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Knapp 400 Kilometer liegen zwischen Berlin und Bielefeld, der ICE braucht für diese Strecke weniger als drei Stunden. Keine große Sache, falls man beruflich unterwegs ist oder Freunde besuchen will. Eine riesige Hürde, wenn man sich über eine solche Distanz um Angehörige kümmert, die Pflege brauchen. Kurz mal nach dem Rechten sehen? Fast unmöglich.

Gudrun Gehring hat diese Situation fünf Jahre lang erlebt. Ihre Mutter hatte einen Schlaganfall erlitten, der ihr das Sehvermögen nahm. „Fast zeitgleich erkrankte mein Vater an Alzheimer“, beschreibt die 69-Jährige die damalige Situation in ihrem Bielefelder Elternhaus. Gehring war beruflich in Berlin gebunden und sorgte aus der Ferne für Hilfe. Sie engagierte Minijobber und einen Pflegedienst: „Wir hatten nachher richtiggehend Dienstpläne, wer wann was macht.

Mittlerweile sind Gehrings Eltern verstorben, sie selbst ist in der Rente nach Bielefeld gezogen. Doch das Thema lässt sie nicht los. Gehring leitet heute eine der wenigen Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige, die sich auf Distanz kümmern.

Viele Dienstleistungen lassen sich digital regeln

Zwölf bis 15 Teilnehmende sind es, die sich einmal im Monat treffen, am Bildschirm – wie sollte es anders sein. Einige haben hilfebedürftige Angehörige in Bielefeld – aber wohnen weit weg von der westfälischen Stadt. „Das Thema wird bislang unterschätzt“, findet Dr. Susanne Karner, Pflegewissenschaftlerin aus Bischofsheim, die sich auf die Beratung von fernab lebenden Kümmerern spezialisiert hat.

Laut Daten von 2019 wohnt ein knappes Viertel der pflegenden Angehörigen mindestens 25 Kilometer entfernt. Die Zahlen dürften zunehmen: Ob Beruf, Liebe oder schlicht Fernweh – es gibt viele Gründe, weshalb es nicht nur junge Menschen in andere Regionen und Länder zieht. Zum Problem wird das oft erst dann, wenn die Älteren in der Familie Hilfe brauchen.

Wie kann Pflege auf Distanz gelingen – und wo liegen die Grenzen? Haben die Betroffenen vor allem mit körperlichen Problemen wie Gebrechlichkeit oder Gehbehinderung zu tun, könnten die Angehörigen oft vieles gut regeln, so Gehrings Erfahrungen. Ob per Telefon oder über digitale Kanäle: Pflegedienst, Essen auf Rädern oder Haushaltshilfe lassen sich auch von weit weg beauftragen.

Was Ältere selbst tun können

  • Sprechen Sie frühzeitig mit jüngeren Angehörigen über Ihre Wünsche: Wie soll die Pflege aussehen?
  • Stellen Sie eine Vorsorgevollmacht aus – dies erst im Notfall von weit weg zu organisieren, ist schwierig.
  • Legen Sie eine Notfallmappe mit Vorsorge- und ärztlichen Dokumenten an, die Ihre Angehörigen leicht finden.
  • Seien Sie sich bewusst, dass Ihre Angehörigen beruflich und familiär eingespannt sein können.

Netzwerk mit Helfenden aufbauen

„Es kommt auf ein gutes Netzwerk vor Ort an, sodass sich die Belastung auf mehrere Schultern verteilt“, sagt Martin Franke, Pflegeberater aus Bad Dürkheim. Dazu könnten auch wohlwollende Nachbarn gehören. „Man sollte aber sichergehen, dass deren Beziehung zum Betroffenen nicht konfliktbeladen ist.“

Es sei ratsam, den Kontakt zu den Helfenden aktiv zu pflegen, so Franke. Nicht nur, um diese bei Laune zu halten: Man erfahre oft nur über Dritte, wie es den pflegebedürftigen Angehörigen daheim wirklich gehe. „Ältere Menschen neigen mitunter dazu, ihre Situation zu beschönigen.“

Tipps für Angehörige

  • Kontaktieren Sie zunächst die Pflegeberatung am Wohnort Ihres pflegebedürftigen Angehörigen. Das Team kennt die lokalen Versorgungsangebote.
  • Nutzen Sie digitale Hilfen wie Online-Pflegekurse oder Pflege-Apps, die es zum Teil von der Kasse gibt. Mit der App „in.kontakt“ des Vereins wir pflegen können sich Angehörige vernetzen.
  • Haben Sie Vertrauen in die Helfer und Helferinnen vor Ort. Es tut gut, Verantwortung abzugeben.
  • Nehmen Sie eine Auszeit, um die Pflege zu regeln. Kurzfristig stehen Ihnen zehn freie Tage zu. Dafür zahlt die Kasse 90 Prozent des ausgefallenen Nettogehalts.

Engmaschige Betreuung bei Demenz

Schwieriger ist es mit der Fürsorge aus der Ferne, wenn es um geistigen Abbau geht. „Bei Demenz wird das irgendwann unmöglich“, weiß Gehring. Wenn die oder der Betroffene rund um die Uhr ein wachsames Auge braucht, reicht auch ein engmaschiges Hilfenetz nicht mehr.

Zwar zeigt die Forschung: Der räumliche Abstand kann die emotionale Belastung durch die Pflegesituation verringern. Andererseits hätten viele ferne Pflegende Sorgen, weiß Pflegewissenschaftlerin Karner. Oder ein schlechtes Gewissen – eben weil man so weit weg vom Hilfebedürftigen sei.

Digitale Hilfsangebote nutzen

Pflegeberater Martin Franke wirbt für digitale Hilfen, die die Distanz ein Stück weit überbrücken. So gebe es einen Anspruch auf Video-Pflegeberatung. Die Beraterin oder der Berater kann etwa beim Pflegebedürftigen im Wohnzimmer sitzen – und die Angehörigen zuschalten.


Quellen:

  • Franke A: Pflege aus der Distanz, Emotionale Herausforderungen und psychosziale Bedarfe bei "Distance Caregivers". Psychotherapie im Alter: https://doi.org/... (Abgerufen am 15.04.2024)