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Es könnte so einfach sein, wenn sich weibliche Lust auf einen einzigen Punkt bringen ließe. Würde dieser dann nur genug und gekonnt verwöhnt, stünde einem ekstatischen Liebesleben mit himmelhoch jauchzenden Orgasmen nichts im Wege. Doch der sogenannte G-Punkt, dem solche lustbringenden Eigenschaften nachgesagt werden, ist umstritten. Gibt es diese nach dem Gynäkologen Ernst Gräfenberg benannte besonders sexuell erregbare Stelle zwischen vorderer Scheidenwand und Harnröhre überhaupt?

Eindeutige Belege für den sexuellen Powerpoint fehlen bislang jedenfalls. So denken manche Sexualwissenschaftler, dass nicht jede Frau einen G-Punkt besitzt oder bei seiner Stimulation gleichermaßen sexuell erregt reagiert. Andere Vertreter dieser Zunft vermuten hingegen: Es handelt sich nicht um einen Punkt, sondern um ein ganzes erogenes Areal. Auch die Frauen selbst zu fragen, schafft kein klares Bild: In einer britischen Studie mit rund 900 weiblichen Zwillingspaaren gab nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten an, einen G-Punkt zu haben.

Die Klitoris ist ein zentrales Lustorgan

Unumstritten ist jedoch, dass die Klitoris ein Lustzentrum der Frau ist. "Letztlich geht jeder Orgasmus von der Stimulation der Klitoris aus, ohne Stimulation der Klitoris ist ein Orgasmus fast nicht möglich", urteilte Dr. Sabine Grüsser-Sinopoli von der Berliner Charité nach der Befragung von 575 Frauen im Alter von 17 bis 71 Jahren. "Dabei ist die außen sichtbare Klitorisspitze nur ein kleiner Teil des Organs, das elf Zentimeter lang ist und dessen Nervenenden bis in die Vagina und die Oberschenkel hineinreichen", so die Sexualforscherin. Die wahre Größe der Klitoris wurde lange unterschätzt – erst 1998 entdeckte die australische Anatomin Helen O'Donnell, dass sie mehr als doppelt so groß ist als bis dahin angenommen. "Die Klitoris enthält mehr Nerven als der gesamte Penis", berichtet die Leipziger Sexualtherapeutin Dr. Carla Thiele.

Ist eine Frau sexuell erregt, fließt verstärkt Blut in ihre Geschlechtsorgane und lässt die Klitoris anschwellen. Wird diese während des Liebesspiels berührt, leiten Nerven Reize zum Gehirn und lassen die Erregung ansteigen – bis sie womöglich in einem Orgasmus gipfelt. Dabei wird unter anderem das Hormon Oxytocin produziert, das für ein Gefühl tiefer Geborgenheit sorgt und den Wunsch nach weiteren Höhepunkten nährt. Physiologisch dient ein Orgasmus dazu, die körperliche Erregung wieder zurückzufahren. Es setzen Entspannung, Zufriedenheit, eventuell auch Erschöpfung ein.

Stress verleidet das Liebesspiel

Um zum Orgasmus zu kommen, müssen vor allem der Geruch des Partners und die Stimmung passen, sagten die von der Charité befragten Frauen. Auch Offenheit und Vertrauen waren ihnen sehr wichtig. Die Attraktivität des Partners, Verliebtsein und auch die Länge des Penis spielten hingegen nur eine nachgeordnete Rolle. "Der weibliche Orgasmus ist in erster Linie eine Stimmungsangelegenheit, eine Frage des Sich-Einlassens", fasst Dr. Anja Lehmann zusammen, die an der Untersuchung mitgearbeitet hat. Ob eine Frau mit ihrem Sexualleben zufrieden ist, habe vor allem mit Vertrauen und Kommunikation zu tun – nicht mit erlebten Höhepunkten. Denn immerhin 90 Prozent der befragten Frauen gaben zu, ihrem Partner zuliebe schon einmal einen Orgasmus vorgetäuscht zu haben.

Der Orgasmus wird oft zu wichtig genommen, urteilt Sexualtherapeutin Thiele. "Umso mehr eine Frau an den Orgasmus denkt, desto mehr Druck entsteht und desto weniger kommt es zum Höhepunkt." Durch Leistungsstress im Bett und beim Orgasmus bleibe die Begegnung mit dem anderen Menschen auf der Strecke. "Diese ist aber der Sinn von Sexualität", sagt Thiele. Sie regt an, Sex als eine Reise zu sehen, bei der nicht nur das Ziel namens Orgasmus zählt, sondern die Entdeckungen auf dem Weg dorthin.

Frauen fällt das Abschalten schwerer als Männern

"Um eine erfüllte Sexualität erleben zu können, brauchen Frauen Entspannungsinseln", betont Thiele. Denn Frauen falle das Abschalten schwerer als Männern. Sie rät Paaren Exklusivzeit für einander zu vereinbaren, in der sie etwas gemeinsam machen. Am Ende müsse nicht das Miteinanderschlafen stehen. Wichtig sei es, über Sexwünsche mit dem Partner zu reden. Dabei helfe es Paaren, wenn sie sich auf eine sexuelle Wortliste einigten, sagt die Expertin. Formulierungen wie "mit der Hand" oder "mit dem Mund" kommen leichter über die Lippen. Und eine "alternative Einladung" anstelle des Beischlafs stoße den Partner nicht vor den Kopf, sondern zeige den Wunsch nach seiner Nähe.

Nach Thieles Erfahrungen hilft es Frauen sehr, ihren Körper gut zu kennen. "Wenn Frauen sich selbst befriedigen, wissen sie in der Regel, welche Bedürfnisse sie haben und was sie in welcher Phase der sexuellen Erregung besonders mögen." Sie könnten ihren Partner dann gut anleiten und ihm zum Beispiel sagen, wie er ihre Klitoris gerade am liebsten stimulieren sollte. Solche Frauen seien auch offener, beim Liebesspiel selbst Hand anzulegen. "Wer sagt denn, dass einen zwingend der Partner zum Orgasmus bringen muss", meint Thiele.

Verlorene Lust kann beim Sex wiederkommen

Erotische Erfahrenheit trage viel zu einer erfüllten Sexualität bei, betont Expertin Thiele. Frauen ab 30 seien sexuell am zufriedensten – in dem Alter wüssten sie besser als in jungen Jahren, welche Berührungen sie brauchen, um das Liebesspiel rundum genießen zu können. Eine altersmäßige Begrenzung für erfüllte Lust sieht die Sexualtherapeutin nicht. "Wenn eine Frau den Dreh einmal heraus hat, vergisst sie ihn nicht wieder."

Es ist aber auch völlig okay, immer wieder im Leben mal keine Lust zu haben, wusste die inzwischen verstorbene Sexualforscherin Dr. Ulrike Brandenburg. Beziehungen kommen in die Jahre, Kinder machen aus Paaren Eltern, beruflicher Stress raubt das Privatleben - es gibt viele Gründe, warum der intime Kontakt zum Partner verloren gehen kann. Um sich wieder näher zu kommen, empfahl Brandenburg, sich regelmäßig ein- bis zweimal pro Woche zum Sex zu verabreden – wobei damit auch Streicheln und / oder Petting ohne Geschlechtsverkehr gemeint sein kann. Es stimme nicht, dass beim Sex zwingend Lust im Spiel sein müsse, so Brandenburg. "Die Voraussetzung für Sexualität kann auch die eigene Entscheidung sein, einfach weil wir wissen, dass Sex uns guttut", schrieb sie in einem Aufsatz. Das könne als Motivation durchaus reichen. Man kennt es schließlich auch aus anderen Bereichen: Der Appetit kommt beim Essen.