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Dr. Ronald D. Gerste, 65, ist Augenarzt, Medizinhistoriker und Autor zahlreicher Sachbücher. Sein neuestes Buch schildert das Leben Queen Elizabeths II. als Teil der europäischen Geschichte, Kultur und Politik.

Herr Dr. Gerste, Queen Elizabeth II. wurde 96 Jahre alt. Ihr Mann Prinz Philipp starb im Alter von 99 Jahren, ihre Mutter mit 101. Haben die Royals ein Geheimrezept für gesundes Altern?

Dasselbe, wie viele Menschen, die bis ins hohe Alter fit und gesund sind. Zum einen: gute Gene. Schon die Ururgroßmutter von Elizabeth II., Queen Victoria, wurde mit 81 Jahren für ihre Zeit uralt. Hinzu kommt ein gesunder Lebensstil, der Normalsterblichen so kaum möglich ist. Als Royal müssen sie nicht um 7 Uhr morgens an der Werkbank stehen, überlegen, wie sie zwischendrin das kaputte Auto reparieren lassen und dann noch schnell irgendwas kochen. Stattdessen kümmern sich Spitzenköche um ihre ausgewogene Ernährung. Und Sie verbringen viel Zeit an der frischen Luft. Etwa beim Jagen oder wie Queen Elizabeth beim Spazierengehen mit ihren Hunden, den berühmten Corgis.

Medizinhistoriker Dr. Ronald D. Gerste

Medizinhistoriker Dr. Ronald D. Gerste

Ein straffer Zeitplan bleibt einem aber auch als Mitglied der königlichen Familien nicht erspart. Allein die vielen öffentlichen Auftritte.

Das stimmt natürlich. Aber einfach nur in den Tag hineinleben und sich gehen lassen, das ist auch kein gutes Gesundheitsrezept. Die Queen war extrem diszipliniert und hatte einen festen Tagesablauf – bis ins hohe Alter hinein. Sie hat hart gearbeitet und empfand das als sinnvoll. Sowas hält jung.

Sie sprechen vom gesunden Lebensstil der Queen. Wie passt das zu ihrer bekannten Vorliebe für Gin?

Natürlich kann man als Arzt niemals guten Gewissens zum Alkohol raten. Die Queen aber liebte ihren Cocktail Gin Dubonnet. Und wenn es extrem stressig wurde, soll sie schon mal unter Tags um ein Gläschen Martini gebeten haben.

Alltagsstress hatte die Queen sicher kaum. Skandale in der Familie gab es allerdings jede Menge. Wie sehr hat sie das mitgenommen?

Ich denke, Sie hat es geschafft, sich eine recht dicke Haut zuzulegen. Manches hat ihr aber wirklich Kummer bereitet. Dazu gehört sicher der Fall Diana, vor allem ihr Tod und die Medienkampagne, die danach gegen die Queen folgte. Man brauchte einen Schuldigen – und schickte Paparazzi ins schottische Balmoral, ihre Sommerresidenz. Ich glaube, was sie außerdem besonders mitgenommen hat, waren die Skandale um Prinz Andrew, der oft als ihr Lieblingssohn galt. Etwa seine enge Verbindung mit Jeffrey Epstein, der angeklagt wurde, Minderjährige missbraucht und zur Prostitution gezwungen zu haben.

Die Queen war erstaunlich gesund!

Was waren in solchen Zeiten ihre Kraftquellen?

Eine war ihr christlicher Glaube. Von ihrem Vater George VI. hatte sie außerdem gelernt, sich im Griff zu haben, Haltung zu bewahren. Sie wusste, eine Queen, die bei einer Krise hysterisch reagiert – das wäre das Ende der Monarchie. Ihr Pflichtbewusstsein war sicher eine Quelle von Kraft und Stärke.

Hatte sie in ihrem langen Leben irgendwelche schweren Erkrankungen?

Die Queen war erstaunlich gesund. Charles kam zwar per Kaiserschnitt zur Welt, ansonsten hat sie aber auch die Geburten gut weggesteckt. Ein Eingriff sagt eigentlich alles über ihre Konstitution aus: Im Alter von 92 unterzog sich die Queen einer Katarakt-Operation. Wegen eines grauen Stars wurde ihr eine künstliche Linse ins Auge eingesetzt. Sie und ich werden das wohl Anfang unserer Siebziger oder noch früher über uns ergehen lassen müssen.

Ihre Schwester Margaret und ihr Vater George VI. hatten weniger Glück mit der Gesundheit.

Beide hatten ein Laster, das die Queen nicht hatte: Sie haben sehr stark geraucht. Bei Margaret kam noch hinzu, dass sie es nicht bei einem Gläschen Gin bewenden ließ. Das hatte Folgen. Margaret litt schließlich an Lungenkrebs und einer Leberzirrhose. In ihrem letzten Lebensjahr erlitt sie zudem mehrere Schlaganfälle, woran sie im Alter von 72 starb. Bei George VI. war der Risikofaktor allein der Tabak. Er bekam ebenfalls Lungenkrebs. Im September 1951 wurde ihm im Buckingham Palace im selben Zimmer, in dem Elizabeth drei Jahre zuvor Charles zur Welt gebracht hatte, der linke Lungenflügel entfernt.

War damals bekannt, woran der König litt?

Anfangs hieß es: Majestät haben eine katarrhalische Entzündung, also eine Entzündung der Atemwegsschleimhäute. Ob der König selbst wusste, wie es um ihn stand, ist unklar. Da wurde gerne drum rumgeredet. Die Formulierung lautete damals: „Es ist nicht restlos gutartig.“ Vier Monate nach der Operation starb George VI. im Alter von nur 56 Jahren. Die offizielle Todesursache lautete Koronarstenose, also ein verengtes Herzkranzgefäß. Doch es wird vermutet, dass er an einer Lungenblutung starb. Vermutlich hatte er Metastasen im anderen Lungenflügel.

Man mutmaßte, Prinz Albert Victor könne der Serienmörder ‚Jack the Ripper‘ gewesen sein.

Auch Elizabeth Urgroßvater King George V., ebenfalls starker Raucher, starb mit 70 Jahren an einer schweren Lungenerkrankung. Stimmt es, dass sein Arzt ihm Sterbehilfe geleistet hat?

Bekannt wurde das erst 50 Jahre nach seinem Tod: In den Tagebucheinträgen seines Leibarztes Lord Bertrand Dawson fand sich das Geständnis, dass er dem König eine tödliche Dosis Kokain und Morphium gespritzt hatte, um ihm Qualen zu ersparen. Das ist aus heutiger Sicht nahezu unfassbar. Ob die königliche Familie davon wusste, ist unklar.

Gab es sonst Krankheiten, über die man im Königshaus nicht gerne sprach?

Eventuell bei dem Bruder von George V., Prinz Albert Victor. Er war der eigentliche Thronfolger, starb aber 1892 im Alter von nur 28 Jahren. Queen Victoria hat einmal erwähnt, dass er an einer „abscheulichen Krankheit“ litt. Viel deutet auf eine Geschlechtskrankheit hin: die Syphilis. Dass er gerne Bordelle besuchte, war bekannt. Es gab sogar mal Mutmaßungen, er könnte „Jack the Ripper“ gewesen sein. Aber das ist sicher sehr weit hergeholt.

Die britische Serie „The Crown“ erzählt das Leben von Elizabeth II. und ihrer Familie. Sie rief unter anderem das Schicksal von Nerissa und Katherine Bowes-Lyon in Erinnerung, beide Cousinen ersten Grades der Queen. Woran litten sie?

Die beiden Schwestern waren Töchter von John Herbert Bowes-Lyon, des Bruders der Queen Mum. Man kann wohl davon ausgehen, dass sie an einer erblichen intellektuellen Entwicklungsstörung litten. Mehrere Cousinen der beiden galten ebenfalls als „schwachsinnig“, wie man damals unschön sagte. Sie waren sogar in derselben Einrichtung, dem Royal Earlswood Hospital am Rande Londons, untergebracht. Bemerkenswert ist, dass die Mutter der Queen, also die Tante von Nerissa und Katherine, Schirmherrin einer Wohltätigkeitsorganisation für geistig Behinderte war. Von der Existenz ihrer beiden Nichten soll die Queen Mum erst in höherem Lebensalter erfahren haben.

In dem Adelslexikons „Burke’s Peerage“ wurden die beiden sogar als tot geführt, obwohl sie noch lebten.

Das Schicksal der beiden Cousinen der Queen ist geradezu symptomatisch dafür, wie man früher häufig in der Oberschicht mit geistig behinderten Menschen umging. Sie wurden außer Sichtweite der Familie, der Öffentlichkeit und der Medien in einer Einrichtung untergebracht. Ihre Existenz wurde so gut es ging verleugnet – oder in diesem Fall wurden sogar zeitweilig für tot erklärt. Der Fall erinnert an das Schicksal von Rosemary Kennedy. Die Schwester des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, wurde von ihrem Vater, dem steinreichen Joseph Kennedy, in ein weit abgelegenes Heim in Wisconsin gebracht. Davor war durch eine Lobotomie, einen schweren neurologischen Eingriff, bei dem Nervenbahnen im Gehirn durchtrennt werden, ihre Persönlichkeit völlig zerstört worden. Als ihr Bruder für die Präsidentschaft kandidierte, behauptete man, sie lebe als Nonne zurückgezogen in einem Kloster.

Aus der Geschichte des Adels ist bekannt, dass das blaue Blut nicht selten Erbkrankheiten mit sich brachte. War das britische Königshaus direkt betroffen?

Vielleicht sogar mehrfach. Am bekanntesten ist die Hämophilie, die Bluterkrankheit. Sie ging offenbar von Queen Victoria aus – und hatte Folgen für viele Königshäuser in Europa. Queen Victoria galt ja als Urgroßmutter Europas, ihre Nachkommen heirateten in zahlreiche adlige Familien ein.

Sie sagten anfangs Queen Victoria wurde sehr alt.

Sie selbst hatte eine robuste Gesundheit, war aber Überträgerin der Erkrankung, die bei ihr wohl als Spontanmutation auftrat – oder bei einer ihrer weiblichen Vorfahren. Da der Fehler auf dem X-Chromosom liegt, kommt es fast nur bei Männern zu Beschwerden. Denn bei Frauen kann das gesunde X-Chromosom den Fehler ausgleichen. Auch einige von Victorias Töchtern waren selbst gesund, brachten die Krankheit aber mit, als sie in andere Königsfamilien einheirateten.

War die Erkrankung tödlich?

Victoria musste selbst erleben, wie ihr Sohn Leopold im Alter von 30 nach einem Sturz verblutete. Mindestens ein Prinz von Preußen starb an der Hämophilie, auch Mitglieder des spanischen Königshauses waren betroffen. Der tragischste Fall war wohl Alexei Nikolajewitsch, der einzige Sohn von Zar Nikolaus II. Er blutete bei jedem kleinsten Missgeschick, wurde schließlich isoliert und von allem ferngehalten, wobei er sich hätte verletzen können. Dass er nicht auf den Thron gelangte, lag allerdings nicht an der Krankheit. Die Zarenfamilie wurde im Zuge der Oktoberrevolution erschossen.

Die britische Familie soll noch von einer weiteren Erbkrankheit betroffen sein: der Porphyrie. Was ist das für ein Leiden?

Bei der Porphyrie handelt es sich um eine Stoffwechselerkrankung. Der Aufbau des roten Blutfarbstoffs funktioniert nicht richtig. Die Symptome sind vielfältig: starke Bauchschmerzen, Hautprobleme, auch psychische Störungen. Und dann sehr typisch: dunkelroter Urin. Die Beschwerden treten dabei oft episodisch auf.

Gab es bekannte Fälle?

Das ist etwas umstritten. Vielleicht der Fall des „mad King George“, des „verrückten Königs George“. Gemeint ist George III., der von 1760 bis 1820 regierte. Von ihm ist bekannt, dass er an Anfällen von geistiger Umnachtung litt. Dazwischen erholte er sich aber auch wieder. Manche Medizinhistoriker vermuten Porphyrie, andere eher eine bipolare Störung, bei der Phasen von Depression mit manischen Episoden abwechseln. Auch bei anderen Abkömmlingen des britischen Königshauses suchte man in alten Quellen nach Symptomen – und glaubte sie teils erkennen zu können. Offenbar finden sich immer wieder mal Hinweise auf rötlich verfärbten Urin. Bei Prince William of Gloucester, einem Enkel von George V., dem Großvater von Elizabeth, wurde die Erkrankung tatsächlich nachgewiesen.

Ursache für den Tod der Queen war vermutlich einfach der körperliche Verfall.

Spielt Porphyrie heute noch eine Rolle?

Dafür gibt es keine Hinweise. Das Leben von Queen Elizabeth hat diese Krankheit ganz offenbar nicht beeinträchtigt.

Weiß man, woran sie eigentlich letztlich starb? Es gab Spekulationen über das Broken-Heart-Syndrom.

Das Broken-Heart-Syndrom wird durch emotionalen Stress ausgelöst. Es kommt zu Beschwerden, die einem Herzinfarkt ähneln. Davon ist nichts bekannt. Natürlich hat sie der Tod ihres Mannes Prinz Philipp vor einem Jahr sehr mitgenommen. Die Todesursache war, denke ich, aber einfach der allgemeine körperliche Verfall. Die letzten Bilder, als Boris Johnson sie in Balmoral besuchte, waren für mich ein Schock. Die Queen sah wirklich stark gealtert aus. Ich denke, ihr körperliches System war einfach am Ende.

Welche Rolle spielte bei ihrem hohen Alter die medizinische Versorgung? Die Royals, so liest man, sollen gern auf alternative Medizin setzen, insbesondere Homöopathie.

Ob die Queen auch Globuli im Pillendöschen hatte, kann ich nicht sagen. Richtig ist, dass die königliche Familie schon zu Queen Victorias Zeiten mit der Homöopathie vertraut war. Was auch zeigt, dass sie gegenüber Innovationen immer offen war. So gehörten die Royals zu den Ersten, die sich um 1800 bei der Einführung der Pockenimpfung impfen ließen. Dass sie primär auf Homöopathie setzen, ist aber eher ein Gerücht, das von den Befürwortern der Therapie gezielt in die Welt gesetzt wurde. Wenn Mitglieder der Königsfamilie wirklich krank sind, stehen ihnen der medical household, ein Stab aus den besten Medizinerinnen und Mediziner des Landes zur Verfügung.

Als Fan alternativer Methoden gilt vor allem Prinz Charles, der deswegen auch öfter in die Kritik geriet. Wird er sich als King Charles weiter dafür einsetzen?

Wenn er gefragt wird, wird er sicher bei seiner Meinung bleiben. Er wird aber sicher vorsichtiger sein, sich offen politisch dafür einzusetzen. Was man als Prinz von Wales sagt, ist eine Sache. Als König wiegt das schwerer. Seine Ausbildungszeit war ja lange genug. Ich denke nicht, dass ihm grobe Schnitzer unterlaufen werden.

Buchtipp:

„Die Queen. Elizabeth II. und ihr Zeitalter“ „Die Queen. Elizabeth II. und ihr Zeitalter“, 368 S. 25 Illustrationen. Klett-Cotta. ISBN 978-3-608-98675-4, 25 Euro erscheint am 10. November 2022.

„Die Queen. Elizabeth II. und ihr Zeitalter“ „Die Queen. Elizabeth II. und ihr Zeitalter“, 368 S. 25 Illustrationen. Klett-Cotta. ISBN 978-3-608-98675-4, 25 Euro erscheint am 10. November 2022.

Am 14. November feiert Charles seinen 74. Geburtstag. Andere sind da längst in Rente. Ist er noch fit genug für den Job?

Ich erwarte, dass er eine ganze Weile im Amt bleibt. Er hat – außer einigem persönlichen Stress – immer gesund gelebt, Sport getrieben, vor allem Polo gespielt. Für 74 wirkt er topfit. Ich denke, dass es viele Jahre dauern könnte, bis es wieder heißt: The king is dead, long live the king.