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Die Anschuldigungen im am Donnerstag erschienenen IGeL-Report 2023 sind schwer: Ärzte und Ärztinnen machen mit sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) viel Geschäft, klären aber zu wenig über mögliche Schäden auf – obwohl sie dazu verpflichtet sind. Zum Teil üben sie laut dem Report sogar Druck aus, die IGeL zu kaufen, was ebenfalls Patientenrechten widerspricht. Außerdem schaden manche der meistverkauften Leistungen mehr als sie nützen.

Knapp 6.000 Versicherte zwischen 20 und 69 Jahren hat der IGeL-Monitor für seinen Report befragt. Fast 80 Prozent kennen demnach Selbstzahlerleistungen, aber nur gut jeder und jede Vierte weiß, dass es verbindliche Regeln beim Verkauf von IGeL in Arztpraxen gibt. Zum Beispiel, dass Ärztinnen und Ärzte über Nutzen und Schaden der Leistung aufklären müssen. So wurden zwar 78 Prozent der Befragten über den wahrscheinlichen Nutzen der jeweiligen Leistung informiert, aber nur 56 Prozent über mögliche Schäden. 18 Prozent gaben sogar an, unter Druck gesetzt worden zu sein: Vom Kauf der IGeL wurde die Behandlung mit einer Kassenleistung abhängig gemacht.

Eine neue Entwicklung hat die Befragung außerdem aufgezeigt: Bei jüngeren Patienten und Patientinnen sind IGeL inzwischen deutlich bekannter als früher. 73 Prozent der 20- bis 39-Jährigen gaben an, IGeL zu kennen – zehn Prozent mehr als noch 2020. Jeder zweite schätzt die Leistungen als wichtig für den Erhalt der Gesundheit ein. Viele sind deshalb offenbar bereit, dafür Geld auszugeben – häufig nutzen sie auch Pakete, bei denen mehrere Leistungen zu einem günstigeren Preis angeboten werden.

Die zehn am häufigsten verkauften IGe-Leistungen:

  1. Ultraschall der Gebärmutter und/oder der Eierstöcke über die Scheide
  2. Augeninnendruckmessung mit oder ohne Augenspiegelung zur Glaukom-Früherkennung
  3. Abstrich zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs
  4. PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs
  5. Hautkrebsscreening außerhalb der Hautkrebsvorsorge der gesetzlichen Krankenversicherung, gegebenenfalls computergestützt
  6. Ultraschall der Brust zur Krebsfrüherkennung
  7. Blutbild zur Gesundheitsvorsorge
  8. Zusätzlicher Ultraschall in der Schwangerschaft
  9. Netzhaut-Untersuchung mit Laser zur Glaukom-Früherkennung
  10. Netzhaut-Untersuchung mit Laser zur Früherkennung einer Makuladegeneration

Beim Ultraschall der Eierstöcke überwiegt der Schaden

Die am häufigsten verkaufte Leistung – den Ultraschall zur Krebsfrüherkennung der Eierstöcke und der Gebärmutter – bewertet der IGeL-Monitor als „negativ“ (Eierstöcke) beziehungsweise „tendenziell negativ“ (Gebärmutter). Die Erklärung: Weil es dabei häufig zu falsch-positiven Befunden kommen kann, folgen womöglich weitere Untersuchungen und Eingriffe, die erheblich schaden können. „Diese Leistung dürfte überhaupt nicht mehr angeboten werden, wenn man Patientensicherheit ernst nimmt“, sagte Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund.

Aber auch die meisten anderen Selbstzahlerleistungen sind laut dem IGeL-Monitor nicht empfehlenswert. Nur zwei der 55 bereits bewerteten Leistungen bescheinigt er die Wirkung „tendenziell positiv“. 53 gelten als „negativ“, „tendenziell negativ“ oder „unklar“.

Zwei neue Bewertungen für Behandlungen bei Long- oder Post-Covid

So bekommen auch die beiden neu bewerteten Behandlungsmethoden, die Long- oder Post-Covid-Patienten und -Patientinnen angeboten werden, aufgrund fehlender Studiendaten ein „unklar“ als Bewertung. Die sogenannte H.E.L.P.-Apharese, auch Blutwäsche genannt, und die Hyperbare Sauerstofftherapie kosten jeweils mehrere tausend Euro und sollen beispielsweise Erschöpfung, Kurzatmigkeit und Konzentrationsprobleme nach einer Covid-19-Erkrankung lindern. Bisher sind sie jedoch kaum untersucht.

Selbstzahler werden bei der Terminvergabe oft bevorzugt

Laut Gronemeyer berichten Patientinnen und Patienten auch, dass sie in fachärztlichen Praxen wochen- oder monatelang auf einen regulären Termin warten ─ für IGeL dann aber einen sofort verfügbaren Termin angeboten bekommen. „Das legt die Vermutung nahe, dass das Angebot von IGeL inzwischen unmittelbare Auswirkungen auf das Versorgungsangebot hat“, sagt Gronemeyer.

Bestätigt werde dieser Eindruck durch eine Befragung des Ärzte-nachrichtendienstes vom Februar 2023: 41 Prozent der knapp 1.000 befragten Ärztinnen und Ärzte gaben an, dass sie Patientinnen und Patienten bei der Terminvergabe für Erstuntersuchungen deutlich bevorzugen, wenn diese als Selbstzahlerinnen und -zahler kommen.

„Der Umgang mit IGeL ist fragwürdig und widerspricht oft den Regeln, die auf das Patientenrechtegesetz und Selbstverpflichtungen der Ärzteschaft zurückgehen“, schließt Gronemeyer aus den Erkenntnissen des Reports. „Den Versicherten raten wir, sich zu informieren und die Beratungsangebote von Verbraucherzentralen und anderen zu nutzen.“

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