Vegan ernähren während der Schwangerschaft?
Decken pflanzliche Lebensmittel den erhöhten Energie- und Eiweißbedarf?
Der Energiebedarf steigt im Verlauf der Schwangerschaft nur leicht an. Erst in den letzten Monaten sollten werdende Mütter ihre Energiezufuhr steigern – und das auch nur geringfügig. Schwangere mit Normalgewicht sollten insgesamt zwischen 10 und 16 Kilo zunehmen, das meiste davon im zweiten und dritten Trimester. Das Gewicht wird bei den Vorsorgeuntersuchungen regelmäßig überprüft, um rechtzeitig zu erkennen, ob es stagniert oder sinkt.
Auch der Eiweißbedarf steigt laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) im zweiten Trimester um sieben und im dritten Trimester um 21 Gramm pro Tag. Veganerinnen nehmen meist weniger davon auf als Frauen, die sich mit Mischkost ernähren. Ein besonderes Augenmerk aufs Eiweiß ist also ratsam. Ein Mangel kann Wachstum und Entwicklung des Ungeborenen beeinträchtigen. Pflanzliches Eiweiß steckt etwa in Linsen und Bohnen, Tofu und Seitan, in Nüssen und Samen. Werden verschiedene Quellen kombiniert, kann der Körper besser eigenes Eiweiß aus ihnen aufbauen.
Welche Nährstoffe sind kritisch?
Von einigen Mikronährstoffen brauchen alle Schwangeren eine Extraportion. Die ist zum Teil so groß, dass sie ihren Bedarf in der Regel nicht über die normale Ernährung decken können. Sofern Frauenärztin oder -arzt nichts anderes sagen, sollten alle Schwangeren Folsäure und Jod einnehmen. Für Veganerinnen sind darüber hinaus noch weitere Nährstoffe kritisch – allen voran Vitamin B₁₂. „Es gibt kein pflanzliches Lebensmittel, das natürlicherweise B₁₂ enthält“, erklärt Andrea Kornblum vom Netzwerk „Gesund ins Leben“ in Bonn.
Wer tierische Produkte meidet, kommt um Nahrungsergänzungsmittel nicht herum. Ein Mangel schadet im schlimmsten Fall dem Baby, denn B₁₂ ist wichtig für die Entwicklung des Gehirns. Das gilt auch für die Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure (DHA): Sie sollte täglich zugeführt werden, wenn kein Fisch auf dem Speiseplan steht – über Nahrungsergänzungsmittel aus Mikroalgenöl oder damit angereicherte Lebensmittel.
Zwar liefern auch einige pflanzliche Produkte Omega-3-Fettsäuren, zum Beispiel Lein- und Rapsöl oder Walnüsse. Sie enthalten aber nur eine Vorstufe von DHA, die der Körper nicht in ausreichender Menge in DHA umwandeln kann. Auch mit Kalzium, Zink und Eisen sind Veganerinnen tendenziell schlechter versorgt als Alles-Esserinnen. Daher sollten sie während der Schwangerschaft besonders auf die Zufuhr dieser Nährstoffe achten und sie in Absprache mit Frauenärztin oder -arzt wenn nötig ergänzen.
Nimmt man ohne Fleisch genug Eisen auf?
Ein Eisenmangel kann alle Schwangeren betreffen, weil sich ihr Bedarf ungefähr verdoppelt. Für Veganerinnen ist die Herausforderung, ihn zu decken, allerdings größer, denn pflanzliches Eisen nimmt der Körper schwerer auf. Vollkornprodukte, Bohnen, Linsen und dunkelgrünes Gemüse sind gute Lieferanten. Vitamin C, etwa aus Orangen zum Hafer-Porridge oder Paprika zum Vollkornbrot, verbessert die Aufnahme.
Das Einweichen von Getreideflocken oder Hülsenfrüchten macht das Eisen besser verfügbar. Kaffee und schwarzer Tee hemmen die Aufnahme: besser mit einer Stunde Abstand zum Essen trinken. „Der Eisenwert wird im Rahmen der Vorsorge regelmäßig kontrolliert“, sagt Gynäkologin Dr. Katrin Kayser aus München. Besteht ein Mangel, sind Eisenpräparate nötig. Die Dosierung wird ärztlich festgelegt.
Sind regelmäßige Kontrollen der Blutwerte wichtig?
Ja, und zwar für alle Schwangeren. Für Veganerinnen ist aber neben den Routinekontrollen noch die Bestimmung anderer Werte sinnvoll. „Jede Veganerin sollte ihren B₁₂-Status mithilfe eines Bluttests prüfen lassen“, rät Gynäkologin Dr. Katrin Kayser. „Lassen Sie das Holotranscobalamin bestimmen, also den HoloTC-Wert.“ Auch eine zeitnahe Kontrolle im Abstand von acht bis zwölf Wochen sei wichtig. „Man muss auf jeden Fall noch mal schauen: Passt die Dosierung der Supplemente, ist der Wert akzeptabel?“, so Kayser.
Frauen mit Kinderwunsch, die sich vegan ernähren, sollten frühzeitig ihre Gynäkologin oder ihren Gynäkologen darüber informieren. So können mögliche Nährstoffmängel vor der Schwangerschaft festgestellt und ausgeglichen werden. Eine Folsäure-Einnahme wird allen Frauen mit Kinderwunsch empfohlen.
Ist eine Ernährungsberatung wirklich notwendig?
Auf jeden Fall. „Viele Veganerinnen sind zwar gut informiert, aber in dieser speziellen Situation ist eine Überprüfung gemeinsam mit einer qualifizierten Ernährungsfachkraft wichtig“, sagt Andrea Kornblum. Gute Adressen findet man zum Beispiel über den Berufsverband Oecotrophologie oder das Netzwerk „Gesund ins Leben“. „Fragen Sie nach, ob die Person auf vegane Ernährung spezialisiert ist“, rät Andrea Kornblum. In der Regel wird ein Ernährungstagebuch geführt und dann unter Einbeziehung der Laborwerte von Ärztin oder Arzt ein Ernährungsplan für die Schwangerschaft erstellt. Werdende Mütter können sich bei ihrer Krankenkasse erkundigen, ob sie die Kosten übernimmt.
Können vegane Ersatzprodukte die Nährstofflücke füllen?
Eher nicht. Zum Teil werden Ersatzprodukte wie Haferdrink, Sojajoghurt und Co. zwar mit Nährstoffen angereichert, die auch in den tierischen Produkten enthalten sind, etwa mit Kalzium, Jod, Vitamin D oder verschiedenen B-Vitaminen. „Man muss sich das aber immer individuell anschauen“, sagt Ernährungsexpertin Andrea Kornblum. Vor allem der Eiweißgehalt ist im Vergleich zum tierischen Original bei vielen Produkten deutlich geringer. Wichtig ist, dass Veganerinnen – wie alle anderen Schwangeren auch – auf eine ausgewogene Ernährung mit möglichst frischen und wenig verarbeiteten Produkten achten.