Wichtige Medikamente regelmäßig einnehmen: So gelingt es
Arzneimittel wirken nicht bei Patienten, die sie nicht nehmen.“ Dieser Satz stammt vom amerikanischen Arzt Everett Koop. Eigentlich eine Binsenweisheit. Doch laut der Weltgesundheitsorganisation WHO nehmen etwa 50 Prozent der Menschen mit chronischen Erkrankungen ihre Medikamente nicht wie verordnet ein. Sie sind nicht therapietreu, wie Fachleute sagen.
Die Therapietreue, auch Adhärenz genannt, beschreibt, wie gut sich die erkrankte Person an einen mit ärztlichem Fachpersonal gemeinsam entwickelten Behandlungsplan hält. Die korrekte Einnahme von Arzneien ist meist der wichtigste Teil davon. Eine Lebensstiländerung, in Form von mehr Bewegung und Diät, kann ebenfalls dazugehören. Wie ist das bei Ihnen? Nehmen Sie Ihre Medikamente immer regelmäßig ein?
Nebenwirkungen schrecken ab
Manchmal stellt sich diese Frage gar nicht. Erkrankte, die unter besonders starken Beschwerden leiden, sind häufig therapietreuer. „Wenn etwa jemand mit Parkinson die Medikamente nicht nimmt, dann geht es ihm ziemlich abrupt schlecht. Daher ist die Adhärenz bei Parkinson relativ hoch“, sagt Professor Hans-Christoph Diener, Neurologe aus Essen.
Hat man dagegen erst einmal nur Nachteile durch eine Behandlung, fällt Therapietreue schwer. Ein gutes Beispiel: Präparate, die langfristig Migräneanfälle vorbeugen sollen. Am Anfang der Therapie kann es zu Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel und Kopfschmerzen kommen. Und zu keiner Besserung der Migräne. Die stellt sich erst nach einigen Wochen ein. „Das ist psychisch schon eine ziemliche Zumutung, wenn man erst mal nur Nebenwirkungen spürt und keinen positiven Effekt“, erklärt Diener. Daher brechen viele Migräne-Patientinnen und -Patienten die vorbeugende Behandlung ab.
Laut Neurologe Diener kommt auch folgende Situation in der Arztpraxis immer wieder vor: „Älteres Ehepaar. Auf die Frage, ob er regelmäßig seine gerinnungshemmenden Medikamente nimmt, nickt er und seine Frau schüttelt gleichzeitig den Kopf.“ Ertappt? Ein Appell: Seien Sie ehrlich – obwohl es Ihnen unangenehm ist. Ob man ein Mittel wie verschrieben einnimmt, lässt sich häufig im Blut nachweisen. Der Medikamentenspiegel sagt aus, wie viel Wirkstoff im Blut ist. Ist die Wirkstoffmenge des Arzneimittels im Blut sehr niedrig oder nicht nachweisbar, deutet das auf fehlende Therapietreue hin. Bei medikamentös behandeltem Bluthochdruck etwa ist fehlende Therapietreue der häufigste Grund dafür, dass die Werte nicht sinken.
Unterstützung in der Apotheke
In der Apotheke vor Ort fällt schnell auf, wenn jemand die Medikamente nicht nach Plan einnimmt. Zumindest bei Stammkunden. „Sollte die Packung dem Rezept zufolge nach drei Monaten leer sein, der Patient erscheint aber erst nach vier oder fünf, ist das meist ein Indiz für fehlende Therapietreue“, berichtet Dr. Miriam Ude, Apothekerin aus Darmstadt. Oft wird dann gezielt nachgefragt: „Wie nehmen Sie Ihr Arzneimittel ein?“ oder: „Wie häufig haben Sie Ihr Medikament in den letzten zwei Wochen vergessen?“
Ziel ist nicht, Sie als Kundin oder Kunden in Verlegenheit zu bringen, sondern Sie dabei zu unterstützen, Ihr Therapieziel zu erreichen. Erkrankungen, die eigentlich gut behandelbar wären, können bei fehlender Therapietreue dennoch schwere gesundheitliche Folgen haben. Lange Krankenhausaufenthalte zum Beispiel. Das verursacht Leid – und kostet den Staat jährlich Milliarden. 12,9 Milliarden Euro waren es laut Statista im Jahr 2013. Diese Kosten wären vermeidbar.
Was sind die Gründe für fehlende Therapietreue?
Die WHO nennt verschiedene Ursachen für fehlende Therapietreue. Ein Grund: Angst vor Nebenwirkungen. „Es gibt Patienten, die sehr akribisch jeden Beipackzettel lesen und sich Sorgen machen“, sagt Apothekerin Ude. Jede Firma muss alle bekannten Nebenwirkungen in der Packungsbeilage aufführen. Aber nicht jeder Patient oder jede Patientin leidet darunter.
Wichtiger Tipp: Medikamente nicht googeln! Infos aus dem Internet können verunsichern – oder sogar falsch sein. Ist Ihnen zudem nicht ganz klar, warum Sie diese Tabletten einnehmen sollen oder gegen was die helfen? Die WHO nennt mangelndes Verständnis für die Therapie als weitere Ursache, sich nicht an den Behandlungsplan zu halten. Fragen Sie in Ihrer Praxis nach, vor allem wenn Sie Mittel einnehmen, die von unterschiedlichen Ärztinnen und Ärzten verschrieben wurden. Bei Stammkundinnen und -kunden, die nur in einer Apotheke ihre Arzneien beziehen, hat diese einen gewissen Überblick. Sie kennt zwar nicht den Therapieplan – sieht aber alle Medikamentenbezüge.
Erinnerungshilfen für Medikamente
Schon wieder vergessen, die Tabletten zu nehmen? Das ist keineswegs nur ein Problem älterer Menschen. Im stressigen Alltag denkt man mitunter nicht an die Antibabypille oder Antibiotika. Erinnerungshilfen gibt es per App. Die handyfreie Variante ist der Tabletten-Wecker mit einem kleinen Fach für die Arzneien. Das Praktische: Klingelt der Wecker, sind die Tabletten griffbereit. Weitere Tipps: die Medikamente an den Ort legen, an den man morgens als Erstes geht. Die Kaffeemaschine zum Beispiel. Und für abends auf den Nachttisch.
Bei kurzen Therapien hilft ein Zettel am Badezimmerspiegel: „Tabletten nicht vergessen!“ Bei langen Therapien ist diese Methode laut Apothekerin Ude nicht ideal: „Der Zettel verschwindet irgendwann aus dem Sichtfeld, man registriert ihn einfach nicht mehr.“ Falls dennoch eine Tablette vergessen wird, ist das meist nicht dramatisch – solange es nur einmal passiert. Vergessenes Medikament auslassen oder Einnahme nachholen? Pauschal lässt sich das nicht beantworten, es ist von Wirkstoff zu Wirkstoff anders. Besser vorab mit Ärztin oder Arzt besprechen, was dann zu tun ist.
Nicht an die Tabletten gedacht – es geht Ihnen aber trotzdem gut? Bei Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes, die im Frühstadium oft keine Beschwerden verursachen, fällt Therapietreue schwer. Patientinnen und Patienten mit Epilepsie etwa sind oft jahrelang beschwerdefrei – mit Medikamenten. Das kann dazu verleiten, nachlässiger in der Einnahme zu werden. Die Folge: „Krampfanfälle nach langer anfallsfreier Zeit“, sagt Diener. Selbst wenn Ihre Beschwerden nachlassen, ändern oder beenden Sie nie Ihre Behandlung ohne ärztliche Rücksprache. Für alle, die aus Kostengründen auf eine Therapie verzichten – das ist nicht nötig! Die Belastungsgrenze für Zuzahlungen liegt bei zwei Prozent des jährlichen Haushaltsbruttoeinkommens, bei chronisch Kranken sogar bei nur einem Prozent. Daher: die Quittungen einfach bei der Krankenkasse einreichen.
Quellen:
- Consultant Adult Hematology, Department of Oncology - MBC 64, King Faisal Specialist Hospital & Research Centre, PO Box 3354, Riyadh 11211, Saudi Arabia: Adherence to Long-term Therapies Evidence for Action, Adherence to long-term therapy, evidence for action is an excellent report about a worldwide problem of striking magnitude.. NIH - National Library of Medicine : https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 09.05.2022)
- Dr. L. Reiter/ DAZ: Drohender Anfall , Mangelnde Therapietreue bei Epileptikern – Ursachen und Maßnahmen. DAZ Online: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/... (Abgerufen am 10.05.2022)
- Statista 2022: Vermeidbare Kosten im deutschen Gesundheitswesen im Jahr 2013 . Statista: https://de.statista.com/... (Abgerufen am 09.05.2022)
- AOK : Zuzahlung: Wann eine Befreiung möglich ist. AOK: https://www.aok.de/... (Abgerufen am 09.05.2022)
- ABDA: PHARM-CHF, Kann eine optimierte Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und wohnortnahen Apotheken die Therapietreue bei Patienten mit chronischer Herzmuskelschwäche verbessern und Arzneimittelrisiken verringern?. ABDA: https://www.abda.de/... (Abgerufen am 10.05.2022)