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Bei der Gendermedizin geht es darum, dass unterschiedliche Geschlechter auch unterschiedlich krank werden und entsprechend behandelt werden sollten. In der Vergangenheit wurde mehr an Männern geforscht. Aber wir wissen heutzutage, dass Frauen und Männer verschieden auf Medikamente reagieren und ihre Beschwerden anders sein können. Deswegen ist das Ziel der Gendermedizin, diese Unterschiede zu erforschen und die Erkrankten je nach Geschlecht passend zu behandeln.

Bluthochdruck ist ein Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall

Professor Burkhard Sievers, Chefarzt der Medizinischen Klinik I am Sana-Klinikum Remscheid hat die Zusatzbezeichnungen Hypertensiologie und Gendermedizin. Er kennt sich also aus mit hohem Blutdruck und medizinischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern.

Wenn der Blutdruck zu hoch ist, dann ist das Risiko für Folgekrankheiten wie Herzinfarkt und Schlaganfall erhöht. „Er ist einer der tückischsten Risikofaktoren, weil man den Bluthochdruck lange Zeit nicht merkt. Er tut ja nicht weh, es sei denn, der Blutdruck ist wirklich sehr hoch“, warnt Sievers. „Man muss sich das so vorstellen: Wenn das Blut mit sehr hohem Druck durch die Gefäße pfeift, dann raut sich die Gefäßwand auf, dann kommt es zu Ablagerungen und zu Engstellen. Diese Gefäßablagerungen können sich lösen und dann mit dem Blutstrom ins Gehirn geschwemmt werden und dort einen Schlaganfall provozieren. Sie können auch in den Herzkranzgefäßen zum Herzinfarkt führen.“

Vor den Wechseljahren schützt bei Frauen Östrogen die Gefäße

Deswegen ist es wichtig, den Blutdruck regelmäßig zu messen und ihn bei zu hohen Werten zu senken. Von Bluthochdruck spricht man, wenn man mehrmals Werte über 140/90 mmHg misst. Dann veranlasst die Ärztin oder der Arzt üblicherweise eine 24-Stunden-Blutdruck-Messung mit einem tragbaren Gerät, um die Diagnose zu bestätigen.

Wichtig: Den Blutdruck regelmäßig messen - oder messen lassen

Wichtig: Den Blutdruck regelmäßig messen - oder messen lassen

Bei Frauen und Männern kommt ein zu hoher Blutdruck ungefähr gleich häufig vor. Aber wenn man ihn im Verlauf des Lebens betrachtet, gibt es einen wichtigen Unterschied.

„Bei den Jüngeren ist es zunächst erst einmal so, dass die Männer beim Auftreten von Bluthochdruck vorne liegen, weil die Frauen bis zu den Wechseljahren noch durch die Östrogene geschützt sind. Aber bei den über 65-Jährigen schnellt der Blutdruck bei den Frauen in die Höhe und da gleichen sich Frauen und Männer wieder an.“

Ein Grund dafür ist das Hormon Östrogen, das bei Frauen nach den Wechseljahren weniger im Blut vorhanden ist. Östrogen hält die Gefäße elastisch. Fehlt es, werden die Gefäße steifer und der Blutdruck deswegen höher. Leider könne man nicht so einfach das Östrogen als Medikament ersetzen, sagt Sievers: „Durch so eine Behandlung kann das Risiko zum Beispiel für Brustkrebs und Thrombosen steigen.“

Viele Faktoren lassen den Blutdruck bei Frauen steigen

Der Blutdruckanstieg beginnt bei Frauen nicht erst mit den Wechseljahren. Er steigt laut einer Studie schon vorher steiler an als der Blutdruck der Männer. Denn nicht nur das Östrogen spielt eine Rolle. Auch andere Unterschiede, etwa kleinere Gefäße könnten einen Einfluss haben.

Auch die Rolle von Frauen in unserer Gesellschaft kann zu hohem Blutdruck beitragen: „Frauen haben häufiger eine Doppelbelastung oder Dreifachbelastung: Kinder, Teilzeitjob, Einkaufen, Essen kochen und so weiter. Das ist natürlich eine Belastung, die zu Stress führt und eine dauerhaft erhöhte Stresshormon-Ausschüttung kann zu Bluthochdruck beitragen“, erklärt Sievers. Es lohne sich gerade auch, bei Jüngeren frühzeitig hin zu schauen. „Bei den Frauen ist häufig das Problem, dass sie zuerst sehr niedrigen Blutdruck haben, der sich mit zunehmendem Alter dann sozusagen normalisiert oder besser an die gültigen Unisex-Normwerte angleicht. Die Frau denkt sich super, ich habe ja einen normalen Blutdruck. In Wirklichkeit ist der Blutdruckanstieg bei den Frauen aber deutlich höher als bei den Männern, da das Ausgangsniveau bei den Frauen niedriger ist. Durch gerade diesen starken Blutdruckanstieg hat sie bereits trotz noch „normalen“ Blutdruckwerten ein deutlich erhöhtes Risiko für spätere Erkrankungen.“

Risiko für Gefäßerkrankungen schon bei niedrigeren Werten als bei Männern

Studien geben nämlich Hinweise auf ein Problem: Frauen haben möglicherweise schon bei niedrigeren Blutdruckwerten ein erhöhtes Risiko für Folgeschäden wie Schlaganfall. Zum Beispiel stieg das Schlaganfallrisiko bei Frauen schon bei durchschnittlichen systolischen Ruhe-Blutdruckwerten von 120 bis 129 mmHg statistisch signifikant an. Männer hatten erst bei Werten von 150 bis 159 mmHg ein statistisch messbares höheres Risiko.

Die Leitlinie definiert bei sonst gesunden Frauen und Männern ohne weitere Risikofaktoren den Blutdruck erst ab Werten von 140/90 mmHg als behandlungsbedürftig. Wenn die Ärztinnen und Ärzte sich an diesem Grenzwert orientierten, bevor sie mit der Behandlung anfingen, sagt Sievers, „dann tolerieren wir für eine recht lange Zeit dieses Risiko, bis der Blutdruck bei der Frau über diesen Wert steigt. In dem Augenblick haben wir wahrscheinlich schon viele Jahre einen erhöhten Blutdruck bei Frauen, der aber in unserer Definition noch nicht erhöht ist.“

Wieso werden die Leitlinien dann nicht entsprechend geändert? Sievers betrachtet diese Studien eher als erste Hinweise: „Es könnte sein, dass man tatsächlich für Männer und Frauen unterschiedliche Grenzwerte nehmen muss. Es kann durchaus sein, dass bei Frauen der Zielblutdruck bei 120/70 oder 120/75 mmHg sein sollte, während bei Männern vielleicht 135/85 mmHg ausreicht. Um das herauszufinden, brauchen wir noch weitere Studien.“

Frauen und Männer in Studien getrennt auswerten

Damit Forschende mit Studien getrennte Ergebnisse für Männer und Frauen bekommen, müssen sie beide Gruppen getrennt auswerten und auch die unterschiedlichen hormonellen Phasen der Frauen berücksichtigen. Denn die Biologie weiblicher Körper unterscheidet sich von der männlicher Körper. Das ist wichtig, wenn man etwa die Wirkung von Medikamenten untersucht. Sievers führt aus: „Die Frauen haben einen unterschiedlichen Fettanteil im Vergleich zu Männern. Es gibt Medikamente, die sind überwiegend fettlöslich oder wasserlöslich und der Körper verstoffwechselt sie dann anders. Frauen haben eine andere Größe, das Fettgewebe und die Muskelmasse sind anders verteilt als bei Männern. Es gibt viele Punkte, die man beachten muss.“

Der Experte ist außerdem dafür, dass Studien nicht nur zwischen Frauen und Männern unterscheiden, sondern auch zwischen Frauen in unterschiedlichen Altersstufen. „Wir wissen, dass der Hormonstatus der Frau, der sich im Laufe der Jahre ändert, zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Diese Unterscheidung zwischen vor, während und nach der Menopause wird in den Studien heute bis auf wirklich wenige nicht gemacht.“ Denn das sei aufwändiger, teurer und dauere deutlich länger.

Für das dritte Geschlecht gilt das genauso. Denn die Medizin wird immer individueller und Menschen lassen sich nicht nur in zwei Geschlechtergruppen einteilen.

Die Dosierung von Blutdruckmedikamenten ist häufig falsch

Die Behandlung von hohem Blutdruck wird kompliziert, wenn Frauen und Männer in Medikamenten-Studien nicht getrennt betrachtet werden. Sievers erzählt, dass Ärztinnen und Ärzte bei Frauen häufig mit einer zu hohen Dosierung von Medikamenten beginnen. Er schätzt, dass sie wahrscheinlich eine 20 bis 30 Prozent geringere Dosierung als Männer bräuchten. Aber viele Ärztinnen und Ärzte nähmen die übliche Standardtherapie, die auch im Beipackzettel empfohlen wird. Da würde auch nicht unterschieden, dass Frauen eine andere Dosierung haben sollten als Männer.

„Nach drei bis fünf Tagen kommt es zu einer zu starken Senkung und deswegen mehr Nebenwirkungen bei den Frauen. Die sagen dann schnell: „Das Medikament vertrage ich nicht.“ und lassen es weg – dann bleibt der Blutdruck unbehandelt. Wenn eine Frau negative Erfahrungen mit der Medikation gemacht hat, ist bei ihr die Bereitschaft, die Tabletten weiterhin zu nehmen, natürlich schon angeschlagen.“ Sievers rät seinen Kolleginnen und Kollegen, sich bei der Medikamentendosierung Zeit zu nehmen und auf die Reaktion des Körpers und den hormonellen Status zu achten. Patientinnen und Patienten hingegen sollten ein verordnetes Medikament nicht einfach selbständig absetzen, sondern ihre Beobachtungen mit der Ärztin oder dem Arzt besprechen. So lässt sich die passende Lösung finden.

Wie die Situation der Frauen verbessert werden kann

Mehr Forschung an Frauen, mehr Vorsicht bei der Medikamentendosierung, das ist ein Anfang, damit Bluthochdruck bei Frauen besser behandelt wird. Sievers erinnert daran, was besonders wichtig ist, damit Frauen weniger Stress haben: „Dass nicht nur Frauen Arbeit machen - da muss sich Geist und Wille der ganzen Gesellschaft ändern. Und insbesondere müssen dafür die Strukturen geschaffen werden.“

Aber natürlich können Frauen auch selbst darauf achten, hohem Blutdruck vorzubeugen. Sievers rät ihnen:

  • Arbeit auch mal abgeben: Wo das möglich ist, sollen sie sich selbst Freiräume schaffen und zur Ruhe kommen.
  • Ausdauersport: Je nachdem, was einem gesundheitlich möglich ist und Freude bereitet: Joggen, Walken, Schwimmen, Fahrradfahren und das ungefähr 35 bis 40 Minuten, drei- bis fünfmal die Woche. Das macht den Kopf frei und kann den Blutdruck senken, damit machen sie aktiv etwas für Herz, Lunge, Kreislauf, Gefäße und für die Durchblutung aller Organe - und können vielleicht sogar Medikamente einsparen. Wer schon unter Bluthochdruck oder anderen Erkrankungen leidet oder länger keinen Sport mehr getrieben hat, lässt sich vorher sicherheitshalber beim Arzt beraten, welche Sportarten und Intensität für ihn geeignet ist.
  • Ernährung: Eine sogenannte mediterrane Ernährung ist gut für den Blutdruck. Nicht so häufig Fleisch essen und mehr Gemüse, wenig Salz und Zucker.
  • Mentales Training: Das können ganz unterschiedliche psychologische Methoden sein. Neben Entspannungsübungen ist das Ziel, dass psychische Faktoren weniger den Blutdruck beeinflussen.

Der Experte relativiert: „Natürlich kriegt nicht jede Frau alles umgesetzt, aber vielleicht ein oder zwei Bausteine davon, das wäre schon mal ein guter Fortschritt.“

Sonderfall Schwangerschaft

In einigen Lebenssituationen betrifft hoher Blutdruck Frauen besonders - nicht nur nach den Wechseljahren. Der Schwangerschafts-Bluthochdruck kann für Frau und Kind lebensbedrohlich werden, er kann die Nieren und Leber schädigen, eine vorzeitige Plazentaablösung und Krampfanfälle auslösen. Eine Studie gibt den Hinweis, dass die Frauen den Bluthochdruck sogar an ihre Töchter weitergeben könnten. Deswegen sollten Schwangere regelmäßig ihren Blutdruck messen. Zur Behandlung sind bestimmte Blutdruckmedikamente geeignet, die auch während der Schwangerschaft gegeben werden dürfen. Und auch nach der Schwangerschaft sollte man den Bluthochdruck nicht einfach wieder vergessen. Forschende haben herausgefunden, dass Frauen mit Bluthochdruck in der Schwangerschaft später besonders gefährdet sind für Folgeschäden. Professor Burkhard Sievers rät: „Deswegen sollte man auch nach der Schwangerschaft noch in regelmäßigen Abständen immer wieder den Blutdruck messen und hin und wieder mal eine Langzeitmessung durchführen lassen.“

Schwangere lässt ihren Blutdruck messen

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Nicht nur der Blutdruck kann den Blutgefäßen schaden

Was man aber nicht vergessen sollte: Nicht nur Bluthochdruck ist ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie den Herzinfarkt. Es kommt immer auf ein Zusammenspiel von Risiken an. Dazu gehören etwa auch Rauchen, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes mellitus, Übergewicht und Alter. All diese Risikofaktoren sollte man im Blick behalten, um sich vor Folgeerkrankungen zu schützen.