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Am sechsten Mai wird Charles, der ewige Thronfolger von Großbritannien, endlich die Krone tragen. Ist er mit 74 Jahren nicht zu alt? Vielleicht sogar schwer krank?

Kurz nach dem Tod von Königin Elisabeth II. füllten bereits Spekulationen die Seiten der Klatschmagazine. Charles’ Hände sollten rot und geschwollen sein. Nicht zum ersten Mal. Rheumatoide Arthritis? Gicht? Herzschwäche? Ärztinnen und Ärzte, die sich vor Ferndiagnosen nicht scheuen, sind offen­bar schnell gefunden. Auch über die Gesundheit seiner Söhne Prinz William und Harry wird immer wieder wild spekuliert. Aber warum interessiert uns das so?

Royales Leben und Leiden im Rampenlicht

Julia Melchior ist Journalistin und hat zahlreiche Dokumentationen über Königshäuser Europas gedreht. „Es gibt sonst ­keine Menschen des öffentlichen Interesses, die man von der Geburt bis zum Tod begleitet“, sagt sie. Während unser Dasein ohne große öffentliche Beachtung verläuft, spielt sich das royale Leben im Rampenlicht ab als nie endende Seifenoper. „Wir leben mit diesen Personen, glauben, alles von ihnen zu wissen“, sagt Melchior. Über ihre Schicksalsschläge, Skandale – und auch Krankheiten.

Viel zu berichten gab es bei Königin Elisabeth II. in diesem Zusammenhang nicht. „Die Queen hatte eine erstaunlich robuste Gesundheit“, bestätigt Dr. Ronald D. Gerste. Der Augenarzt und Medizinhistoriker ist Autor vieler Sachbücher und hat sein jüngstes dem Leben von Königin Elisabeth II. gewidmet. Von schweren Krankheiten weiß er nichts zu berichten. Auch bei den Geburten ihrer vier Kinder hielt sie sich wacker. Obwohl ihr erstes Kind Charles per Notkaiserschnitt zur Welt kam. Vergangenes Frühjahr überstand die 95-Jährige ­sogar noch eine Corona-Infektion.

Das Geheimnis hinter Queen Elisabeths Gesundheit

Was war Elisabeths Geheimrezept? Laut Gerste nichts Überraschendes. „Ihre Kraftquellen waren sicher ihr christlicher Glaube und ihr Pflichtbewusstsein“, sagt er. Ansonsten: ­gute Gene und ein gesunder Lebensstil.

Die gute Pflege durch Profi­köche und Leibärzte, lange Spaziergänge an der frischen Luft mit ihren Corgis. Hin und wieder ein Gin Dubonnet, ihr Lieblingscocktail. „Wenn es extrem stressig wurde, soll sie schon mal tagsüber um ein Gläschen ­Martini gebeten haben“, erzählt Gerste. Doch sie sprach dem Laster nur in Maßen zu.

Leider hatten nicht alle Mitglieder der Royal Family eine so robuste Gesundheit wie Elisabeth. Ihr Vater, König George VI., starb mit nur 56 Jahren. Ihre Schwester Margaret, einst ein gefeierter Jetset-Star, kämpfte in ihren letzten Jahren mit einem ganzen Bündel körperlicher Leiden.

„Beide hatten ein Laster, das die Queen nicht ­hatte“, sagt Gerste. Sie haben sehr stark geraucht. „Bei Prinzessin Margaret kam hinzu, dass sie es nicht bei einem Gläschen Gin bewenden ließ.“ Ihr Lebensstil hatte Folgen: 1985 erkrankte die Schwester der Queen im Alter von 55 Jahren an Lungenkrebs. Der linke Lungenflügel musste entfernt werden. Margaret qualmte weiter, litt zudem an Leberzirrhose. Nach mehreren Schlaganfällen saß die Prinzessin schließlich im Rollstuhl und starb mit 72 Jahren.

Elisabeths Vater George konnte auch die Entfernung eines Lungenflügels keine weiteren Lebensjahre schenken. Er starb vier Monate nach der schweren Operation.

Sterbehilfe bei Elisabeths Vater King George V.

Auch Elisabeths Großvater, König George V., ebenfalls starker Raucher, starb mit 70 Jahren an einer schweren Lungenerkrankung. Sein Leibarzt Lord Bertrand Dawson leistete ihm offenbar Sterbehilfe, indem er dem kranken König eine tödliche Dosis Kokain und Morphium spritzte. „Aus heutiger Sicht ist das unfassbar“, sagt ­Gerste.

Die Öffentlichkeit erfuhr davon erst ein halbes Jahrhundert später durch Tagebucheinträge des Arztes. Dawson wollte dem König demnach weitere Qualen ersparen. Ein weiterer Grund, wie dieser in seinen Notizen angab: Der Tod sollte in der Morgenausgabe der „Times“ gemeldet werden. Über diesen in der Abendausgabe zu berichten, erschien ihm offenbar nicht statthaft.

Krankheiten, die heutigen Royals nachgesagt werden

Über solche Sorgen können Royals von heute wohl nur milde lächeln. Teils kommen sie mit Gegendarstellungen gar nicht mehr nach, um sich gegen die Fülle von Gerüchten zu wehren – auch über mögliche Krankheiten. Als Prinz Ernst August von Hannover Anfang der 2000er-Jahre öfter mal öffentlich aus der Rolle fiel, ließ sich sogar ein Unimediziner zu einer Verdachtsdiagnose hinreißen: Porphyrie, eine erblich bedingte Stoffwechselstörung, die auch zu psychischen Symptomen führen kann. Der Prinz reagierte mit einer Unterlassungs­erklärung

Auch bei Charles und William gibt es Spekulationen, sie litten an der Erkrankung. Jüngst wollten aufmerksame Be­obachter bei Meghan Markle Anzeichen für eine schwere Krankheit erkannt haben – anhand eines stark nach oben gebogenen Daumens: Die Herzogin leide vermutlich an Hypermobilität, einer Überbeweglichkeit der Gelenke, die auf schwachem Binde­gewebe beruht und erblich bedingt ist.

Warum Medien sich in Spekulationen vergaloppieren

„Mit großer Wahrscheinlichkeit alles Unsinn“, urteilt Professorin Ortrud Steinlein, Humangenetikerin an der Ludwig-Maximi­lians-Universität München. Weder ein schiefer Daumen noch öffentliche Wutanfälle noch geschwollene Hände reichen im Entferntesten aus, um auf die genannten Krankheiten zu schließen. „Die Betroffenen hätten noch mit ganz anderen Beschwerden zu kämpfen“, sagt Steinlein.

Dennoch: Dass Medien und manchmal auch Medizinerinnen und Mediziner sich derart leicht in Spekulationen vergaloppieren, hat einen Grund: die Erinnerung an Krankheiten, die Geschichte schrieben. Denn Leiden, die mit königlichem Blut weitergegeben werden, spielten in der Royal Family einst eine wichtige Rolle.

Erbkrankheit über Dynastien hinweg

So liegt im britischen Königshaus der Ursprung einer Erbkrankheit, die das Schicksal ganzer Dynastien bestimmte. Sie ging von Königin Victoria (1819–1901) aus.

„Victoria selbst erfreute sich bester Gesundheit“, sagt Medizinhistoriker Gerste. Auch wenn sie wohl im Alter mit ­einem Gebärmuttervorfall zu kämpfen hatte, erreichte sie das stolze Alter von 82 Jahren. Davon saß sie 64 Jahre auf dem Thron und gebar neun Kinder, die alle das Erwachsenenalter erreichten. Doch nicht alle ­waren gesund.

Bei Leopold, dem achten Kind der Königin, fiel schon als ­Baby auf, dass etwas nicht stimmte. Jede Prellung, ­jede kleine Verletzung führte zu einer riesigen Schwellung. Die Ärzte waren ratlos, umwickelten seine Beine mit engen Bandagen, um die Schwellungen gering zu halten, oder verödeten unkontrolliert blutende Wunden. Die Krankheit, an der Victorias Sohn litt, war zu ihrer Zeit durchaus bekannt. Ebenso, dass diese fast nur bei Männern auftritt.

Mangelnde Gerinnungsfaktoren fast nur bei Männern

„Die Hämophilie ist die älteste beschriebene Erbkrankheit überhaupt“, sagt Steinlein. Wie man heute weiß, steckt ein genetischer Fehler dahinter. Die Betroffenen leiden an einem Mangel ­bestimmter Gerinnungsfaktoren des Blutes. Da der Gendefekt auf dem X-Chromosom liegt, erkranken Frauen selten. „Bei ihnen kann das andere, gesunde X-Chromosom den Fehler ausgleichen“, ­erklärt Steinlein. Männer haben hingegen nur ein X-Chromosom. Ist dieses fehlerhaft, zeigt sich die Krankheit.

Für Victoria bedeutete das: Jede ihrer gesunden Töchter könnte Überträgerin des Genfehlers sein. Die Wahrscheinlichkeit lag bei 50 Prozent. Die Königin soll auf den Hinweis, dass ihre Familie von ­einer schweren Erbkrankheit betroffen ist, ungläubig reagiert haben. Nie zuvor war ein Fall aufgetreten.

Heute weiß man: „Zu Hämophilie-Fällen kann es auch durch ­sogenannte Spontanmutationen kommen“, erklärt Steinlein. Der Fehler entsteht ohne erkennbare äußere Einwirkung neu. Das war wohl bei der Königin der Fall.

Eine Prinzessin aus dem britischen Königshaus zu heiraten, glich also einer Lotterie.

Erbkrankheit mit drastischen politischen Folgen

Dennoch waren die schönen, äußerlich gesunden Töchter von Königin Victoria beliebte Heiratskandidatinnen – ­die Krankheit verbreitete sich in den Königshäusern von Europa, nach Deutschland, Spanien, Russland, und wurde so zur „Krankheit der Könige“.

Der russische Zar Nikolai II. heiratete 1894 Alix Prinzessin von Hessen, bekannt als Alexandra Fjodorowna, eine Enkelin von Königin Victoria. Sie gebar vier wunderhübsche, gesunde Töchter. 1904 wurde Thronfolger Alexej geboren. Bald war klar, dass der kleine Zarewitsch krank war: ein Stoß mit dem Kopf, ein harmloser Sturz – und er litt unter Blutungen. Zarin Alexandra wusste, dass sie die Ursache war – war doch ihr Bruder Friedrich Wilhelm mit nur zwei Jahren an der Bluterkrankheit gestorben.

In der Öffentlichkeit hielt man das Leiden geheim. Alexandra hoffte auf ein Wunder, das sie bald in einem Mann gefunden zu haben glaubte: Grigori Rasputin, ein Wandermönch und Wunderheiler aus Sibirien. Dem Mann mit dem langen Bart und den langen Haaren gelang es mehrfach, Alexejs Blutungen durch Zureden oder Handauf­legen unter Kontrolle zu bringen.

Er gewann enormen politischen Einfluss, was den Hass, der im Volk gegen das autokratische Regime des Zaren ohnehin gärte, zum Überlaufen brachte. Am 30. Dezember 1916 wurde Rasputin von einer Gruppe Aristokraten ermordet, kurz darauf brach in Russland die Revolution aus. Die Zarenfamilie wurde hingerichtet.

Geistige Umnachtung durch Porphyrie?

Das letzte Mitglied einer königlichen Familie, das den Gendefekt für die Bluterkrankheit in sich trug, war Prinz Waldemar von Preußen, der 1945 verstarb. Doch neben der Hämophilie gibt es vielleicht noch eine Erbkrankheit, die in Großbritannien Geschichte schrieb. Sie ist auch der Grund der Krankheitsspekulationen bei Prinz Ernst August von Hannover. Schließlich ist er der Urururur-Enkel des britischen Königs George III. (1738–1820), auch genannt „Mad King George“, „der verrückte König George“.

Bekannt ist, dass der Mo­narch während seiner Regierungszeit an wiederkehrenden Episoden geistiger Umnachtung litt. Doch warum? Ende der 1960er-Jahre erschien eine Studie der Psychiater Dr. Ida Macalpine und Dr. Richard Hunter, die die Ursache gefunden zu haben glaubten: Der König litt an Porphyrie. „Da­runter versteht man eine ganze Gruppe von Erkrankungen“, erklärt Steinlein. Meist führen Fehler im Erbgut dazu, dass der Aufbau des roten Blutfarbstoffs nicht richtig funktioniert. Der Körper wird mit Farbstoffen, den sogenannten Porphyrinen, überschwemmt.

„Das Ausbrechen der Symptome hängt oft von äußeren Bedingungen ab“, sagt Steinlein – etwa falsche Ernährung, zu viel Sonnenlicht, Medikamente. Die Beschwerden reichen von lichtempfindlicher Haut über kolikartige Bauchschmerzen, Krampfanfälle bis zu Wahnvorstellungen.

Verschlimmerung der Symptome durch Arsen

Ein typisches Kennzeichen: verfärbter Urin, oft dunkelrot wie Portwein. Historiker fahndeten bei Mitgliedern des britischen Königshauses vor allem nach diesem typischen Symptom – und wurden fündig, etwa in Briefen von Nachkommen Königin Victorias. Auch bei Maria Stuart.

Bei George III. verschlimmerten womöglich seine Leibärzte die Beschwerden, indem sie ihn – wie damals üblich – mit Arsen behandelten. Eine Haarsträhne des Königs, die im Science Museum in London aufbewahrt wird, weist eine stark erhöhte Konzentration des Gifts auf.

Nachgewiesen wurde Porphyrie allerdings nur bei Wilhelm von Gloucester, einem Cousin von Königin Elisabeth II. „Alles andere ist Spekulation“, sagt Steinlein. Eine neuere Untersuchung sieht in den Symptomen von George III. eher Hinweise auf eine bipolare Störung, bei der sich depressive Phasen mit manischen abwechseln.

Mentale Leiden und Bulimie durch öffentlichen Druck

Wie steht es um die Gesundheit der lebenden Royals? Hier hält sich das britische Königshaus bedeckt. „Offiziell bestätigte Krank­heiten gibt es keine – ­außer mentale Leiden, zu denen sich Prinz Harry vor einigen Jahren bekannt hat“, sagt Adelsexpertin Julia Melchior.

Das Leben als Royal bringt nicht nur Luxus mit sich, sondern auch den Druck der Öffentlichkeit. ­Lady Diana machte einen mutigen Schritt, als sie über ihre Bulimie sprach. Prinzessin Delphine von Belgien hungerte sich fast zu Tode, auch Schwedens Kronprinzessin Victoria litt als junge Frau an Magersucht. Sie bekannte sich offen zu ­ihrer Krankheit und holte sich psychotherapeutische Hilfe.

„Es geht nicht nur darum, schlank zu sein. Es geht auch um Kontrolle, wenn man sonst nicht kontrollieren kann“, so Melchior. Sich als Royal zu einer Psychotherapie zu bekennen, ist heute nichts Ungewöhnliches. Prinz Harry ließ sich für eine Doku-Serie gar bei einer Therapiesitzung von der Kamera begleiten. Er berichtet von „Panikattacken und Angstzuständen“, die er mit Alkohol und Drogen zu betäuben versuchte.

Charles: Ein vitaler König, der in sich ruht

Und Charles? Er soll von jüngsten Ereignissen etwas mitgenommen sein, wie Insider berichten. Melchior sieht das anders. Sie dreht gerade ­einen Film über den neuen König, der am 26. April auf Arte laufen wird. Den Start seiner Regentschaft wertet sie als Erfolg, der nur von dem Zerwürfnis mit seinem Sohn Harry überschattet wird. „Er zeigt, dass er mit seiner neuen Rolle nicht überfordert ist“, sagt sie. Im ­Gegenteil: „Charles ist ein Mann, der in sich ruht. Ich glaube auch, er ist ein sehr glücklicher Mensch. Wenn ich seine Aktivitäten als Barometer nehme, ist er ein sehr vitaler König von Mitte 70.“

Offen­bar hat Charles seine lebenslange Neigung zur Homöo­pathie nicht geschadet. Daher könnte es noch einige Jahre dauern, bis es wieder heißt: „Der König ist tot, lang lebe der König!“


Quellen:

  • Macalpine I, Hunter R, Rimington C: Porphyria in the royal houses of Stuart, Hanover, and Prussia, A follow-up study of George 3d's illness. thebmj: https://www.bmj.com/... (Abgerufen am 03.03.2023)
  • Warren M: The Madness of King George, the medical mystery. Online: https://www.youtube.com/... (Abgerufen am 03.03.2023)
  • Peters T: King George III, bipolar disorder, porphyria and lessons for historians. Clinical Medicine: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 03.03.2023)
  • Miesbach W, Müller M et al.: Die »Krankheit der Könige« verstehen und behandeln. Online: https://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/... (Abgerufen am 03.03.2023)
  • Gerste R D (2023): Die Queen. Elisabeth II. und ihr Zeitalter. S. 1-368. Klett-Cotta. https://www.klett-cotta.de/buch/Geschichte/Die_Queen/658303