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Frau Overwiening, in der Corona-Pandemie haben die Apotheken viele neue Aufgaben übernommen. Wie geht es denn dem Apothekenpersonal nach zweieinhalb Jahren Pandemie?

Viele Mitarbeitende können nicht mehr, sind müde, erschöpft. Die Krankenstände sind hoch. Viele Inhaber haben Probleme, ihre Apotheken am Laufen zu halten.

Kritische Stimmen behaupten, Apotheken hätten durch die Coronapandemie sehr viel Geld verdient. Wie sehen Sie das?

Ich finde das sehr befremdlich. Meine Kolleginnen und Kollegen haben bis zum Äußersten gearbeitet. Wir haben Desinfektionsmittel hergestellt, Millionen Masken besorgt und verteilt, Impfzertifikate ausgestellt, getestet, geimpft, die Impfstofflogistik übernommen, nach Lösungen bei Lieferengpässen gesucht. Flächendeckend in Deutschland. Die Überstunden des Personals sind ins Unermessliche gewachsen. Wir hatten keinen Samstag oder Sonntag, haben durchgearbeitet.

Man merkt, dass Sie sich darüber wirklich ärgern.

Ja, wir waren immer da. Und warum sollten Apotheken auf das Honorar für die zusätzliche Leistung, die sie erbracht haben, verzichten? Ich finde da sollte man an ganz anderen Stellen ansetzen. Quasi jeder konnte Coronatests anbieten, viele haben sich da eine goldene Nase verdient. Da wurde wenig kontrolliert und leider viel betrogen.

Apotheker konnten in der Pandemie unter Beweis stellen, dass sie sehr verantwortungsvoll mit ihrer Kompetenz umgehen. Beispiel: die flexiblere Auswahl von Medikamenten bei Lieferengpässen.

Normalerweise müssen wir uns strikt an die Rabattverträge mit den Krankenkassen halten. Die Politik hat das gelockert in der Krise. Und durch die Flexibilität konnten wir Patientinnen und Patienten gut versorgen. Die Regelung soll nun verlängert werden und es wäre wirklich wichtig, wenn sie dauerhaft verstetigt würde. So haben wir einen größeren Entscheidungsfreiraum – zum Wohle der Patienten.

Lieferengpässe sind generell ein Problem. Wie fangen die Apotheken das auf?

Wir schauen zunächst, ob es andere Hersteller gibt, die den gleichen Wirkstoff haben. Dann, ob es den Wirkstoff in einer anderen Darreichungsformen oder Dosierung gibt. Vielleicht gibt es auch ein Präparat mit einem anderen, vergleichbaren Wirkstoff. Oder wir versuchen es über Importeure. Als es Lieferengpässe bei Tamoxifen, dem Mittel gegen Brustkrebs, gab, haben wir die Patientinnen nahezu hundert Prozent mit Ausweichpräparaten versorgt. Das ist natürlich eine besondere Leistung der Apotheke vor Ort…

… die der Versandhandel nicht leistet.

Ich hab zur Hochzeit der Tamoxifen-Lieferengpässe mal bei einem Versandhändler geguckt: Da stand bei allen Präparaten einfach nur „nicht lieferbar“.

Was müsste sich denn generell ändern, damit das Risiko für Engpässe sinkt?

Es müsste mehr in Deutschland und Europa produziert werden. Aber da sehe ich schwarz. Das Spargesetz von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, das Milliarden von der Pharmaindustrie fordert, fördert das wohl eher nicht.

Was dann?

Wir müssen uns fragen: Sind wir bereit, für die Versorgung in hoher Qualität und Verlässlichkeit zu bezahlen? Der Staat erhebt 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, er verdient an der Therapie seiner erkrankten Bürger mehr als Apotheker und Ärzte.

Laut dem Gesetzentwurf zur Stabilisierung der Krankenkassen sollen auch die Apotheken zur Kasse gebeten werden.

Schon jetzt muss eine Apotheke für jedes verschreibungspflichtige Medikament einen Nachlass von 1,77 Euro an die Krankenkasse geben. Das Bundesgesundheitsministerium plant, diesen Kassenabschlag auf zwei Euro zu erhöhen. Damit gehen uns pro Jahr mehr als 120 Millionen Euro zusätzlich verloren, die die Kassen bekommen.

Es gibt aber auch eine gute Nachricht. Apotheken können seit kurzem pharmazeutische Dienstleistungen anbieten, die die Krankenkassen bezahlen. Diese klagen allerdings dagegen.

Eingeführt werden die Leistungen trotzdem, die Klage hat keine aufschiebene Wirkung. Aber es ist bedauerlich und falsch, dass der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen den unabhängigen Schiedsspruch zur Einführung pharmazeutischer Dienstleistungen nicht akzeptiert. Er stellt sich damit gegen eine verbesserte Patientenversorgung.

Welche Chancen bieten die pharmazeutischen Dienstleistungen?

Große! Wir beraten die Patientinnen und Patienten, damit sie ihre Arzneimitteltherapien sicherer umsetzen können. Es gibt eine Menge Studien, die belegen, dass viele Menschen arzneimittelbezogene Probleme haben – etwa weil gefährliche Wechselwirkungen von Medikamenten auftreten. Nur jeder zweite Patient nimmt seine Arzneien während einer Langzeittherapie so ein, wie es der Arzt verordnet. Werden es fünf, sechs oder mehr Mittel, verlieren viele den Überblick.

Und die Folgen?

250.000 Menschen in Deutschland, so Schätzungen, landen deswegen jedes Jahr im Krankenhaus, 25.000 sterben daran.

Trotzdem wollen manche Ärztinnen und Ärzte Medikationsanalysen aber gar nicht so gern aus der Hand geben und wettern gegen die Apotheken.

Da frage ich mich, warum wir Apotheker und die Ärzte nicht einfach zusammenarbeiten. Selbstverständlich sollen Ärzte medizinische Leistungen anbieten und wir eben pharmazeutische. Wir sind Experten für Arzneimittel. Wir beschäftigen uns mehr mit Pharmakologie in unserem fünfjährigen Studium als Mediziner. In anderen Ländern läuft die Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern wunderbar. Da wird geschaut, wie man gemeinsam das Beste für die Patientinnen und Patienten rausholt.

Aber sind es eher die Standesvertretung oder die Basis, die Stimmung gegen die Apotheken machen?

Die breite Ärzteschaft ist es sicher nicht. Ich kenne viele Ärzte, die die Zusammenarbeit begrüßen und die Expertise der Apotheker schätzen.

In Deutschland gibt es ja schon Modellprojekte, bei denen Ärzte und Apotheker beim Medikationsmanagement zusammenarbeiten.

Genau. In Thüringen und Sachsen haben wir beste Erfahrungen gemacht. Im Projekt ARMIN bieten Ärzte und Apotheker dort gemeinsam für chronisch kranke Patienten ein Medikationsmanagement an. Damit schaffen es die Menschen besser, die Arzneimittel korrekt einzunehmen und die Therapie durchzuhalten.

Eine weitere Neuerung steht bevor, wird gerade getestet: das E-Rezept. Haben Sie selbst schon eines bearbeitet?

Ich persönlich nicht, aber mein Team in der Apotheke. Ein paar Anfangsschwierigkeiten gab es schon. Zum Beispiel konnte die Arztsignatur am Anfang bei den Krankenkassen nicht richtig ausgelesen werden. Man sieht in der Testphase, dass noch viel zu tun ist.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass es mit dem E-Rezept im Herbst richtig los geht?

Ich hoffe, dass das E-Rezept jetzt zum Fliegen kommt. Aber dazu müssen ja viele Faktoren passen, die technische Infrastruktur muss funktionieren, die Ärzte müssen vorbereitet sein, die Softwarehäuser müssen ihre Arbeit gemacht haben.

Aber die Apotheken sind bereit?

An das entsprechende Netz angeschlossen sind sie alle längst. Im Moment wird die Software in den Apotheken ergänzt und das Personal geschult. Sehr viele sind schon soweit. Aber ich prophezeie mal: In den ersten Wochen wird das Einlösen eines E-Rezepts für uns wesentlich mühsamer sein als das Bearbeiten des rosa Rezepts, weil die neuen Abläufe noch nicht eingeübt sind.

Die Leiterin des Hauptstadtbüros Tina Haase (links) und Chefredakteurin Julia Rotherbl (rechts) haben die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) Gabriele Regina Overwiening in Berlin getroffen.

Die Leiterin des Hauptstadtbüros Tina Haase (links) und Chefredakteurin Julia Rotherbl (rechts) haben die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) Gabriele Regina Overwiening in Berlin getroffen.

Haben Sie Angst, dass E-Rezepte verstärkt im Versandhandel landen?

Das E-Rezept gehört in die Apotheke vor Ort und kann unsere Serviceleistungen nur noch besser erlebbar machen. Schneller, bequemer und sicherer als durch die örtliche Apotheke bekommt man kein Arzneimittel. Im besten Fall sendet der Patient den E-Rezept-Code über die App an uns und wir liefern das Medikament innerhalb kürzester Zeit nach Hause. Mich bestätigt, dass der Versand mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Pandemiezeiten sogar noch abgenommen hat.

Sind die Apothekenkundinnen und -kunden denn digital fit?

Die Krise hat gezeigt, dass viele Menschen hier schon noch Unterstützung benötigen. Wir haben beispielsweise vielen die Corona-App für ihr Impfzertifikat heruntergeladen. Bei der Digitalisierung können sich die örtlichen Apotheken sehr gut einbringen. Die Apothekenteams nehmen den Menschen Berührungsängste und Vorbehalte. Vielleicht können wir das auch bei der elektronischen Patientenakte und dem elektronischen Medikationsplan.

Da kommt eine Menge auf die Apotheken zu. Die suchen aber händeringend Nachwuchs. Warum gibt es nicht genug?

Das ist ein vielschichtiges Problem. Viele Apotheker gehen derzeit in den Ruhestand. Und manch andere plagen Existenzängste. Das ist keine gute Werbung für den Arbeitsplatz Apotheke. Weit verbreitet ist auch das Arbeiten in Teilzeit. Dadurch braucht man insgesamt mehr Fachkräfte. Der Bedarf an Apothekern ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Und viele junge Leute möchten Pharmazie studieren. Nur ist die Zahl der Studienplätze nicht gestiegen. Das ist eine zentrale Forderung der Apothekerschaft: wir brauchen mehr Studienplätze für Pharmazie!

Was ist mit dem Gehalt?

Die Apotheke müsste wesentlich mehr Geld bekommen, auch damit sie höhere Gehälter bezahlen kann. Andere Arbeitgeber für Apotheker, zum Beispiel Krankenkassen, zahlen in der Regel deutlich mehr als es die öffentlichen Apotheken können.

Welche Rolle spielt denn die Anwerbung von ausländischen Fachkräften?

Eine große. Die Apothekenkammern haben den Auftrag, die Fachsprachen- und die Kenntnisprüfung abzunehmen. In den Kammern gibt es einen deutlichen Zulauf an Absolventen.

Kümmern sich die Kammern auch darum, dass die ausländischen Fachkräfte einen guten Einstieg haben?

Sie können natürlich an allen angebotenen Schulungen und Fortbildungen teilnehmen. Es gibt Kurse für Wiedereinsteiger, die da passen.

Und dann geht es direkt los in der Apotheke…

Ja genau. Das ist das Ansinnen und es gelingt im Allgemeinen sehr gut.

Sind die Apotheken vor Ort denn trotzdem gut für die Zukunft aufgestellt?

Ich glaube, dass es zum großen Teil auch an uns selbst liegt, mit wieviel Kraft, Zuversicht und Kreativität wir die Aufgaben annehmen. Gerade auch die pharmazeutischen Dienstleistungen sind ein Tor in die noch stärker heilberuflich geprägte Zukunft. Wir sollten versuchen, diese auszubauen, zum Beispiel Richtung Prävention. Menschen mit Diabetesrisiko zum Beispiel könnten wir noch besser erkennen.

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