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Seltsame Dinge passierten im Leben der Prinzen von Serendip, ständig machten sie unerwartete Entdeckungen. Entdeckungen, die auf „Zufall und Weisheit“ beruhten. So erzählt es ein altes persisches Märchen.

Wenig poetisch klingt der wissenschaftliche Begriff, der aus der Sage hervorgegangen ist: Serendipität. Er steht für glückliche Zufälle, die durch intelligente Schlussfolgerungen zu unerwarteten Entdeckungen führen.

Da haben wir aber Glück gehabt

Beispiele dafür gibt es auch in Medizin und Pharmazie. Neuseeländische Forscher haben versucht zu erfassen, wie oft der Zufall bei der Entwicklung aller heute in Arzneien enthaltenen Wirkstoffe beteiligt war. Bei mehr als fünf Prozent spielten demnach glückliche Umstände eine Rolle.

Zum Beispiel bei Penicillin, dem ersten Antibiotikum. Dessen Entdecker Alexander Fleming sagte: „Es war eine rein zufällige Beobachtung, und mein einziges Verdienst ist, dass ich sie nicht ignoriert habe.“

Es gibt auch Fälle aus der jüngeren Vergangenheit. So verliefen Tests für ein neues Herzmittel enttäuschend – bis die Pharmakologen auf eine unerwartete Nebenwirkung bei den männlichen Testpersonen stießen: Das Präparat verbesserte zwar nicht den Blutfluss im Herzen, aber den im Penis– und kam 1998 als Potenzmittel auf den Markt.

Sieben prominente Beispiele aus der Medizingeschichte:

1. Wo sind denn bloß die Bakterien hin?

Manch einer hätte sich zunächst ziemlich geärgert. Doch als der Schotte Alexander Fleming entdeckt, dass sich in den Petrischalen, in denen er Bakterien züchtet, ein Schimmelpilz breitgemacht hat, schaut er genauer hin.

Und staunt. Denn die Staphylokokken – bakterielle Erreger schwerer Infek­tionen – waren dort verschwunden, wo der Schimmel gewachsen war. Ein Ausscheidungsprodukt des Pilzes hatte ihnen den Garaus gemacht: das Penicillin. Damit hat Fleming 1928 das erste Antibiotikum entdeckt.

Erstmals eingesetzt wurde das Medikament 1940. Unzähligen Menschen hat es seither das Leben gerettet – und seinem Entdecker den Nobelpreis eingebracht.

2. Ich kann in den Körper hineinsehen!

Dem Bild einer Hand verdankt Wilhelm Conrad Röntgen eine der größten Entdeckungen der Medizin. Dafür bekam er 1901 den ersten Physik-Nobelpreis.

Eigentlich experimentierte er mit Kathodenstrahlen – wie viele Forscher damals. In einer Vakuumröhre bilden dabei Elektronen einen Lichtstreifen. Doch Röntgen fiel ein zweites Licht auf. Unsichtbare Strahlen ließen neben seiner Apparatur ein speziell beschichtetes ­Papier leuchten.

Um das Leuchten abzustellen, hielt er alle möglichen Dinge vor das Papier. Ein dickes Buch, Holzblöcke – und irgendwann auch eine Hand. Ob zuerst seine oder die seiner Frau (die Aufnahme ihrer Hand wurde später weltberühmt) – dazu existiert keine sichere Quelle. Jedenfalls hatte der Physiker eine Möglichkeit gefunden, ins Körperinnere zu schauen. „Man sieht die Knochen der Hand als dunkle Schatten“, berichtete er 1896 im Fachblatt Science.

Ein Patent auf seine Entdeckung meldete der bescheidene ­Forscher nicht an, sodass sich Röntgen-Apparate rasant verbreiteten. Von den Gefahren der Strahlung war noch nichts bekannt. Also dienten die Durchleuchtungsgeräte oft als Partygag. Und bis in die 1960er-Jahre prüfte damit so mancher Schuhverkäufer, ob die Schuhe dem Kunden wirklich passen.

3. Mmmh, das schmeckt ja ziemlich süß …

Seiner Haushälterin wollte Constantin Fahlberg die Schuld geben, als das Abendessen anders schmeckte als sonst. Sein Verdacht: Die Angestellte habe das Brot gesüßt. In Wahrheit klebten an den Händen des Wissenschaftlers Reste des ersten künstliches Süßstoffes, den er aus Versehen im Labor produziert hatte.

Fahlberg stand schon immer auf Süßes. Nach dem Studium der Chemie und Physik bereiste er Rohrzuckerplantagen in Mittel- und Südamerika. Nach der Rückkehr in die USA wurde er Gutachter für einen Zuckerimporteur, der Zweifel an der Qualität seiner Lieferungen angemeldet hatte und deshalb vor Gericht zog.

Mit diesem Auftrag fühlte sich Fahlberg nicht ausgelastet und führte an der Johns-Hopkins-Uni in Maryland (USA) verschiedenste Experimente durch. 1878 mischte er dabei versehentlich den ersten künstlich hergestellten Süßstoff an, der Geschmack blieb an den Fingern haften. Fahlberg taufte das Produkt „Saccharin“.

4. Kind, du siehst so anders aus!

Wunderheilung? Dieser Gedanke kann einem durchaus kommen, wenn man die Fotos betrachtet, die französische Ärzte 2008 veröffentlichten. Ein riesiger Blutschwamm bedeckt Auge und Gesicht eines vier Wochen alten Säuglings. Auf Bildern, die acht Monate später entstanden, ist die Geschwulst kaum noch zu erkennen.

Das „Wundermittel“: ein Herzmedikament aus der Gruppe der Betablocker. Nur weil ein Baby mit Blutschwamm auch am Herzen erkrankt war, ­hatten Ärzte die Wirkung der Arznei entdeckt. Der Erfolg bestätigte sich in einer Studie. Seit 2014 ist der Betablocker für die Therapie entstellender oder komplikationsträchtiger Blutschwämme zugelassen

5. Hey, warum teilt ihr euch jetzt nicht mehr?

Eigentlich wollte Barnett Rosenberg in den 1960er-Jahren analysieren, wie sich elektromagnetische Felder auf Bakterien auswirken. Dazu tauchte der Physiker Platin-elektroden in das Nährmedium der Keime. Die Folge: Die Bakterien teilten sich nicht mehr.

Ein Effekt des Stroms, dachte Rosenberg. Erst Jahre später ­erkannte er: Aus den Elektroden hatte sich Platin gelöst, mit Salzen der Nährlösung reagiert und so die Zellteilung gestoppt.

Ein Mechanismus, der auch Tumore am Wachsen hindern könnte? Rosenberg testete die ­Wirkung einer Platin-Substanz auf Mäusezellen. Durch Cisplatin ­teilten sich diese ebenfalls nicht mehr. Daraufhin setzte der US-Amerikaner den Stoff erfolgreich bei Krebspatienten ein. Seit 1978 ist Cisplatin als Chemothera­peutikum zugelassen. Bei Hodenkrebs kann es sogar heilend wirken.

6. Ihr seid aber von der langsamen Truppe …

Bakterien, die den Magen besiedeln? Das ist Quatsch! Niemals würden Keime das Bad in der Magensäure überstehen. So dachten in den 1980er-Jahren noch viele Wissenschaftler. Die Behauptung des Pathologen Robin Warren, er habe in Gewebe aus dem Magen unter dem Mikroskop Bakterien ausgemacht, nahm in Forscherkreisen kaum jemand ernst.

Nur in Robin Marshall fand er einen Fürsprecher. Der Internist glaubte ebenfalls fest daran, dass für Magenentzündungen und -geschwüre Keime verantwortlich seien. Gemeinsam wollten ­Marshall und Warren ihre These belegen – zunächst erfolglos. Die Bakterien ließen sich offenbar nicht in Nährlösung züchten. Nach zwei Tagen ohne eine Spur von Keimwachstum warfen die beiden ihre Kulturschalen stets weg.

Nur ein einziges Mal nicht. Über die Osterfeiertage kam keiner von ihnen ins Labor. Und siehe da: Jetzt hatten sich die Bakterien vermehrt. Die Erreger wuchsen einfach viel langsamer als gedacht.

Die Bakterienkulturen brachten 1983 schließlich den Durchbruch: Warren und Marshall identifizierten den Keim Helicobacter pylori als Übeltäter. Er ist es, der dem Magen zusetzt, nicht etwa Stress oder falsches Essen, wovon Mediziner lange Zeit ausgegangen ­waren. 2005 wurde das Forscher-Duo mit dem Nobelpreis belohnt.

7. Oh Gott, mir ist der Katheter abgerutscht!

Mit einem Katheter zum Ursprung der Hauptschlagader vordringen und dort ein Kontrastmittel hineinspritzen, sodass das Gefäß im Röntgenbild sichtbar wird – der Kardiologe Mason Sones galt als Spezialist für diesen Eingriff. An unzäh­ligen Patienten hatte er ihn bereits durchgeführt.

Doch als im Herbst 1958 ein 26-Jähriger auf seinem OP-Tisch lag, passierte Sones ein Missgeschick: Der Katheter verrutschte um wenige Millimeter und in die rechte Herzkranzarterie. Fast das komplette Kontrastmittel ergoss sich in das Blutgefäß. Im Chirurgieteam brach sofort Panik aus.

Gefäße um das Herz galten zu damaliger Zeit als tabu für Kathetereingriffe. Experten befürchteten lebensgefährliche Rhythmusstörungen. Doch Sones’ Patienten passierte überraschenderweise: nichts.

Damit hatte der – übrigens als überaus ehrgeizig bekannte – Kardiologe den Grundstein für viele moderne Therapien gelegt. Bei einem Infarkt beispielsweise lässt sich die Stelle, an der das Blutgefäß verschlossen ist, aufdehnen und mit einer Metallstütze offen halten. Bei Patien­ten, für die ein Eingriff am ­offenen Herzen nicht infrage kommt, können Herzklappen via Katheter eingesetzt werden.