drum rum“, beschreibt der Experte für sexuell und durch Blut übertragbare Krankheiten. Sitzt es am männlichen Genital, ist es gut erkennbar. Doch kann es auch in After, Vagina oder an der Mundschleimhaut entstehen. „Syphilis kann dann selbst beim Küssen übertragen werden“, so Spornraft-Ragaller.

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In drei Schritten zum Wahnsinn

Da das Geschwür schmerzlos ist und von selbst wieder verschwindet, verpassen viele den Gang zum Arzt. Nach einigen Wochen bis Monaten kehrt die Syphilis meist zurück und zeigt ein neues Gesicht.

Im zweiten Stadium kommt es zu Hautausschlag, der häufig am ganzen Körper auftritt, typischerweise auch an Handflächen und Fußsohlen. „Das Aussehen des Ausschlags kann sehr unterschiedlich sein“, sagt Jansen.

Auch dieser verschwindet, bis das Leiden erneut aufflammt – teils erst nach Jahren. Dann kann es zu schweren Schäden in Organen, Knochen und Blutgefäßen kommen. Nerven werden ebenfalls oft befallen, etwa in Ohr, Auge oder im Gesicht. Am Ende kann der Erreger Rückenmark, Hirnhäute und Gehirn schädigen. Der Wahnsinn des Philosophen Friedrich Nietzsche und des Komponisten Robert Schumann waren wohl Endstadien der Syphilis.

Weniger Safer Sex

Auch wenn solche Spätfolgen heute selten sind: Warum kehrt die Erkrankung überhaupt zurück? Ein Grund ist der erfolgreiche Kampf gegen eine andere sexuell übertragbare Krankheit. Als die Aids-Angst umging, wurden Kondome zum Verkaufsschlager. „In der Folge gingen auch viele andere Geschlechtskrankheiten zurück“, sagt Jansen. Darunter Chlamydien, Gonorrhö – und eben die Syphilis.

Doch Aids hat seinen Schrecken verloren. Infizierte können heute sehr lange und sehr gut mit der Erkrankung leben. Medikamente drängen den Aids-Erreger so weit zurück, dass Infizierte nicht mehr ansteckend sind. Seit Kurzem können Gesunde vor einem möglichen Risiko- Kontakt zum Schutz vor Ansteckung eine HIV-Arznei einnehmen. Das alles ändert das Sexualverhalten, Safer Sex ist aus der Mode.

Der Großteil der entdeckten Syphilisfälle betrifft Männer, die mit anderen Männern intim sind. Oft besteht gleichzeitig eine HIV-Infektion. Ein Grund für das häufige Zusammentreffen: Durch regelmäßige Tests im Rahmen der HIV- Therapie werden Infektionen rasch erkannt. „Die Patientengruppe ist sehr gut über die Krankheit informiert“, sagt Spornraft-Ragaller.

Zwar trifft die Syphilis nicht nur Homosexuelle. In westlichen Ländern ist sie aber vor allem Männersache. Nur knapp sechs Prozent der Infizierten sind weiblich. Erkrankt eine Frau, wird dies im Schnitt allerdings später erkannt. Auch sie sollten bei einem Knubbel im Intimbereich aber bedenken: Es könnte die „Krankheit der Venus“ sein.

Beim Sexualverkehr können eine Reihe von Erregern übertragen werden. Wie man eine Infektion erkennt, erfahren Sie unter: www.liebesleben.de