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Professorin Dr. Sabine Engel ist Gerontologin. Sie berät und schult Angehörige von Menschen mit Demenz. Sie und die Sozialpädagogin Gabi Strauhal von der Alzheimer Gesellschaft Isar-Loisachtal beantworten acht typische Fragen von pflegenden Angehörigen.

Darf ich meinen Angehörigen hart anfassen?

Bitte nicht! „Das ist Gewalt, und die muss in der Pflege unbedingt verhindert werden“, sagt Engel. „Wer den Impuls verspürt, fest zuzupacken, tut dies meist aus einem Gefühl der Überforderung, etwa weil der Kranke grob geworden ist. „Doch es liegt in Ihrer Verantwortung, rechtzeitig Grenzen zu ziehen.“

Für Engel ist die Situation ein klares Signal, dass Hilfe vonnöten ist – sei es durch einen Kurs für Angehörige, einen ambulanten Pflegedienst oder einen Umzug ins Heim oder eine Pflege-WG. „Sich schuldig fühlen und weitermachen wie bisher ist keine Lösung.“ Wichtig ist zu klären, warum sich der Betroffene beispielsweise aggressiv benimmt. Vielleicht hat er Angst oder ist verunsichert?

„In einer Beratung, besser noch in einer Schulung lernt man, die Demenz zu verstehen und anders mit dem Erkrankten umzugehen“, sagt Strauhal. „Das kann angespannten Situationen vorbeugen.“

Darf ich die Unwahrheit sagen?

Die Mutter ist schon vor Jahren verstorben, aber das kann ein Mensch mit Demenz schon mal vergessen. Wie antwortet man also auf seine Frage: „Wo ist Mutter?“ Jetzt mit einem Satz zu kommen wie „Mutter ist beim Einkaufen“, hält Demenzexpertin Gabi Strauhal für falsch. „Wer fragt, will eine ehrliche Antwort. Das gebietet der Respekt gegenüber dem Erkrankten, und damit fühlen sich nach meiner Beobachtung auch die Angehörigen besser.“

Dabei geht es nicht um die nackte Wahrheit. Strauhal liebt den Rat eines britischen Gerontologen: Man solle „dem Demenzkranken die Wahrheit hinhalten wie einen Mantel, in den er schlüpfen kann“. Sabine Engel empfiehlt, auf das Bedürfnis hinter der Frage einzugehen. Etwa so: „Stimmt’s, du erinnerst dich gerne an Mutter? Erzähl doch mal von ihr.“ Nur „in Notsituationen“ sei eine Lüge in Ordnung – zum Beispiel wenn der Betroffene panisch sei oder halluziniere.

Darf ich meinen Angehörigen überreden?

„Menschen mit Demenz sind zwar oft nicht einwilligungsfähig“, sagt Gabi Strauhal, „aber sie haben einen natürlichen Willen.“ Wenn der Betroffene die Tabletten durchs Zimmer schleudert, ist die Botschaft klar: Er will nicht – und das sollte man akzeptieren.

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Auf der anderen Seite steht die Fürsorge, schließlich kann der Kranke die Folgen seines Verhaltens nicht ermessen. Drei Fragen helfen. Erstens: Was passiert, wenn er die Tabletten nicht nimmt? „Man sollte mit dem Arzt reden“, rät Strauhal. „Oft können Mittel weggelassen werden.“ Zweitens: Liegt es vielleicht an der Art der Arzneien, sind etwa die Tabletten zu groß? Hier weiß die Apothekerin Rat. Drittens: Wie war der Erkrankte früher – hat er auf seine Gesundheit geachtet? „Dann könnte es vertretbar sein, die Tabletten ins Essen zu mischen“, sagt Engel.

Darf ich ihn waschen, wenn er sich nicht richtig pflegt?

Eine erste Antwort kann Gelassenheit sein. „Fragen Sie sich, inwieweit Sie es einfach zulassen können, dass sich der Betroffene beispielsweise nicht mehr täglich duscht“, rät Demenzexpertin Gabi Strauhal. Wer hier keinen Spielraum (mehr) sieht, sollte nach Lösungen suchen.

Rückt der Partner mit dem Waschlappen an, reagiert der Kranke oft mit Widerstand. Da ist es besser, andere übernehmen den Job, etwa die erwachsenen Kinder. „Wenn der Sohn geradeheraus sagt: ‚Mensch, Papa, du muffelst! Das könnte ich mir bei meiner Frau nicht erlauben‘, kann das Wunder wirken“, sagt Sabine Engel. Oder man beauftragt einen ambulanten Dienst mit der Körperpflege – oft empfinden es Menschen mit Demenz mit der Zeit als angenehm, so umsorgt zu werden.

Darf ich zulassen, dass er sich im Heim verliebt?

Das ist hart: Der demenzkranke Partner zieht ins Heim und knüpft dort zarte Bande. Verhindern kann man das nicht – es mache also wenig Sinn, es zu probieren, findet Sabine Engel. „Erfahrungsgemäß können Angehörige lernen, damit umzugehen. Vorausgesetzt, sie werden von einer Fachkraft im Heim psychosozial begleitet.“

Infolge der Krankheit hat der Betroffene seine frühere Partnerschaft vergessen und denkt sich nichts bei der neuen Beziehung. Im besten Fall kann es für den gesunden Partner ein Trost sein, zu erleben, dass es dem geliebten Menschen gut geht. Manche Angehörige bitten die Mitarbeiter im Heim, bei Besuchen mit dem Kranken allein zu sein. „Eine gute Idee, wenn dieser Schritt des Abschieds noch schmerzvoll ist.“

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Darf ich die Wohnungstür absperren?

Rechtlich ist die Antwort klar: Nein. „Es handelt sich um eine freiheitsentziehende Maßnahme, für die man einen richterlichen Beschluss braucht“, sagt Markus Sutorius, Jurist beim BIVA-Pflegeschutzbund. Das gelte nach vorherrschender Meinung im Rechtswesen auch für Angehörige.

Was aber, wenn man sich sorgt, der Kranke könne in kalten Januarnächten im Schlafanzug auf die Straße gehen? Zulässig könnte es beispielsweise sein, die Wohnungstür zwar abzuschließen, den Schlüssel aber ans Bord zu hängen. „Überlegen Sie, wie Ihr kranker Angehöriger in gesunden Tagen über diese Situation gedacht hätte“, rät Expertin Sabine Engel. Vielleicht hätte er sich gewünscht, dass die Tür sicher zubleibt. Für die Erlaubnis kann man einen formlosen Antrag ans Betreuungsgericht schicken.

Darf ich den Autoschlüssel wegnehmen?

Wer sich ans Steuer setzt, obwohl er nicht mehr fahrtüchtig ist, gefährdet sich und andere. So viel ist klar. Das Problem: Oft fehlt den Betroffenen die Einsicht. „Ein Riesen-Dilemma für viele Familien“, beobachtet Gabi Strauhal. Am einfachsten ist es, das Auto zu verkaufen. Das ist aber keine Lösung, wenn die Angehörigen auf das Fahrzeug angewiesen sind.

In diesem Fall plädiert Strauhal für eine offene Ansprache: „Ich möchte lieber selbst fahren“, könne man zum Beispiel zum Betroffenen sagen. Oder: „Lass dich doch mal von mir kutschieren.“ Wer gesetzlicher Betreuer des Kranken ist, darf den Autoschlüssel zur Not auch wegschließen. „Voraussetzung ist, dass es dem Wohl des Betroffenen dient“, erklärt Jurist Markus Sutorius.

Darf ich meinen Angehörigen ins Heim geben?

„Wer sich das fragt, ist meist an einem Punkt, an dem er nicht mehr kann“, weiß Sabine Engel. „Angehörige haben hier die Pflicht, auch für ihr eigenes Wohl zu entscheiden.“ Der Entschluss fällt vielen Angehörigen derzeit besonders schwer, weil die Besuchsmöglichkeiten im Heim in der Pandemie oft eingeschränkt sind.

Auf lange Sicht aber sei der Umzug für Betroffene wie Angehörige oft die bessere Lösung, sagt Pflegeexpertin Gabi Strauhal: „Die Beziehung entspannt sich, weil die Pflege wegfällt. Man teilt jetzt nur noch die schönen Zeiten.“ Gegen ein schlechtes Gewissen hilft vielen der Gedanke, sich nicht leichtfertig fürs Heim entschieden zu haben.

Mehr Informationen im Netz:

• Pflegeberatungsstellen in der Nähe: zqp.de

• Beratung und Selbsthilfe bei Demenz: deutsche-alzheimer.de

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