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Erektile Dysfunktion: Ein uraltes Problem

Schlaffer Penis? Kein Problem! Man nehme einfach Pfeffer, Pökelsalz und Wolfsmilch, verreibe diese in Öl und streiche damit Glied und Leisten ein. Das zumindest rät der oströmische Arzt Aetius etwa 550 n. Chr. bei Potenzproblemen. Denn die gibt es wohl, so lange es schon Männer gibt: Die ältesten Beschreibungen von Impotenz finden sich auf fast 4000 Jahre alten Tafeln der Sumerer, einer antiken Hochkultur aus Mesopotamien. Dort wird „um göttliche Hilfe gegen die Impotenz gefleht“, so der Urologe Prof. Dr. Dieter Hauri, der der Geschichte der Impotenz ein Buch gewidmet hat.

Ein altägyptischer Papyrus aus etwa derselben Zeit enthält Heilmethoden gegen die Schwäche des männlichen Gliedes. Der römische Dichter Ovid beklagte vor rund 2000 Jahren eine nur schwer zu erklärende Impotenz angesichts einer mehr als attraktiven Geliebten. Und Heinrich IV., König von Kastilien im 15. Jahrhundert, erhielt sogar den unrühmlichen Beinamen „El impotente“. In der frühen Neuzeit war Impotenz einer der häufigsten Gründe, dass die Kirche einer Eheauflösung zustimmte. Unterzeichnet wurden die Scheidungsdokumente noch Ende des 18. Jahrhunderts mit „In causa divortii ex capite impotentia“. Zu deutsch: Ehescheidung aufgrund von Impotenz.

Impotent – Potenzstörungen – zeugungsunfähig

Eigentlich ist mit Impotenz fast immer die erektile Dysfunktion gemeint. Also das Problem, keine ordentliche Erektion bekommen zu können. Vor allem in der Vergangenheit konnte Impotenz auch Zeugungsunfähigkeit bedeuten.

Streifzug durch die Geschichte: Viele falsche Ideen

Wie Impotenz behandelt wird, hängt eng mit der Vorstellung zusammen, wie eine Erektion entsteht. Im antiken Griechenland glaubte man, dass diese hauptsächlich durch das sogenannte Pneuma zustande kommt: Man dachte also, der Penis würde ähnlich wie ein Fahrradschlauch mit Luft aufgepumpt. Blähende Dämpfe aus der Verdauung, so wurde angenommen, könnten den Effekt steigern. In der Folge empfahl man als Therapie Diäten und Nahrungsmittel, etwa süße Trauben.

Etwas abgewandelt wurde die Pneuma-Theorie durch die Säftelehre, auch Humoralpathologie genannt. Sie besagt, dass es im menschlichen Körper vier Säfte gibt: Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle. Je nachdem, in welchem Verhältnis diese Säfte stehen, können sie über Krankheit und Gesundheit entscheiden. Vor allem das Blut als warmer Saft wurde mit der Männlichkeit und der Erektion in Verbindung gebracht. Entsprechend bezeichnete man den Impotenten auch als „kalten Mann“. Wenn das Verhältnis der Säfte durch innere oder äußere Kälte gestört war, sollten zum Beispiel Hitzebehandlungen die richtige Balance und damit die Potenz wiederherstellen.

Anfang des 20. Jahrhunderts interpretierte Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, die meisten Fälle von Erektionsstörungen als psychisches Problem. Sie seien auf Neurosen, Vaterkomplexe oder Kastrationsängste zurückzuführen. Die Therapien bezogen sich auf die vermuteten psychischen Probleme. Bei körperlichen Ursachen half das aber nicht.

Dämonische Mächte: Hexenglaube und Impotenz

Besonders abstrus wurde es im 15. Jahrhundert. Der Hexenwahn griff immer weiter um sich. Im Hexenhammer, einem damals sehr einflussreichen Buch, schildert der Autor Heinrich Kramer seine kruden Ansichten: Hexen könnten Männer durch dämonische Verzauberungen impotent machen – oder ihnen gar die Geschlechtsteile komplett stehlen. Diese, bis zu 30 Stück, hielten sie dann angeblich wie Haustiere im Schrank und fütterten sie mit Hafer. Der Phallus-Baum, der im Mittelalter und in der Renaissance ein beliebtes Motiv war, hängt vermutlich mit dieser Theorie zusammen und bringt Teile davon sehr bildhaft zum Ausdruck.

Eine Abbildung des Phallus-Baumes im sogenannten Rosenroman aus dem 13. Jahrhundert.

Eine Abbildung des Phallus-Baumes im sogenannten Rosenroman aus dem 13. Jahrhundert.

Um das Jahr 1530 erklärte der Ulmer Stadtarzt Wolfgang Reichart Erektionsprobleme zwar immer noch durch den Hexenglauben. Er vermutete, dass die Impotenz eines Patienten durch dämonische Zauberei verursacht wurde. Als Therapie empfahl er aber nicht, die dämonischen Kräfte auszutreiben. Vielmehr hatte er einen ‚medizinischen‘ Blick auf die Sache: Denn er nahm an, dass die Hexe mit ihrem Zauber die Gefäße zwischen Herz und Penis gestört habe. Deswegen sei keine Erektion mehr möglich. Er folgerte, dass es genügen müsste, die Gefäße medizinisch zu behandeln. Obwohl noch religiöse oder dämonische Ursachen angenommen werden, setzt sich in der Therapie die medizinische Perspektive durch. Diese Tendenz nahm im Laufe der Neuzeit immer mehr zu.

Kaum zu gebrauchen: Heilmittel und Aphrodisiaka

Nach Heilmitteln gegen die männliche Impotenz hat man eigentlich immer gesucht. Doch dürfte es fast nichts gegeben haben, das besser gewirkt hätte als ein Placebo, ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff. Im alten China behandelte man Krankheiten mit Pflanzen, die dem erkrankten Organ ähnlich sahen. So sollte der Aronstab bei Erektionsproblemen helfen.

Da der Aronstab dem Penis ähnlich sieht, dachte man, man könne Erektionsprobleme damit behandeln.

Da der Aronstab dem Penis ähnlich sieht, dachte man, man könne Erektionsprobleme damit behandeln.

Gleiches gilt für den Liebstöckel, der die vermutete Wirkung sogar im Namen trägt. Doch nutzte man auch tierische Mittel, vor allem von besonders potenten Tieren. Dazu gehörte auch das Einhorn, von dessen Existenz man lange überzeugt war. Begehrt war vor allem sein Horn. Als Einhorn-Hörner gehandelt wurden Geweihe von Antilopen und Hirschen, vor allem aber Stoßzähne des Narwals. Dem Horn des Rhinozeros wurde ebenso eine potenzfördernde Wirkung nachgesagt, weswegen es noch heute Wilderern zum Opfer fällt. Auch die Hoden oder der Penis von Tieren waren beliebte Potenzmittel. So schildert Plinius der Ältere eine Behandlung mittels geölter Eselsgenitalien.

Wirkstoffe, die wirklich die Erektionsfähigkeit steigern, gab es kaum. Auch Aphrodisiaka wie „Spanische Fliege“, Strychnin und Yohimbin, die teils noch heute im Handel sind, bilden da keine Ausnahme. „Die einzige Substanz, die theoretisch in der Lage wäre, eine Erektion zu verbessern, ist Yohimbim“, erklärt Hauri. Aussagekräftige Studien gebe es hierzu allerdings nicht.

Spanische Fliege

Bei der sogenannten Spanischen Fliege handelt es sich eigentlich um den Ölkäfer (Lytta vesicatoria). Er ist giftig und kann orangerote Tropfen als Warnung an seine Feinde an den Beingelenken bilden. Nimmt man den darin enthaltenen Stoff Cantharidin ein, kann das zu Blasen- und Harnröhrenbrennen führen. Die Idee: Das solle zu besseren Erektionen führen. Marquis de Sade, nach dem der Sadismus benannt ist, wurde zu Tode verurteilt, nachdem er mehrere Prostituierte mit einer Überdosis vergiftet hatte. Und tatsächlich ist Cantharidin in der Überdosis gefährlich: Es kann zu inneren Blutungen, Leber- und Nierenversagen und auch zum Tod führen.

Ein Meilenstein: 25 Jahre Sildenafil

Hinter dem Namen Viagra steckt der Wirkstoff Sildenafil. Seine Entwicklung war ein „Meilenstein der Impotenzforschung“, so Hauri. Schon die Entdeckung der Wirkung war kurios: Gedacht war das Medikament ursprünglich als Mittel gegen Angina pectoris. Das sind Brustschmerzen, deren Ursache verengte Herzkranzgefäße sind. In Arzneimitteltests stellten sich bei den Probanden bald standfeste Nebenwirkungen ein. Das fiel auf, weil viele die im Versuch eingesetzten Tabletten laut Hauri nur „höchst ungerne zurückgaben“. Als man nachfragte, stellte sich heraus: Sie wollten die potenzsteigernde Wirkung nicht missen.

Wirkstoff der berühmten blauen Pille ist Sildenafil. Dessen chemische Bezeichnung trägt den komplizierten Namen: 1-{[3-(1-Methyl-7-oxo-3-propyl-6,7-dihydro-1H-pyrazolo[4,3-d]pyrimidin-5-yl)-4-ethoxyphenyl]sulfonyl}-4-methylpiperazin.

Wirkstoff der berühmten blauen Pille ist Sildenafil. Dessen chemische Bezeichnung trägt den komplizierten Namen: 1-{[3-(1-Methyl-7-oxo-3-propyl-6,7-dihydro-1H-pyrazolo[4,3-d]pyrimidin-5-yl)-4-ethoxyphenyl]sulfonyl}-4-methylpiperazin.

Bald darauf kam der Wirkstoff Sildenafil als erster seiner Art auf den Markt, weitere ähnliche Potenzmittel folgten. Es handelt sich hier um ein Paradebeispiel einer sogenannten Serendipität – einem Glücksfund der Arzneiforschung. In diesem Jahr feiert die blaue Pille ihr 25-jähriges Jubiläum.

Risiken von Sildenafil

Sildenafil und ähnliche Potenzmittel sind verschreibungspflichtig. Der Wirkstoff sollte unter anderem bei schweren Herzkreislaufproblemen oder auch bei anhaltendem niedrigen oder anhaltendem hohen Blutdruck nicht eingenommen werden. Auch vorangegangene Schlaganfälle oder Herzinfarkte sind Gegenanzeigen. PDE-5-Hemmer sollten deshalb nur nach ärztlichem Rat eingenommen werden. Vermeintliche Wundermittel, die im Internet angepriesen werden, sollten auf jeden Fall gemieden werden. Möglicherweise enthalten diese nämlich PDE-5-Hemmer, ohne dass dies angegeben ist.

Die Erektion: Auf den Blutfluss kommt es an

Dass die Arterien des Schwellgewebes maßgeblich für die Erektion verantwortlich sind, vermutete Johannes Müller, Professor für Anatomie und Physiologie in Berlin, im Jahr 1835. Was lange nicht bekannt war: Schon viel früher spekulierte der berühmte Universalgelehrte Leonardo da Vinci, dass ein Zufluss von arteriellem Blut den Penis versteife. Seine im 15. Jahrhundert in Geheimschrift verfassten Notizen wurden aber erst im 20. Jahrhundert erfolgreich übersetzt.

Heute weiß man: Entscheidend bei einer Erektion sind die Schwellkörper, die ähnlich wie ein Schwamm funktionieren: Indem mehr Blut in den Penis strömt, als hinausfließen kann, saugen sich diese quasi mit Blut voll. Dabei dehnen sie sich aus – der Penis wird steif. Hier kommen Wirkstoffe wie Sildenafil ins Spiel. Wegen ihrer Wirkweise heißen sie PDE-5-Hemmer: Indem sie ein bestimmtes Enzym (PDE-5) hemmen, bleiben die Blutgefäße im Penis länger weit gestellt. Es fließt mehr Blut in den Penis und dieser bleibt deshalb länger steif.

Gefäßcheck bei Potenzproblemen

Die erektile Dysfunktion ist fast immer von Durchblutungsstörungen verursacht. Sie kann ein Warnzeichen für ein mögliches Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko sein. Erektionsstörungen sollten deshalb insbesondere bei weiteren Risikofaktoren wie etwa Diabetes oder Bluthochdruck Anlass für einen Gefäßcheck sein. Weitere Ursachen für die erektile Dysfunktion finden Sie hier.

Moderne Methoden: Nicht bloß Medikamente

Die potenzsteigernden Pillen sind nicht die einzige moderne Behandlungsmethode: Bis heute eingesetzt wird zum Beispiel die Vakuumpumpe. Sie wird über den Penis gestülpt und erzeugt einen Unterdruck. Dieser saugt quasi Blut in den Penis. Obwohl das eine wirksame und kostengünstige Methode ist, Erektionen hervorzurufen oder zu verstärken, ist sie bei Patienten weniger beliebt.

Ähnliches gilt für die sogenannte Potenzspritze, mit welcher ein Wirkstoff direkt in den Penis injiziert wird. Aber: Die Wirkstoffe kann man teilweise auch als Gel auftragen, was die Anwendung erleichtert.

Tabletten haben einen großen Vorteil: Man kann sie unkompliziert einnehmen. Allerdings gibt es auch heute Formen der Erektionsstörungen, die nicht medikamentös behandelt werden können. Das kann bei Genitalverletzungen oder hormonellen Problemen der Fall sein. Teils sind dann Penisprothesen eine Möglichkeit. Sie werden in den Penis eingesetzt. Manche bestehen aus biegsamem Silikon, anderen können über eine Pumpe im Hodensack gefüllt und wieder entleert werden.

Digitale Hilfe: Die Potenz-App

Die Entwicklung indes geht weiter. Zum einen gibt es geringfügig veränderte Wirkstoffe (z. B. Vardenafil, Tadalafil), die unter anderem schneller und länger wirken. Zum anderen erreicht auch die Digitalisierung das Gebiet der erektilen Dysfunktion. So gibt es eine „Potenz-App“, die mithilfe des Smartphones helfen soll. Sie führt die Patienten durch ein 12-Wochen-Programm, das unter anderem aus speziellen Muskelübungen und leichtem Ausdauersport besteht.

Aber auch Übungen zur Achtsamkeit sowie sexual-therapeutische Inhalte sollen helfen. Gut zu wissen: Bei der App handelt es sich um eine sogenannte digitale Gesundheitsanwendung. Sie kann als Rezept verschrieben werden. Dann übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Eine größer angelegte Studie zur Wirksamkeit der App steht gerade vor ihrem Abschluss.

Der Urologe und Privatdozent Dr. Tobias Jäger von der Urologischen Praxisklinik in Essen hat die App schon wiederholt Patienten verschrieben. Die App wird laut ihm überwiegend sehr gut angenommen: „Insbesondere die jüngeren Männer sind hochmotiviert, aber auch die älteren Patienten bleiben da meist die vollen zwölf Wochen dran“, sagt er im „gesundheit-hören“-Podcast des Wort & Bild Verlags „’Ne Dosis Wissen“:

Ein großer Vorteil: Die App gewährleiste eine deutlich engmaschigere Betreuung der Patienten. Und die sind mit Sicherheit froh, dass sie nicht mit Eselshoden oder Strychnin behandelt werden.


Quellen:

  • Hoberman J, Yesalis C: Die Geschichte der androgen-anabolen Steroide. Spektrum der Wissenschaft: https://www.spektrum.de/... (Abgerufen am 11.09.2023)
  • Klassische Schriften zur erektilen Dysfunkton. Eine kommentierte Sammlung von Originaltexten aus drei Jahrtausenden. Hrsg. von Dirk Schultheiss/Christian G. Stief/Udo Jonas. Berlin 2004.

  • Ründal E.: „daß seine Mannschaft gantz unvollkommen sey“. Impotenz in der Frühen Neuzeit – Diskurse und Praktiken in Deutschland.. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften: https://journals.univie.ac.at/... (Abgerufen am 11.09.2023)
  • Ursin F, Rubeis G, Stege F: Impotenz und Hexenglauben: Ein medizinischer Traktat des Ulmer Stadtarztes Wolfgang Reichart (1486–1547). Urologe: https://link.springer.com/... (Abgerufen am 11.09.2023)
  • Dieter Hauri: Also sprach Casanova. Die Geschichte der männlichen Potenz und Impotenz und deren Behandlungen — von Venus zu Viagra. Frankfurt a/M 2018.