Mehr als Wechselduschen, Armguss, Wassertreten: Heilen mit Kneipp
Der erste Schritt ist der schwierigste: Wenn der Fuß langsam ins eiskalte Wasser taucht, möchte man am liebsten gleich umdrehen und sich in warme Decken hüllen. Aber wer ihn einmal gegangen ist, weiß, wie gut er einem tut. Also einmal tief ausatmen und weiter, Schritt für Schritt im Storchengang durchs kalte Tretbecken.
Wasser- und Kräutertherapien, Ernährung und Bewegung
Mit dem Wassertreten und kalt-warmen Wechselbädern verbinden wohl die meisten Menschen die Lehren des Sebastian Kneipp. Dabei entwickelte Kneipp, der in diesem Jahr 200 Jahre alt geworden wäre, ein viel umfassenderes, ganzheitliches Gesundheitskonzept: mit Wasser- und Kräutertherapien, aber auch mit gesunder Ernährung, regelmäßiger Bewegung und stressfreier Lebensführung. Die Idee: das Einfache und Naheliegende anwenden, um gesund zu bleiben oder gesund zu werden.
Für die eigene Gesundheit selbst aktiv werden
"Die Ansätze von Kneipp sind gerade heute von großer Bedeutung", meint Benno Brinkhaus, Facharzt für Innere Medizin und Professor für Naturheilkunde an der Berliner Charité. Kneipps Lehre sei nicht nur zeitgemäß, sondern zukunftsweisend: "Wir müssen heute viel stärker darauf achten, dass die Menschen für ihre Gesundheit selbst aktiv werden. Dafür sind Naturheilkundeverfahren nach Kneipp zentral."
Kombination aus konventioneller und traditioneller Medizin
Gerade bei Menschen mit chronischen Erkrankungen ist eine integrative Medizin, also die Kombination aus konventioneller und naturheilkundlicher beziehungsweise traditioneller Medizin, erfolgversprechend: Leidet ein Patient oder eine Patientin etwa unter Bluthochdruck, können Medikamente helfen. "Wichtig ist aber auch zu schauen, ob der Mensch sich genug bewegt, sich richtig ernährt, regelmäßig schläft und genug entspannt", sagt Benno Brinkhaus.
Kneippanwendungen als Prävention
Der Professor empfiehlt Kneippanwendungen auch zur Gesundheitsförderung und Prävention für gesunde Menschen. "Wir können viel mehr als bisher für unsere eigene Gesundheit tun", sagt er und klingt damit ganz wie Kneipp. Von dem ist zum Beispiel folgendes Zitat überliefert: "Wenn die Menschen nur halb so viel Sorgfalt darauf verwenden würden, gesund zu bleiben, wie sie heute darauf verwenden, krank zu werden, die Hälfte ihrer Krankheiten bliebe ihnen erspart."
Dabei war Kneipp eigentlich kein Mediziner, sondern Pfarrer. Geboren wurde er als Sohn einer armen Weberfamilie. Mit zwölf Jahren verließ er die Schule, um zu arbeiten. Erst mit 23 Jahren besuchte er ein Gymnasium, erkrankte dann aber schwer. Zufällig las er damals von der heilenden Kraft des Wassers und begann einen Selbstversuch, indem er regelmäßig in Dillingen in der kalten Donau badete – das war der Grundstein seiner Wassertherapie.
Als Pfarrer ging Kneipp später in ein Kloster nach Bad Wörishofen, das bis heute Zentrum der Kneippkuren ist: das Kurhaus Sebastianeum, gegründet 1891. Dort schrieb er auch sein erstes Buch: "Meine Wasserkur".
Ganzheitliches Gesundheitskonzept statt nur „Kaltwasserdoktor“
Auch wenn viele Mediziner Kneipp seinerzeit als "Kaltwasserdoktor" verspotteten, ließ er sich nicht von seiner Lehre abbringen: Bald entwickelte er ein ganzheitliches Gesundheitskonzept und soll vor allem mit Wassergüssen und Heilkräutern Tuberkulose- und Cholerapatienten behandelt haben.
"Kneipp ist kein Hokuspokus. Man spürt bei den Anwendungen einfach am eigenen Leib, wie gut einem das tut", sagt Cordula von der Ropp. Sie ist Fachärztin für Innere und Allgemeinmedizin und leitende Ärztin im Sebastianeum in Bad Wörishofen.
Wassertherapie: Mehr Durchblutung und Körperwahrnehmung
"Manchmal reicht es schon aus, an kleinen Schräubchen zu drehen, um gesund zu bleiben oder gesund zu werden", sagt sie. Wassertherapien zum Beispiel würden nicht nur die Durchblutung steigern, das Immunsystem stärken und Schmerzen reduzieren, sondern auch die Körperwahrnehmung schulen und der Psyche guttun. Dabei gebe es natürlich auch Grenzen: "Wenn Patienten akute Beschwerden oder Erkrankungen haben, gehören sie medizinisch untersucht", sagt die Ärztin.