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Nicht nur Industrie und Verkehr, auch Einrichtungen des Gesundheitswesens wie Kliniken und Arztpraxen produzieren viele Schadstoffe, die in die Luft gelangen – und zur Klimaerhitzung beitragen. Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Klimakrise als wichtiges Gesundheitsthema zu etablieren. Sie will auch das Gesundheitssystem ressourcenschonender machen. Anlässlich des diesjährigen Welt-Gesundhitstages unter dem Motto „KLima und Gesundheit“ sprechen wir mit KLUG-Geschäftsführer Dr. Christian Schulz.

Dr. Christian Schulz ist Geschäftsführer der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit

Dr. Christian Schulz ist Geschäftsführer der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit

Dr. Schulz, wie steht es momentan um klimaschädliche Emissionen im Gesundheitssektor?

5,2 Prozent der deutschen CO2-Emissionen entstehen im Gesundheitssektor. Das entspricht etwa 0,7 Tonnen CO2 pro Jahr und Einwohner.

Was tun Kliniken dagegen?

Etwa 250 Kliniken haben Klimamanagerinnen, die im KLIK green Projekt ausgebildet wurden. Sie sollen Maßnahmen in ihren Kliniken anstoßen und sich untereinander vernetzen, um Erfahrungen auszutauschen. Es ist jedoch unerlässlich, möglichst viele weitere Mitarbeiterinnen für das Thema zu gewinnen und natürlich auch die Klinikleitung. Ohne die geht es nicht. Die Maßnahmen sind vielfältig und die Kliniken entscheiden selbst, was sie machen. Da gibt es noch keine Vorgaben. Das KLIK green Projekt hatte das Ziel, dass alle teilnehmenden Krankenhäuser und Reha-Kliniken zusammen 100.000 Tonnen CO2-Äquvalente einsparen. Das machen sie zum Beispiel, indem sie LED-Lampen einbauen, auf Ökostrom setzen oder nachts nicht alle OP-Säle vorhalten, sondern nur die, die sie tatsächlich brauchen. Aber es fehlen ja noch 1800 Kliniken, die nicht am Projekt teilgenommen haben. Klimaneutralität als notwendiges Ziel angesichts der sich abzeichnenden Katastrophe haben sich bisher die wenigsten vorgenommen.

Gibt es denn Länder, die sich der deutsche Gesundheitssektor als Vorbild nehmen könnte?

Ja, das englische Gesundheitssystem, der National Health Service (NHS), ist uns um einiges voraus. Sie haben einen Plan, wie das Gesundheitssystem netto null Emissionen errreichen wird. In Deutschland hingegen herrscht in vielen Einrichtungen Unwissenheit, was zu tun ist. Anders als in Großbritannien haben sie sehr wenig Verständnis davon, wo ihre Emissionen herkommen.

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Wo könnte man denn im Gesundheitssektor Emissionen einsparen?

Das verteilt sich auf drei Bereiche: Einmal kann man direkt in den Krankenhäusern Emissionen reduzieren, zum Beispiel durch die Vermeidung stark klimawirksamer Medikamente wie bestimmter Asthmasprays oder Anästhesiegase wie zum Beispiel Lachgas oder Desfluran. Zum Zweiten müssen Krankenhäuser erneuerbare Energien einsetzen für ihren hohen Ressourcenverbrauch. Und zu guter Letzt sorgen auch Lieferketten, Transport, und Ernährung für Emissionen. Wir müssen weg von Einwegprodukten hin zur Kreislaufwirtschaft. Von der Verteilung ist es so, dass zwei Drittel in diesem dritten Bereich liegen.

Haben Sie ein Beispiel für klimaschädliche Strukturen im Krankenhausalltag?

Wenn ein Krankenhaus Geld verdienen will, schafft es das nicht mit fünf Blinddarm-OPs im Jahr, sondern mit 500. Damit es schwarze Zahlen schreibt, muss es diese 500 OPs mit möglichst wenigen Ressourcen in Form von Zeit und Personal schaffen. Und es muss auch zusehen, dass es das billigste Material nimmt und das günstigste Essen serviert. Das billigste Material und die günstigsten Lebensmittel sind aber selten die klimafreundlichste Option. Sie sind nur deswegen so billig, weil Umweltschäden von anderen bezahlt werden. Von andern Teilen der Welt, nachfolgenden Generationen oder von der Gesamtgesellschaft.

Am Ende gibt es also schädliche Auswirkungen auf Menschen. Klingt nach einem Teufelskreis.

Richtig. Wir sind also weder medizinisch noch in Sachen Klimaschutz erfolgreich: Zwar haben wir eine hohe Qualität in der Individualversorgung, aber mit dem Ressourcenverbrauch hinterlassen wir anderswo eine Spur der Verwüstung. Die Medizin muss deshalb viel stärker die öffentliche Gesundheit, die Gesundheit aller - auch die zukünftiger Generationen - berücksichtigen.

Es bräuchte also mehr Klimabewusstsein im deutschen Gesundheitssektor.

Ja. Immerhin gibt es eine Art „Aufwachen“. Folgen der Klimakrise wie zum Beispiel extreme Wetterereignisse und die damit assoziierten Krankheiten oder Beschwerden haben uns in Deutschland bewusst gemacht, dass das Problem dringend ist. Der Wissensbedarf und Ambitionen, etwas anders zu machen, nehmen zu. Es gibt dazu auch weitreichende Beschlüsse des Deutschen Ärztetags. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat sich positioniert und gesagt, wir brauchen Investitionsmittel für den Klimaschutz. Aber wie tiefgreifend der Veränderungsprozess ist, in den uns die Klimakrise zwingt, das haben die allerwenigsten verstanden.

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Den ganzen Gesundheitssektor umzukrempeln klingt nach einer langwierigen Aufgabe. Wo genau kann man anfangen?

Der Gesundheitssektor ist durch die vielen Krisen wie die Pandemie oder extreme Wetterereignisse bereits jetzt betroffen. Der Bericht des Weltklimarats lässt uns leider nicht die Zeit, diese Aufgabe in Ruhe umzusetzen sondern erfordert ein hohes Tempo. KLUG hat letztes Jahr dazu das Rahmenwerk „Klimagerechte Gesundheitseinrichtungen“ veröffentlicht. Darin geht es zum Beispiel darum, die Mitarbeitenden für das Thema zu gewinnen. Es geht um die Art und Weise, wie wir uns ernähren, es geht um Hitzeresilienz in unseren Kliniken und es geht darum, den Ressourcenverbrauch zu minimieren und Energie einzusparen. Also wir fragen uns beispielsweise, wie wir eine Photovoltaikanlage aufs Dach bekommen und wie wir das finanzieren können. Dann empfehlen wir zum Beispiel, auf Narkosegase zu setzen, die weniger klimaschädlich sind als die herkömmlichen. Oder die Asthmasprays umstellen von Dosier-Aerosolen auf Pulverinhalatoren. Die kommen ohne Treibhausgase aus.

Einige Patientinnen und Patienten machen sich bei derlei Umstellungen vielleicht Sorgen um ihre Gesundheit, oder?

Natürlich. Es ist die Aufgabe der Ärzte, die Patienten dabei zu führen. Klar ist, dass der Patient bestmöglich versorgt ist. Wenn gleichwertige Alternativen zur Verfügung stehen, ist die ressourcenschonendere Alternativ am Ende die nebenwirkungsärmere.

Können Patientinnen und Patienten auch selbst etwas für einen klimafreundlicheren Gesundheitssektor tun?

Ja, indem sie einen gesunden Lebensstil pflegen, der Krankheiten vorbeugt und dann letztendlich auch wieder Ressourcen in den Krankenhäusern spart. Wer wenig tierische Produkte isst und Fahrrad fährt, tut etwas fürs Klima und die eigene Gesundheit. Außerdem können Sie eine Krankenversicherung wählen, für die Klimaschutz ein wichtiges Anliegen ist. Es gibt zum Beispiel Private Krankenversicherer, die darauf achten, dass das Geld nicht in gesundheitsschädliche Industriezweige investiert wird, also zum Beispiel die Alkohol-, Tabak, Kohle oder Erdölindustrie.

Was ist mit Medikamenten – sind sie klimaschädlich?

Ja, im Bereich der hausärztlichen Versorgung geht von ihnen mit die höchste Klimawirkung aus. Aber: wer krank ist, braucht oft auch Medikamente. Wichtig ist, offen zu sein für gleichwertige Alternativen, die weniger klimaschädlich sind, zum Beispiel bei den bereits erwähnten Asthmasprays. Wo immer möglich, ist eine Umstellung auf Pulverinhalatoren sehr effektvoll. Das wird in anderen Ländern bereits viel stärker umgesetzt und hat geholfen viel CO2 einzusparen.

Wie würden Sie auf den Punkt bringen, warum Klimaschutz so wichtig für den Gesundheitssektor ist?

Nur eine klimaneutrale und ressourcenschonende Medizin ist frei von Nebenwirkungen für unsere Umwelt!