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„Wir müssen reden“, sagt die Berliner Dermatologin Dr. Yael Adler über die Beziehung von Patientinnen und Patienten zu ihren Behandelnden. Klingt nach Partnerschaft, klingt nach Stress – und dies ganz bewusst. Denn das spezielle Verhältnis ähnelt durchaus einer Liebesbeziehung ohne Libidoanteil, findet Yael Adler. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum es sich dringend verbessern muss – und was beide Seiten dafür tun können.

Frau Dr. Adler, Sie finden, das Verhältnis von Patientinnen und Patienten zu ihren Behandelnden gleicht durchaus einer Beziehung, wie wir sie zu unseren Liebsten haben. Inwiefern?

Beide Beziehungen können nur funktionieren, wenn wir einander vertrauen. Denn unserer Ärztin oder unserem Arzt müssen wir die Wahrheit über unseren Gesundheitszustand mitteilen – ihm also intimste und auch unangenehme Dinge über unseren Körper anvertrauen. Unsere Ärztin, unser Arzt sieht uns nackt, kennt Details, die wir teilweise nicht einmal unserem Lebenspartner erzählen. Wir gehen auch ein Bündnis: für Heilung. Nur, wenn wir ehrlich sind, kann die Ärztin oder der Arzt die richtigen Maßnahmen ergreifen, um uns zu therapieren.

Sie haben ein ganzes Buch über dieses Thema geschrieben: „Wir müssen reden, Frau Doktor!“. Gab es einen konkreten Auslöser?

Ich hatte mich für mein vorheriges Buch intensiv mit Körpertabus beschäftigt. Also mit Dingen, die Patientinnen und Patienten quälen, aber über die man häufig nicht oder nur sehr ungern spricht. Was in der Folge dazu führt, dass man Krankheiten verschleppt, so dass sie die eigene Lebensqualität unnötig verschlechtern oder schlimmstenfalls unheilbar werden. Oder auch dazu, dass andere sich anstecken. Doch wie kann man mit Ärztin oder Arzt über solch vermeintliche Tabus oder brenzlige Situationen sprechen, wenn das Vertrauensverhältnis nicht stimmt?

Woher wissen Sie denn, dass das so ist?

In einem Aufruf in den Sozialen Medien hatte ich die Userinnen und User gefragt, wie sie sich ihre ideale Ärztin, ihren idealen Arzt vorstellen, und mich nach ihren Erlebnissen erkundigt. Innerhalb von drei Stunden bekam ich jedoch hunderte Rückschriften, fast ausschließlich mit Horror-Geschichten. Da wurde mir klar, dass grundsätzlich etwas im Argen liegt.

Was meldeten die Userinnen und User zurück?

Einige waren von Situationen mit ihren Behandelnden enttäuscht, andere verzweifelt, manche gar traumatisiert. Fast alle fühlten sich alleingelassen. Aus den Zuschriften wurde offenbar, dass viele Vorwürfe jenen gleichen, die auch in einer scheiternden Liebesbeziehung gemacht werden.

Warum ist das fatal?

Wenn das Verhältnis gut ist, entspannt man sich. Heilung ist dann wahrscheinlicher. Ist das Verhältnis schlecht, schüttet unser Körper das Stresshormon Cortisol aus. Es unterdrückt das Immunsystem. Das kann den Heilungsprozess stören. Auch die Compliance ist schlechter, wenn wir kein Vertrauen zu unserer Ärztin oder unserem Arzt haben. Compliance ist die Bereitschaft, aktiv an einer Therapie mitzuwirken. Vertrauen ist in dieser Beziehung also lebenswichtig. Wenn die Kommunikation zwischen Patientinnen und Ärztinnen scheitert, ist das mit einem Kunstfehler vergleichbar.

Zurück zu den Vorwürfen, die jenen in einer Liebesbeziehung gleichen: Welche sind das?

„Du verstehst mich nicht“ wäre einer: Wir Ärztinnen und Ärzte haben häufig die einfachsten Kommunikationsregeln nicht gelernt. Viele wissen deshalb nicht, dass es in Gesprächen immer eine Sach- und eine Emotionsebene gibt. Dass es etwa in einem schwierigen Gespräch über eine Diagnose wichtig wäre, die schlechten Neuigkeiten mit einer mitfühlenden Mimik und einer zugewandten Körperhaltung zu überbringen. Das geht über in den nächsten Vorwurf „Du fühlst nicht mit mir“: Viele Menschen werden Ärztin oder Arzt, weil sie helfen wollen. Wegen überbordender Verwaltungsaufgaben sind sie oft im Stress und haben keine Zeit für Empathie. Oder die fehlt ihnen schlicht, weil sie fachlich für den Arztberuf geeignet sind – aber nicht menschlich. Patientinnen und Patienten spüren das.

Welche Vorwürfe gibt es noch?

„Nie hast du Zeit für mich“ wäre ein weiterer. Das liegt natürlich auch am Gesundheitssystem. Die Kassenmedizin bezahlt Ärztinnen und Ärzte nicht für Gespräche, oder zumindest nicht ausreichend. Durch Zeitmangel leidet häufig auch die Anamnese. In Deutschland haben wir im internationalen Vergleich kurze Arzttermine. Aber mit die häufigsten. Ich bin überzeugt, dass ein Teil der Termine wegfallen würde, wenn Behandelnde mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten hätten. Ein Beispiel aus meiner Hautarztpraxis: Wenn ich einer Patientin mit Hautekzem nur eine Kortisonsalbe verschreibe und sie dann wegschicke, ist es gut möglich, dass ihr Ekzem immer wieder aufblüht. Denn wichtig ist auch, dass ich ihr zum Beispiel mitteile, welche Handseife sie benutzen sollte. Allerdings ist Zeit nicht in jedem Fall ein Qualitätsmerkmal. Ein guter Arzt kann auch innerhalb kurzer Zeit eine tragende Beziehung aufbauen und gut behandeln.

Waren das die Hauptkritikpunkte, die Sie bei Ihren Recherchen festgestellt haben?

Zwei weitere Vorwürfe kommen hinzu: „Du nervst nur noch“ und „Ich vertraue dir nicht mehr.“ Patientinnen und Patienten berichten zum Beispiel von nervigen Arztsprüchen – „Wie geht es uns denn heute?“, von Lästereien über Kolleginnen und Kollegen, darüber, wie manche Behandelnde die Schweigepflicht brechen, und von unfreundlichem und unsensiblem Personal am Empfang.

Schlimmstenfalls ist das Vertrauensverhältnis irgendwann so gestört, dass es zur Trennung kommt.

Genau. Ich finde, wir Ärztinnen und Ärzte sollten verpflichtend einen Kommunikationskurs belegen, in dem sie unter psychologischer Supervision zum Beispiel gefilmt werden und Rollenspiele machen. So können sie einen respektvollen und wertschätzenden Umgang lernen. Und zum Beispiel nicht schon nach 20 Sekunden eine Erzählung ihrer Patientin, ihres Patienten unterbrechen, wie es häufig passiert. Mein Eindruck ist: Die jüngere Generation der Medizinerinnen und Mediziner ist etwas sensibler. Dennoch sollte im Studium stärker vermittelt werden, dass es neben medizinischem Wissen noch mehr Fähigkeiten bedarf, um eine gute Ärztin und ein guter Arzt zu sein. Gelingende Kommunikation ist ein Heilmittel.

Was könnten Patientinnen und Patienten tun, um die Kommunikation zu verbessern?

Es hilft, wenn sie ihren Behandelnden in erster Linie als Mensch mit Stärken und Schwächen sehen. Und dann erst als Ärztin oder Arzt. Wer ein schlechtes Bauchgefühl bei sich wahrnimmt oder sich oberflächlich behandelt fühlt, sollte das ansprechen – am besten als ein Gefühl, nicht als Vorwurf. Das ändert zwar nicht das Gesundheitssystem, schafft aber ein Bewusstsein auf der anderen Seite.

Gibt es auch auf Patientinnenseite No-Gos?

Durchaus. Sie sollten ihre Behandelnden nicht anschwindeln, weil sie sie als angsteinflößende Moralinstanz ansehen, ähnlich Mama oder Papa. Sie sollten versuchen, ihre Beschwerden möglichst genau zu erklären, ohne abzuschweifen. Sie sollten nicht aus Langeweile Arzttermine vereinbaren oder mehrere gleichzeitig in verschiedenen Praxen – und die dann nicht absagen. Und sie sollten ihre Ärztin, ihren Arzt nicht wie in einer Quizshow testen.

Welche Tipps haben Sie noch für ein besseres Miteinander?

Ich finde es generell wichtig, dass Patientinnen und Patienten sich menschlich auf Augenhöhe und mündig fühlen – und sich als eigenverantwortliche Partner ihrer Behandelnden sehen. Das beinhaltet für den Einzelnen, sich selber aus seriösen Quellen zu informieren, gerne auch im Internet. Und nicht die komplette Verantwortung abzugeben, im Sinne von: Ich zahle ja schon meine Versicherung. Arzt, mach mich mal gesund! Der Arzt begleitet eher. Das bedeutet aber auch politisch, dass viel mehr Gesundheitskompetenz vermittelt werden muss, zum Beispiel in der Schule. Jeder sollte wissen, wo seine Organe liegen und wofür sie da sind.

Wie könnte eine Terminvorbereitung konkret aussehen?

Wer eine Medikamentenliste und Vorbefunde hat, sollte sie mitbringen. Es kostet Zeit und Geld, wenn die neu gemacht werden müssen. Wer Beschwerden hat, sollte ein Tagebuch führen. Bei Verdauungsbeschwerden kann ein Ernährungstagebuch, bei Migräne ein Kopfwehtagebuch geführt werden. Machen Sie sich zudem eine Liste, was Sie mit Ihrer Ärztin, Ihrem Arzt besprechen wollen.

Dr. Yael Adler ist Dermatologin in Berlin.

Dr. Yael Adler ist Dermatologin in Berlin.

Und beim Termin selbst?

Da sagen Sie ihr oder ihm gleich am Anfang: Diese vier Themen habe ich mitgebracht. So kann Ihre Ärztin oder Ihr Arzt den Termin entsprechend strukturieren. Wer denkt, dass er den Arzttermin nicht alleine schafft, sollte sich eine befreundete oder verwandte Person als Unterstützung mit in die Sprechstunde nehmen. Ich rate außerdem bei größeren Therapien zur Zweit- oder Drittmeinung. Ein guter Hausarzt kann hilfreich sein, um Spezialisten zu organisieren. Am Ende müssen Patientinnen oder Patienten aber selbst entscheiden, wenn es mehrere alternative Therapieempfehlungen gibt. Sie müssen auch zur individuellen Lebenssituation passen.

Das könnte manche überfordern.

Stimmt. Patientinnen und Patienten müssen jedoch wissen, dass Medizin keine exakte Mathematik ist, sondern komplexe Biologie. Es gibt deshalb meist mehrere Behandlungsmöglichkeiten. Und oft eine Restunsicherheit, mit der beide Seiten leben müssen. Die sind aber verpflichtet, über alle Therapieoptionen aufzuklären und Hilfestellung zu geben.

Was können Behandelnde ihrerseits ganz konkret für ein besseres Miteinander tun?

Sie sollten sich namentlich vorstellen, das ist leider nicht selbstverständlich, und ihre Patientinnen und Patienten beim Namen ansprechen. Namen haben Magie. Wird man beim Namen genannt, fühlt man sich gesehen. Behandelnde sollten sich im Gespräch nicht hinter ihrem Tisch oder ihrem Bildschirm verstecken. Ich zum Beispiel setze mich nicht gegenüber, sondern auf Eck. Damit vermittle ich auch körpersprachlich: Wir sind kein Gegenüber, sondern ein Team. Beim Gespräch selbst sollten die Behandelnden nicht mittippen, sondern höchstens kurze Notizen machen. Und vor allem sollten sie Rückfragen stellen, interessierte Geräusche machen oder nicken. Das nennt man aktives Zuhören. So kann auch Augenkontakt gehalten werden. Denn Aufmerksamkeit beim Gespräch gibt nicht nur den Patientinnen und Patienten das gute Gefühl, gesehen und ernstgenommen zu werden. Behandelnde können auch Verfärbungen an der Haut, den Gesichtsausdruck und die Körpersprache beobachten. Sie sehen, ob eine Patientin, ein Patient etwa ängstlich oder nervös ist.

Wie sollten Gespräche selbst laufen?

Gute und schlechte Befunde sollten ohne Umschweife mitgeteilt werden, um Patientinnen und Patienten nicht zappeln zu lassen: „Es gibt gute Nachrichten!“ oder „Wir müssen nun etwas Schwieriges besprechen!“ Gleichzeitig sollte selbst in schwierigen Situationen Hoffnung gegeben und Zugewandtheit vermittelt werden. Wenn angemessen, hilft Humor. Es ist zudem wichtig, auf die Wortwahl zu achten und positiv zu formulieren. So werden Situationen geframt. Wie in der Werbung ruft das stärkende Gefühle hervor. Wer zum Beispiel sagt „Sie müssen keine Angst haben, es tut bestimmt nicht weh“ setzt die Begriffe „Angst“ und „Schmerz“. Besser wäre es, ein gutes Gefühl zu vermitteln: „Machen Sie es sich bequem, ich bin ganz vorsichtig.“

Sowohl Behandelnde als auch Patientinnen und Patienten müssen also teilweise ihr Verhalten ändern.

Genau. Es braucht mehr Offenheit seitens der Ärztinnen und Ärzte. Es geht nicht darum, dass wir uns als unfehlbare Heldinnen und Helden produzieren, sondern darum, bestmöglich zu behandeln und immer Mensch zu bleiben. Dafür dürfen wir uns aller Mittel bedienen – und auch mal Schwäche, Unsicherheit oder gar Unwissenheit zeigen. Alle Infos sind recht – egal, ob sie von Kolleginnen und Kollegen oder von einer neuen Studie kommen, die wir noch nicht kennen. Unsere Patientinnen und Patienten sollten uns diese menschliche Seite aber auch zugestehen: Wie sie haben wir unterschiedliche Charaktere, sind vielleicht wichtigtuerisch oder bescheiden, laut oder leise, offen oder zurückhaltend, locker oder kontrolliert. Für ein gutes Verhältnis müssen beide Seiten sich mit Verständnis, Wertschätzung und Respekt betrachten. Wie in einer funktionierenden Liebesbeziehung.