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Bei manchen kribbelt es nur leicht in den Zehen. Oder die Füße fühlen sich taub an. Andere haben brennende oder stechende Schmerzen, die in Ruhe oder nachts besonders stark sind. Diese Symptome sind typisch für eine diabe­tische Neuro­pathie. Etwa jeder ­dritte Mensch mit Diabetes ent­wickelt solche Nervenschäden. Am häufigsten an Füßen und Beinen, seltener an Händen und Armen. Bei ­einigen führt dies zu starken Beschwerden. Auf der anderen Seite spürt man Schmerzen, etwa durch Verletzungen am Fuß, schlechter oder gar nicht. „Das ist gefährlich, weil sich so unbemerkt schlecht heilende Wunden entwickeln können“, sagt Dr. Tanja Schlereth, klinische Leiterin der Neurologie an der DKD Helios Klinik Wiesbaden.

Beschwerden abklären lassen

Wie genau es zur Neuropathie kommt, ist unklar. Zwei Wege spielen vermutlich eine Rolle: Lange Zeit erhöhte Blutzuckerspiegel schädigen die feinen Gefäße, welche die Nerven versorgen. Zudem entstehen giftige Stoffwechselprodukte, die die Nerven direkt angreifen. Reparieren lassen sich die Schäden nicht. „Gute Zuckerwerte können aber das Fortschreiten stoppen“, sagt Dr. Dietrich Tews, Diabetologe in Gelnhausen. Bewegung, gesunde Ernährung und der Abbau von Über­gewicht wirken sich günstig auf die Zucker-, Blutdruck- und Blutfettwerte und damit auf die Nerven aus. Alko­hol und ­Nikotin sind hingegen Gift für sie.

Stress, Angst, psychische Belastung: Die Gründe für chronische Schmerzen sind vielfältig.

Schmerz lass nach!

Wie wir Schmerzen empfinden, hängt nicht nur von äußeren Reizen ab. Vor allem, wenn sie zur Dauerqual werden, ist die äußerliche Ursache oft längst verheilt. zum Artikel

Bei Beschwerden wenden Sie sich bitte rasch an Ihren Hausarzt oder Diabetologen. Auch um andere Ursachen abzuklären. Es stehen verschiedene Therapiemethoden zur Verfügung. Einige stellen wir Ihnen ab Seite 10 vor. „Um starke Schmerzen zu lindern, ist es oft sinnvoll, Medikamente mit anderen Methoden zu kombinieren“, so Tews.

Auf Angenehmes konzentrieren

Wichtig ist auch, sich von den Schmerzen abzulenken. Konzentrieren Sie sich auf Angenehmes, etwa ein Hobby oder Treffen mit Freunden. Lassen die Schmerzen trotz Therapie nach spätestens zwölf Wochen nicht deutlich nach, sollten Sie zu einem Schmerztherapeuten (siehe Interview Seite 14). Ebenfalls wichtig: die Füße gut pflegen, täglich inspizieren und Veränderungen sofort dem Arzt zeigen. So beugen Sie schlecht heilenden Wunden am Fuß vor. Diese können schnell entstehen, wenn zusätzlich die Durchblutung gestört ist. Manchmal wird dann sogar eine Amputation nötig. Um Ihre Füße zu schützen, verordnet Ihnen der Arzt bei Bedarf spezielle Ein­lagen oder Schuhe sowie medizinische Fuß­pflege beim Podologen.

Regelmäßig zum Fußcheck gehen

„Auch wenn Sie keine Beschwerden haben, sollten Sie einmal im Jahr beim Arzt nach Nervenschäden und Durchblutungsstörungen fahnden lassen“, rät Tews. Ob die Nerven in den Beinen intakt sind, zeigen einfache Tests (siehe Beispiel). Bei Typ-2-Diabetes ist schon bei der Diagnose ein Check fällig. Mög­licherweise war der Zuckerspiegel bereits einige Jahre erhöht und die Nerven haben darunter gelitten. Bei Typ-1-Diabetes steht der erste Check spätestens fünf Jahre nach der ­Di­agnose an. Bei bestehenden Schäden sind in ärztlicher Absprache häufigere Kontrollen nötig.

Was hilft wie? Ein Überblick über die gängigsten Therapiemethoden

Verschreibungspflichtige Medikamente

Rezeptfreie Schmerzmittel wie etwa Ibuprofen oder Diclofenac bringen bei Nervenschmerzen wenig. „Zudem kann die regelmäßige Einnahme Herz, Nieren und Magen schaden“, sagt Dr. Katja Renner, Apothekerin in Wassenberg.

Ärztinnen und Ärzte können aber Medikamente verordnen, die sonst zur Behandlung von Depressionen oder Epilepsie eingesetzt werden. Diese dämpfen die Schmerzwahrnehmung. „Ob ein Mittel hilft, lässt sich oft erst nach zwei Wochen beurteilen“, sagt die ­Wiesbadener Neurologin Dr. Tanja Schlereth. Herauszufinden, welches Präpa­rat oder welche Kombi am besten wirkt und vertragen wird, erfordere Geduld. Der Schmerz verschwindet selten ganz, lässt sich aber oft deutlich reduzieren. Im Einzelfall, wenn andere Medikamente versagen oder sich nicht eignen, kommen Opioide infrage. Cannabis-Medikamente sind eine Option, wenn alle Standard-Therapien nachweislich versagt haben. „Der verordnende Arzt muss die Therapie bei der Krankenkasse beantragen“, so Schlereth. Zu Erfolg und Sicherheit einer Langzeitbehandlung gebe es kaum Erfahrungen.

Rezeptfreie Präparate

Alpha-Liponsäure und Benfotiamin lindern bei manchen die Beschwerden. Es gibt sie etwa als Tabletten in der Apotheke. Alpha-Liponsäure kann auch höher dosiert als Infusion ärztlich verabreicht werden. „Unterstützend kann man die Präparate probieren, die Kassen zahlen aber meist nicht“, sagt Renner. Zu Anwendung und Kosten beraten Ärztin und Apotheker.

Behandlungen mit Strom

Ein Therapieversuch mit Reizstrom eignet sich ergänzend zu Medikamenten:
Bei der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS) werden Elektroden auf die Haut geklebt. Sie erzeugen einen schwachen Strom. Er verursacht ein Kribbeln, das den Schmerzreiz über­lagert. Studien lieferten bislang aber nur wenige Belege zur Wirksamkeit. Geräte gibt es auf Rezept.

Bei der Hochtontherapie werden Elektroden an den Beinen befestigt und die Muskeln durch hochfrequenten Strom stimuliert. Einige Anwender berichten über günstige Effekte. „Die langfristige Wirkung der Hochton­therapie ist nicht belegt“, sagt ­Schlereth. Die Kassen zahlen nicht. Beim Hersteller gibt es das Gerät zu mieten und zu kaufen.

TENS und Hoch­tontherapie mindestens zwei- bis dreimal pro Woche für eine halbe Stunde anwenden. Vorab mit Ärztin oder Arzt sprechen.

Elektrische Rückenmarkstimulation kommt infrage, wenn alle anderen Methoden versagen. Ärztin oder Arzt führt im Bereich der Wirbelsäule eine Sonde ein, die das Schmerzempfinden durch elektrische Impulse verringert. Schmerzzentren und neurochirurgische Abteilungen von Kliniken bieten den Eingriff an. Die Kassen zahlen in der Regel.

Chili auf der Haut

Pflaster mit Capsaicin, dem Wirkstoff der Chilischote, können etwa bei Nervenschmerzen in den Füßen helfen. Capsaicin blockiert die Weiterleitung von Schmerzsignalen für längere Zeit. Die Anwendung erfolgt beim Neurologen oder Schmerztherapeuten. Am Fuß klebt er das Pflaster für eine halbe Stunde auf den schmerzenden Bereich. Ein Versuch reicht, um zu beurteilen, ob man darauf anspricht. Die Behandlung kann alle 90 Tage wiederholt werden und wird von den Kassen bezahlt. Das Chili-Pflaster eignet sich vor allem dann, wenn sich andere Medikamente verbieten, nicht genug wirken oder starke Nebenwirkungen verursachen. Neurologin Schlereth gibt zu bedenken: „Capsaicin setzt das bei einer Neuropathie oft gestörte Empfinden weiter herab. Was das Risiko erhöht, sich unbemerkt am Fuß zu verletzen.“

Akupunktur, medizinische Bäder

Mit Akupunktur machen manche Patienten gute Erfahrungen. Bei Nervenschmerzen ist die Therapie keine Kassenleistung. Die Wirkung lässt sich frühestens nach fünf bis zehn Sitzungen beurteilen. Auch Wasseranwendungen können helfen. Angeboten werden sie etwa in Rehakliniken oder von Kneipp-Vereinen. Bei Herz-Kreislauf-Problemen oder Durchblutungsstörungen sich vorher ärztlich beraten lassen.

Psychologische Therapien

Eine Psychotherapie kann helfen, ­Strategien zu entwickeln, um im Alltag besser mit den Schmerzen klar­zukommen. Darum geht es auch bei ­einem Schmerz­bewäl­tigungstraining. Dieses bieten etwa Schmerzzentren an. Beim Training erfahren Sie, was Ihnen helfen kann, die Schmerzen weniger intensiv wahrzunehmen — etwa Entspannungs- und Ablenkungsmethoden. Das ­Training beinhaltet meist mehrere Gruppensitzungen. Die vorgestellten Methoden ­werden ausprobiert, sodass sich die individuell ­richtige ­finden lässt. Im ­Rahmen ­einer multi­modalen Schmerz­therapie (siehe Interview unten) zahlen die Kassen.

Interview mit Dr. Heinrich Binsfeld, Vizepräsident der Deutschen ­Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS). Binsfeld leitet das DGS-Schmerzzentrum Ahlen/Drensteinfurt

Wie erhalte ich eine Schmerztherapie beim Spezialisten?

Ich rate dazu, sich an ein regionales Zentrum der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin zu wenden. Ist dieses zu weit von Ihrem Wohnort entfernt, nennt man Ihnen einen Spezialisten in Ihrer Nähe. Weil es in Deutschland zu wenig Schmerztherapeuten und -therapeutinnen gibt, sind die Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz aber oft lang. Je nach Region bis zu sechs Monate, mitunter auch länger.

Geht es auch schneller?

In dringenden Fällen kann es helfen, wenn Ihr Arzt in der Schmerzeinrichtung anruft. Dann sollte es möglich sein, binnen zwei Wochen einen Platz zu erhalten. Der Arzt muss eine Überweisung zur multimodalen Schmerz­therapie ausstellen.

Was bedeutet multimodal?

Die Therapie kombiniert ­verschiedene ­Bausteine, die auf Ihre ­Bedürfnisse abgestimmt sind: Medikamente, physikalische ­Verfahren wie TENS und psycholo­­­­gische Methoden. Schmerz­therapeut oder Hausarzt können Sie auch in eine Klinik einweisen, die stationäre multimodale Schmerz­therapie anbietet. Das kann sinnvoll sein, wenn in Ihrer Nähe keine ambulante Therapie möglich ist.


Quellen:

  • Schlereth T, et al. / Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. Leitlinie: 2019. https://dgn.org/... (Abgerufen am 11.08.2023)

  • Ziegler D et al : Diabetische Neuropathie, Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Leitlinie: 2022. Diabetologie und Stoffwechsel: https://doi.org/... (Abgerufen am 11.08.2023)