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Alle Zellen brauchen es als Baustein ihrer Membran, der Körper stellt daraus Hormone und anderes Lebenswichtige her: Cholesterin. Im Blut jedoch kann schnell zu viel davon mitfließen. Vor allem, wenn dann noch weitere Risikofaktoren hinzukommen, empfiehlt sich eine Behandlung. Die Umstellung der Ernährung genügt oft nicht, weil die Leber das meiste Cholesterin selbst herstellt. Medikamente sind zusätzlich nötig. Besonders im Fokus: eine Transportform, in der das Blut Cholesterin an seine Bestimmungsorte steuert, LDL-Cholesterin (LDL-C) genannt.

Statine gegen zu hohe Cholesterin-Werte

So weit, so bekannt. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn einige Arzneien senken zwar den LDL-C-Wert, nicht aber die Zahlen, bei denen es wirklich wichtig wäre: jene der Schlaganfälle, Herzinfarkte, erneuten Katheter-Eingriffe, Herzoperationen, Todesfälle aufgrund dieser Ursachen sowie der vorzeitigen Todesfälle insgesamt. Das zeigt eine aktuelle Analyse der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Trotzdem: „Dass Choles­terin zu senken wichtig ist, daran zweifelt keiner von uns. Es gibt keine Cholesterin-Lüge“, sagt Prof. Dr. Thomas Eschenhagen, der an der Analyse mitgearbeitet hat. Es gibt wohl einen Langzeiteffekt. „Das ist wie beim Rauchen. Je länger der Cholesterinspiegel erhöht ist, desto gefährlicher ist es“, sagt Prof. Dr. Oliver Weingärtner, Blutfettexperte an der Uniklinik Jena.

Hiergegen werden am häufigsten Statine eingesetzt. Sieben Varianten sind auf dem deutschen Markt, alle enden auf -statin, mehr als drei Milliarden Mal wurden sie 2021 geschluckt. Unzählige Studien und davon abgeleitete Metaanalysen belegen, dass Statine zumindest bei bereits herzkranken Patientinnen und Patienten lebensverlängernd wirken und die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle senken. Wie stark jemand profitiert, hängt vom errechneten persönlichen Risiko ab. Unter Menschen, die zum Beispiel ein 30-prozentiges Risiko haben, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, bleiben etwa neun von hundert verschont. Auf Kassenkosten können die Mittel bei bisher herzgesunden Menschen nur bei einem Risiko von mehr als 20 Prozent verordnet werden.

Therapie mit Nebenwirkungen

Es gibt aber auch klare Fälle. „Wenn ich einen rauchenden Diabetiker vor mir habe, empfehle ich auf jeden Fall, Statine einzunehmen“, sagt Prof. Dr. Erika Baum, langjährige Leiterin des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uni Marburg und Hausärztin. Auch bei Menschen mit Verengungen in den Beinarterien würde sie ungern auf ein hoch dosiertes Statin verzichten und eine vermeidbare Amputation riskieren. Diabetikerinnen und Diabetiker profitieren in diesem Fall auch von gut eingestelltem Blutzucker. Neben der LDL-C-Senkung, sagt Thomas Eschenhagen, haben Statine einen weiteren Effekt: In der Reaktionskette der Cholesterin-Herstellung entstehen Zwischenprodukte, die bestimmte Signalmoleküle im Körper aktivieren. Statine bremsen dies. Damit kann etwa die Funktion der Gefäß­innenwand verbessert werden, Ablagerungen lösen sich weniger leicht und verursachen seltener etwa einen Herzinfarkt.

Freilich hat, was wirkt, meist auch Nebenwirkungen. Am häufigsten klagen Patientinnen und Patienten über Muskelschmerzen. Doch die können vielfältige Ursachen haben. Dazu gibt es eine aufschlussreiche Studie: Eine britische Arbeitsgruppe verordnete 60 Testpersonen entweder Atorvastatin, ein Placebo oder einen leeren Behälter. Über ein Jahr hinweg notierten die Teilnehmenden per Smartphone ihre Beschwerden auf einer Skala von 0 bis 100. Ergebnis: Die Gruppe mit den leeren Behältern hatte erwartungsgemäß die wenigsten Punkte, zwischen Atorvastatin und Placebo gab es aber fast keinen Unterschied. Fachleute nennen das Nocebo-Effekt, den bösen Bruder des Placebo-Effekts: Wenn man an Beschwerden wie Schmerzen glaubt, dann treten sie oft auch tatsächlich auf. Natürlich sollte man den Ursachen der Schmerzen trotzdem nachgehen, weil dahinter auch etwas Ernstes stecken könnte.

Eine andere Nebenwirkung von Statinen könnte die Entwicklung eines Diabetes sein. Dazu sind die Daten allerdings widersprüchlich. Bei einem hoch dosierten Statin ermittelte die AkdÄ einen zusätzlichen Diabetes-Fall unter 125 Anwenderinnen und Anwendern. Halten sich Nutzen und Risiken fast die Waage, kann die Abwägung schwierig sein. Erika Baum arbeitet derzeit an einer Neufassung der Herz-Kreislauf-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin mit. Eine Empfehlung wird mit Sicherheit bleiben, sagt sie: Man errechnet gemeinsam mit den Betroffenen das Risiko und bespricht die Therapieoptionen. Also, ob jemand das Rauchen aufgibt, mehr Sport treibt, ein Statin nimmt – oder alles zusammen. Am Ende entscheidet der oder die Behandelte.

Plan B: Ezetimib

Und wenn das LDL-C nicht ausreichend sinkt? Dann empfiehlt eine Leitlinie der Europäischen Kardiologinnen und Kardiologen die Hinzunahme von Ezetimib, einer Substanz, die die Cholesterinaufnahme aus dem Darm hemmt. Darunter trat laut einer Studie nach siebenjähriger Einnahme unter 63 Betroffenen ein Herzinfarkt weniger auf. Die Zahl der Todesfälle verminderte sich nicht. Doch genau darauf komme es letztlich an, findet Thomas Eschenhagen. Das gilt auch für einen Neuling unter den Medikamenten, die Bempedoinsäure. Sie setzt wie Statine bei der Cholesterinsynthese an, hemmt dort ein notwendiges Enzym.

Die Substanz wurde 2020 zugelassen und von einer Werbekampagne begleitet, unterstützt von namhaften Kardiologinnen und Kardiologen. Sie wurde als „Plan B“ vermarktet – als Alternative, wenn Betroffene keine Statine vertragen. Den Behandelten hat das beteiligte Fachpersonal damit womöglich einen Bärendienst erwiesen, Stichwort Nocebo-Effekt. Ob die vermeintlichen Statin-Unverträglichkeiten echte sind, solle man erst durch einen Austausch oder eine Dosisveränderung testen. Und zwar mit mindestens drei unterschiedlichen Statinen, findet Oliver Weingärtner. Denn so gut ist der Plan B gar nicht: Bempedoinsäure reduzierte laut der entscheidenden Studie zwar die Zahl notwendiger Herzeingriffe. Es konnte unter 91 Behandelten einen Herzinfarkt verhindern, hatte jedoch keinen Einfluss auf Schlaganfälle und verminderte weder die Zahl der Herz-Kreislauf-Todesfälle noch die der Todesfälle insgesamt.

Letzteres gilt auch für zwei Mittel einer weiteren Arzneigruppe, sogenannte PCSK9-Hemmern. Sie beugen neben Herzinfarkten auch in geringfügigem Umfang Schlaganfällen vor. Weil sie das LDL-C stark senken, sind sie eine Option für Menschen mit der familiären Form überhöhter LDL-C-Werte, die 300 mg/dl und mehr betragen können. Auf Kasse dürfen sie ob ihres hohen Preises nur verschrieben werden, wenn sonst nur noch eine Art Blutwäsche infrage käme.

Solange sich die Datenlage nicht ändert, bleiben Statine jedenfalls das Maß aller Dinge.

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Podcast: Plan B für die Lipidsenkung

Bei statin-intoleranten Patient:innen ist ein Plan B für die Lipidsenkung angesagt. Heißt er Bempedoinsäure? Laura Weisenburger mit den Antworten. zum Artikel


Quellen:

  • Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ): Medikamentöse Cholesterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse, 1.Auflage, Version 2.0, Juli 2023. https://www.akdae.de/... (Abgerufen am 18.08.2023)
  • Bundesärztekammer; KBV; AWMF: Nationale Versorgungs-Leitlinie KHK. Leitlinie: 2022. (Abgerufen am 17.08.2023)

  • European Society of Cardiology; European Atherosclerosis Association: 2019 ESC/EAS Guidelines for themanagement of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Leitlinie: 2019. (Abgerufen am 16.08.2023)

  • European Society of Cardiology: 2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Leitlinie: 2021. (Abgerufen am 16.08.2023)

  • Byrne P et al.: Evaluating the Association Between Low-Density Lipoprotein Cholesterol Reduction and Relative and Absolute Effects of Statin Treatment A Systematic Review and Meta-analysis. In: JAMA Internal Mediciene 14.03.2022, 182: 774-481
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  • Shepherd J et al.: Prevention of Coronary Heart Disease with Pravastatin in Men with Hypercholesterolemia. In: NEJM 16.11.1995, 333: 1301-08
  • Navarese EP et al.: Association Between Baseline LDL-C Level and Total and Cardiovascular Mortality After LDL-C Lowering A Systematic Review and Meta-analysis. In: JAMA 17.08.2018, 319: 1566-79
  • Buch

  • Howard JP: Side Effect Patterns in a Crossover Trial of Statin, Placebo, and No Treatment. In: JACC 14.07.2021, 78: 1210-22
  • Eschenhagen T; Laufs U: Statins Do More Than Lower Cholesterol—Depending on What You Eat?. In: Circulation 04.05.2021, 143: 1793-96
  • Nordestgaard BG et al.: Familial hypercholesterolaemia is underdiagnosed and undertreated in the general population: guidance for clinicians to prevent coronary heart disease , Consensus Statement of the European Atherosclerosis Society. In: European Heart Journal 01.12.2013, 34: 3478-3490
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  • Sabatine MS et al.: Evolocumab and Clinical Outcomes in Patients with Cardiovascular Disease. In: NEJM 04.05.2017, 376: 1713-22
  • O'Donoghue ML et al.: Long-Term Evolocumab in Patients With Established Atherosclerotic Cardiovascular Disease. In: Circulation 15.10.2022, 146: 1109-19
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