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Für unsere Gesundheit tun wir alles. Fast alles. So soll es Menschen geben, die jeden Morgen ein Glas Urin zum Frühstück trinken. Pur und auf nüchternen Magen. Prost! Der Eigenharn hilft angeblich gegen Allergien, lindert Hautkrankheiten, stärkt das Immunsystem und kann noch einiges mehr. Davon sind zumindest Fans der etwas unappetitlichen Therapie überzeugt.

Ein ganz besonderer Saft

Die Anhänger der Mittelstrahl-Medizin schlucken, gurgeln, reiben sich ein. Ein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis in Form von Studien fehlt allerdings. Vielleicht allein deshalb, weil sich nicht genug Studienteilnehmer finden, die den Tag mit einem Schluck Pipi beginnen wollen? Dennoch hält sich die Eigenharntherapie hartnäckig, besonders bei Heilpraktikern und anderen alternativn Kreisen.

Populär wurde sie vor 27 Jahren. Damals brachte die Fernsehjournalistin Carmen Thomas das Buch „Ein ganz besonderer Saft – Urin“ heraus – und öffnete die Schleusen für den Mittelstrahl. Der Mittelstrahl, also das zweite Drittel beim Wasserlassen, gilt als besonders gesund.

Meine Oma schleppte mich damals umgehend zu ihrer Heilpraktikerin, plagten mich doch in meiner Kindheit Neurodermitis-Schübe. Den morgendlichen Mittelstrahl trinken musste ich glücklicherweise nicht, aber ich bekam Globuli mit Eigenurin. Über die Wirksamkeit kann ich nichts berichten, weil gleichzeitig auch die Kortison-Salbe zum Einsatz kam. Meine Eltern hatten einen guten Hausarzt.

In flüssiger Form habe ich also noch nie von diesem besonderen Saft gekostet, ehrlich! Vom Hörensagen weiß ich aber, dass der Urin eines gesunden Menschen salzig schmeckt, auch säuerlich oder bitter – je nachdem, was man gegessen und getrunken hat.

Urin ist ein Abfallprodukt

Ein gesunder Erwachsener scheidet täglich 1,5 bis zwei Liter Harn aus, rund 200 bis 400 Milliliter pro Toilettengang. Urin besteht zu 95 Prozent aus Wasser, ausgeschieden werden zudem Stoffwechselprodukte wie Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin sowie organische Säuren, Hormone, wasserlösliche Vitamine, Salze und Farbstoffe. Urin ist ein Cocktail an Stoffen, die unser Körper nicht verwerten kann oder will und die unsere Nieren herausfiltern. Urin ist ein Abfallprodukt.

Giftig ist es trotzdem nicht, den eigenen Urin zu trinken. Der besondere Arzneisaft scheint eine lange Tradition zu haben. Schon die Ägypter schworen auf ihn, auch in der chinesischen und ayurvedischen Heilkunde wird er erwähnt. Moderne Ärzte und Wissenschaftler sind sich aber einig: Pipi innerlich angewendet, sprich getrunken, ist als Therapie wenig sinnvoll.

Wer „Urin trinken“ googelt, stößt dennoch auf knapp zwei Millionen Ergebnisse. Daran gestorben scheint noch niemand zu sein. Studien zur gesundheitsschädlichen Wirkung fehlen genauso wie solche zu den angeblichen gesundheitsfördernden Effekten.

Haben Sie sich auch schon einmal über fragwürdige Therapien gewundert?

Dann schreiben Sie: kritisch-hinterfragt@apotheken-umschau.de

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