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Was ist eine diabetische Neuropathie?

Dauerhaft erhöhte Blutzuckerwerte bei Diabetes können auch die Nerven angreifen. Die sogenannte diabetische Neuropathie gehört zu den häufigsten Folgeschäden eines Diabetes. Bei rund jedem dritten Menschen mit Diabetes liegt gleichzeitig ein Nervenschaden vor. Da dieser anfangs keine Beschwerden verursacht, merken viele davon zunächst nichts.

Ist eine Neuropathie einmal einstanden, lässt sie sich nicht wieder rückgängig machen. Ihre Behandlung soll deswegen in erster Linie einer Verschlechterung entgegenwirken, Lebensqualität zurückgewinnen und Beschwerden verringern. Dafür stehen neben Schmerzmitteln verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Wahl. Welche die richtige ist, muss man im Einzelfall mit dem Arzt entscheiden und oft durch Ausprobieren herausfinden.

Die Bandbreite der Beschwerden ist bei diabetischen Nervenschäden sehr  groß. Je nachdem, welche Nerven geschädigt sind, unterscheiden Mediziner  zwischen der "sensomotorischen" und der "autonomen oder vegetativen" diabetischen Neuropathie.

Schäden im peripheren Nervensystem

Bei der sensomotorischen Neuropathie sind die Empfindungsnerven und die Bewegungsnerven im peripheren Nervensystem (also außerhalb von Gehirn und Rückenmark) beeinträchtigt. Die Folge können Störungen des Schmerz-, des Berührungs- oder des Temperaturempfindens sein. Auch chronische Schmerzen, Missempfindungen und Lähmungen sind möglich. Typisch für die sensomotorische Neuropathie ist, dass die Beschwerden zuerst an den Extremitäten auftreten, vor allem an den Füßen.

Schäden am vegetativen Nervensystem

Schädigungen des vegetativen Nervensystems werden als autonome Neuropathie bezeichnet. Das vegetative Nervensystem übernimmt im Körper zahlreiche Aufgaben und steuert die Tätigkeit vieler Organe. Je nach betroffener Körperregion kann eine autonome Neuropathie so unterschiedliche Folgen haben: So kann es sein, dass Betroffene einen Herzinfarkt nicht bemerken, wenn die entsprechenden Nerven am Herzen geschädigt sind. Ein solcher "stummer Infarkt" ist typisch bei Diabetes. Woran Sie einen Herzinfarkt erkennen können, lesen Sie hier.

Sind die Nerven am Magen-Darm-Trakt beeinträchtigt, können Verdauungsbeschwerden auftreten oder der Magen sich langsamer entleeren. Auch eine Blasenschwäche oder Erektionsprobleme sind mögliche Auswirkungen einer autonomen Neuropathie.

Ausgangspunkt für diabetischen Fuß

Darüber hinaus ist die diabetische Neuropathie eine wichtige Ursache für das diabetische Fußsyndrom: Weil das Schmerzempfinden vermindert ist, bleiben Verletzungen an den Füßen häufig unbemerkt. Begünstigt durch die meist gleichzeitig bestehenden Durchblutungsstörungen entstehen schlecht heilende Wunden, die sich entzünden und sich in die Tiefe des Gewebes ausbreiten. Das diabetische Fußsyndrom ist eine der Hauptursachen von Amputationen in Deutschland.

Mehr zu Symptomen, Vorsorge und Therapie:

Füsse

Diabetischer Fuß

Das diabetische Fuß-Syndrom ist eine häufige Folgeerkrankung bei Diabetes. Mehr zu Ursachen, Symptomen, Vorsorge und Therapie zum Artikel

Ursachen

Die genauen Mechanismen, die dazu führen, dass Diabetes die Nerven schädigt, sind bisher noch nicht eindeutig geklärt. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Enstehung einer diabetischen Neuropathie. Erhöhte Blutzuckerwerte nehmen aber einen zentralen Platz unter den Risikofaktoren ein. Je höher die Zuckerwerte im Blut, desto größer ist die Gefahr  einer Neuropathie. Auch mit zunehmender Diabetesdauer steigt das Risiko  für einen Nervenschaden an. Dabei gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes.

Zum einem beschädigt ein hoher Zuckerspiegel die Blutgefäße, die zu den  Nerven führen. Die Nerven erhalten dann nur unzureichend Sauerstoff. Zum  anderen setzt der Blutzuckerüberschuss wohl komplizierte  Stoffwechselprozesse in Gang, die die Nerven selbst beeinträchtigen.

Symptome

Eine Neuropathie bei Diabetes kann sich mit verschiedenen Anzeichen bemerkbar machen. Typische Symptome sind:

  • Verringerte Empfindlichkeit für Temperaturen oder Schmerzen
  • Brennende, bohrende Schmerzen
  • Kribbeln, Ameisenlaufen, Gefühl von Pelzigkeit
  • Taubheitsgefühl

Restless-Legs-Syndrom

Das Restless-Legs-Syndrom tritt ebenfalls häufig im Zuge eines diabetischen Nervenschadens auf. Zu den Symptomen zählen unangenehmes Spannungs- oder Druckgefühl der Beine in Ruhe, häufig abends, nachts oder beim Stillsitzen. Dazu können Empfindungen wie Kribbeln oder krampfartige Schmerzen kommen. Betroffene verspüren in Ruhehaltungen dann oft einen starken Bewegungsdrang.

Füße häufig zuerst betroffen

Bei der sensomotorische Neuropathie breiten sich die Symptome in der Regel von den Zehen, Füßen und Unterschenkeln nach oben aus. Typischerweise verschlechtern sich die Beschwerden im Liegen und bessern sich beim Gehen. Sind die Nerven betroffen, die für die Beinmuskulatur zuständig sind, kann sich das mit Gangunsicherheiten bemerkbar machen.

Ist das autonome Nervensystem beeinträchtigt, hängen die Beschwerden vom betroffenen Organ ab. Nervenschäden am Herz-Kreislaufsystem äußern sich etwa mit einem erhöhten Ruhepuls oder Störungen des Blutdrucks. Im Magen-Darm-Trakt sind Schluckstörungen, Sodbrennen, Völlegefühle oder Übelkeit mögliche Auswirkungen. Außerdem kann beispielsweise eine Blasenschwäche auftreten und das sexuelle Empfinden gestört sein.

Gestörte Unterzucker-Wahrnehmung

Schließlich wirkt sich ein diabetischer Nervenschaden manchmal auf die Blutzuckereinstellung selbst aus: So können die körpereigenen Mechanismen zur hormonellen Gegenregulation bei sinkendem Blutzuckerwerten gestört sein oder Betroffene den Abfall des Glukosespiegels schlechter wahrnehmen. Vor allem bei Diabetikern, die Insulin spritzen, drohen dann schwere Unterzuckerungen. Dieser Effekt kann zusätzlich durch eine langsamere Magenentleerung infolge einer Neuropathie verstärkt werden: Das zum Essen gespritzte Insulin wirkt dann schon, bevor die Kohlenhydrate aus dem Verdauungstrakt ins Blut übergegangen sind.

Betroffene sollten ihren den Blutzucker öfter überprüfen, um zu tiefen Werten vorzubeugen. Auch ein Unterzuckerwahrnehmungstraining kann sinnvoll sein.

Diagnose

Geschädigte Nerven äußern sich nicht immer mit wahrnehmbaren Anzeichen. Auch wenn sie keine Beschwerden haben, sollten Menschen mit Diabetes deshalb mindestens einmal jährlich bei einem Hausarzt oder Diabetologen ihre Nerven untersuchen lassen. Bei Typ-1-Diabetes ab dem fünften Erkrankungsjahr, bei Typ-2-Diabetes gleich nach der Diagnose. Denn letzterer wird oft erst spät entdeckt, sodass erhöhte Zuckerwerte über Jahre hinweg die Nerven und andere Regionen des Körpers angegriffen haben können. In Absprache mit dem behandelnden Arzt kann die Kontrolluntersuchung öfter als einmal jährlich ratsam sein.

Von Augencheck bis Zucker-Langzeitwert:

Diagnose der peripheren Neuropathie

Mit einfachen Untersuchungsmethoden lässt sich testen, ob ein Schaden der Empfindungs- und Bewegungsnerven vorliegt. Der Arzt prüft unter anderem:

  • Schmerzempfinden
  • Berührungsempfindlichkeit
  • Temperaturempfinden
  • Vibrationsempfinden
  • Achilles- und Kniesehnenreflex

Außerdem befragt der Arzt den Patienten zu seiner Krankheitsgeschichte (Anamnese) und nach bisher eingenommenen Medikamenten. Zur Diagnosestellung kann außerdem ein Blutbild sinnvoll sein. In Einzelfällen ist die Überweisung zu einem Facharzt für Nervenkrankheiten (Neurologe) hilfreich.

Diagnose der autonomen Neuropathie

Auch bei einer Schädigung der autonomen Nerven können die Angaben des Patienten für den Arzt aufschlussreich sein. Je nach Beschwerdebild und betroffenem Organ folgen weitere Untersuchungen.

Bei Verdacht auf eine autonome Neuropathie am Herzen ist zum Beispiel eine Messung der Herzfrequenzvariabilität hilfreich. Sie gibt an, wie gut die Nerven am Herzen auf wechselnde Anforderungen reagieren und den Schlagrhythmus anpassen können. Auch ein EKG oder ein 24-Stunden-EKG können hier einen ersten Aufschluss geben. Falls nötig, lässt sich mit einem Orthostase-Test eine Neigung zu Blutdruckabfällen nachvollziehen. Bei diesem wird die Veränderung des Blutdrucks gemessen, wenn der Patient aus dem Liegen schnell aufsteht.

Eine autonome Neuropathie der Magennerven, die die Muskulatur der Magenwand steuern, lässt sich oft schwer feststellen. Beschwerden wie Übelkeit, Völlegefühle oder Schluckstörungen lassen sich oft auf andere Ursachen zurückführen. Wenn der Verdacht auf eine Magenlähmung besteht, können im Einzelfall spezielle Untersuchungen durch einen Gastroenterologie (Facharzt für Magen-Darm-Erkrankungen) sinnvoll sein.

Therapie

Heilbar sind diabetische Nervenschäden nicht. Die Behandlung zielt in erster Linie darauf ab, die Beschwerden zu lindern und den Betroffenen zu mehr Lebensqualität zu verhelfen. Sie sollen zudem Wissen und Fähigkeiten erlernen, um mit der Erkrankung im Alltag zurechtzukommen. Darüber hinaus geht es darum es, eine weitere Verschlechterung der Nervenschäden zu verhindern.

Weiterentwicklung der Neuropathie stoppen

Mehrere Maßnahmen können dazu beitragen, eine Ausweitung der Beschwerden zu vermeiden oder zumindest zu bremsen. Eine gute Einstellung des Blutzuckerspiegels ist das A und O. Bluthochdruck ist ebenfalls ein Risikofaktor, der behandelt werden sollte.

Wer unter Nervenschäden leidet, sollte zudem unbedingt mit dem Rauchen aufhören und auf Alkohol nach Möglichkeit verzichten. Alkohol ist Gift für die Nerven: Er greift sie direkt an. Rauchen schädigt vor allem die Blutgefäße und kann dadurch indirekt die Nervenbahnen beeinträchtigen.

Eine Neuropathie sollte man außerdem nicht auf die leichte Schulter nehmen: Je länger eine zielgerichtete Therapie hinausgeschoben wird, desto eher werden die Schmerzen chronisch. Umgekehrt stehen die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung umso besser, je früher damit begonnen wird. Die genauen Ziele und Maßnahmen im Einzelfall klären Betroffene mit dem behandelnden Arzt ab.

Bei der Behandlung einer Neuropathie sollten sich die zuständigen Ärzte – Neurologe, Schmerztherapeut, Diabetologe und Hausarzt – eng miteinander abstimmen, um die geeignetste Therapie zu finden.

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Medikamente gegen die Schmerzen

Medikamente spielen eine wichtige Rolle, um die Schmerzen zu lindern, die infolge einer diabetischen Neuropathie auftreten. Menschen mit Diabetes sollten dabei nicht selbstständig zu rezeptfreien Schmerzmitteln greifen, sondern mit ihrem Arzt abklären, welche Behandlung in ihrem Fall angeraten ist. Dabei ist die genaue Diagnose ausschlaggebend.

Bei stärkeren Beschwerden haben sich Medikamente bewährt, die auch gegen Depression oder Epilepsie helfen. Sie setzen im Gehirn an und verringern die Schmerzwahrnehmung. Pflaster mit Capsaicin – einer Substanz, die in Chili-Pflanzen enthalten ist – können schmerzlindernd wirken. Die Wahl des Medikamentes richtet sich immer nach den individuellen Besonderheiten und möglichen Risikofaktoren des Betroffenen. Wenig geeignet zur Behandlung der Beschwerden bei Nervenschäden sind rezeptfrei erhältlichen Schmerzmittel. Aufgrund ihrer Nebenwirkungen eignen sie sich zudem nicht zur Daueranwendung.

Therapien mit Strom

Neben Arzneien gibt es weitere Behandlungsmethoden, die es auszuprobieren lohnt. Dazu zählen zum Beispiel elektrotherapeutische Verfahren, darunter die elektrische Nervenstimulation (TENS) oder die Hochtontherapie. Dabei werden Elektroden auf die Haut geklebt. Diese geben leichte Stromimpulse mit unterschiedlichen Frequenzen ab, welche die Weiterleitung der Schmerzempfindungen in den Nerven hemmen oder, wie bei der Hochtontherapie, den Zellstoffwechsel beeinflussen und dadurch schmerzlindernd sein sollen. Die Wirksamkeit dieser Verfahren ist aber nicht ausreichend durch Studien belegt.

Auch Physiotherapie, Kälte-Wärme-Behandlungen, Akupunktur oder Kneipp-Kuren können helfen, die Beschwerden zu lindern.

Eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung und beim Umgang mit Schmerzen spielt die Psyche. Eine Psychotherapie oder ein Schmerzbewältigungstraining können deshalb helfen, mit den Folgen der Nervenschädigungen besser zurechtzukommen. Auch soziale Kontakte, ein interessantes Hobby und andere erfüllende Aktivitäten im Alltag können dazu beitragen.

Vorsorge

Einen absoluten Schutz vor einem diabetischen Nervenschaden gibt es nicht. Trotzdem können Menschen mit Diabetes einiges tun, um ihr Risiko zu senken oder das Voranschreiten einer Neuropathie zu hemmen:

  • Auf gute Werte bei Blutzucker und Blutdruck achten. Die Therapieziele dabei mit dem Arzt absprechen
  • Abnehmen bei Übergewicht
  • Nicht rauchen
  • Keinen oder nur sehr wenig Alkohol trinken
  • Zur Vorsorge gehen: Mindestens einmal jährlich von einem Arzt auf Anzeichen eines Nervenschadens untersuchen lassen
  • Täglich die Füße untersuchen – gerade wenn bereits ein Nervenschaden vorliegt. Wie die richtige Fußpflege bei Diabetes aussieht, sehen Sie hier.
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Beratende Expertin

Professor Dr. Claudia Sommer ist leitende Oberärztin der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Würzburg