Tischtennis gegen Demenz: Warum Bewegung die Krankheit bremst
Den Schläger fest in der Hand lauert Frank Schätzel an der Tischtennisplatte, den Blick fokussiert. Schon fliegen die Bälle. Der 78-Jährige trifft fast jeden.
Was so unbeschwert aussieht, gleicht einem kleinen Wunder. Vor neun Jahren bekam Schätzel die Diagnose Demenz. Vor einiger Zeit hatte er eine Operation. Danach habe sich die Krankheit deutlich verschlechtert, erzählt seine Frau Jutta. Jede Woche begleitet sie ihn zum Tischtennis in die Berliner Sporthalle.
„Ich dachte, nach der OP geht gar nichts mehr“, sagt die 78-Jährige. Doch als die beiden nach einer Pause wieder zum geliebten Training kamen, habe sich ihr Mann an die Platte gestellt und einfach losgespielt. „Auch wenn Frank im Alltag stark eingeschränkt ist – Tischtennis ist für ihn ein Selbstläufer und es macht ihm großen Spaß“, sagt Jutta Schätzel. Ihr Mann, sonst eher schweigsam, aber mit offenem Blick, pflichtet ihr bei: „Es ist gar nicht anstrengend.“
Etwa 1,8 Millionen Menschen in Deutschland an Demenz erkrankt
Seit zwei Jahren kommt das Paar fast jeden Dienstagvormittag in die Halle des 1. VfL Fortuna Marzahn. Auch andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind an Demenz erkrankt, manche werden so wie Frank Schätzel von Angehörigen begleitet.
Demenz ist eine unheilbare Krankheit, an der in Deutschland etwa 1,8 Millionen Menschen leiden. Sie verläuft schleichend und geht mit vielen Einschränkungen einher: Die Denkfähigkeit der Patientinnen und Patienten lässt nach, ihre Persönlichkeit verändert sich, der Orientierungssinn geht verloren. Und diese Menschen sollen ausgerechnet Tischtennis spielen – ein Sport, bei dem es auf Reaktion, Beweglichkeit und Schnelligkeit ankommt?
Tischtennis kann Demenz verlangsamen
Das funktioniert, ist die Erfahrung von Trainer Jürgen Schäffner. Mehr noch: „Der Sport kann die Krankheit verlangsamen“, sagt der 69-Jährige, als er zu Beginn des Kurses jedem Einzelnen die schwere Eisentür zur Halle öffnet und herzlich grüßt.
Mehrere Studien geben ihm recht. Laut einer japanischen Analyse verzögert Tischtennis den neuronalen Abbau. „Die Bewegungen sind vielfältig und spielerisch“, erklärt Schäffner. „Außerdem muss man beim Tischtennis immer auf den Partner reagieren. Das ist Kommunikation in der Bewegung.“ Man könne Tischtennis auch langsam spielen, je nach den individuellen Fähigkeiten.
Jeder darf mitmachen
Seit 2022 leitet Schäffner den Sportkurs, der im Rahmen des Projekts „Sport bewegt Menschen mit Demenz“ des Deutschen Olympischen Sportbundes und der Deutschen Alzheimer Gesellschaft vom Bund gefördert wird. Als der Deutsche Tischtennis-Bund das Projekt 2021 ins Leben rief, hatte Schäffner keine Erfahrung mit der Demenz-Erkrankung.
Er hat dann viel über die Krankheit gelesen und in Pflegeeinrichtungen Kontakt zu Betroffenen gesucht. „So habe ich gelernt, wie man die Menschen anspricht und dass man manchmal ganz langsam anfangen muss, zum Beispiel mit dem Balancieren eines Luftballons auf dem Tischtennisschläger.“ In seinem Kurs dürfe jeder mitmachen, egal welche Einschränkungen oder Vorerfahrungen es gebe.
Verbündete finden
Zunächst starten alle mit der Aufwärmrunde. Dafür liegen die grünen und orangefarbenen Gymnastikbälle und die Schwingstäbe in der Halle schon bereit. Nach einer motivierenden Ansprache zeigt Schäffner sanfte Dehnübungen: Arme zu allen Seiten strecken, dann mit dem Schwingstab nach vorne beugen.
„Jürgen lässt sich jedes Mal neue Übungen einfallen“, lobt eine Teilnehmerin. „Es wird nie langweilig.“ Mit dem Schwingstab wird die Muskulatur gelockert und aufgewärmt. Frank Schätzel schwingt seinen Stab besonders stark. „Frank, du hebst ja gleich ab“, ruft Jürgen Schäffner und die Gruppe lacht.
Die Stimmung ist immer gut, das bestätigen alle Beteiligten. Viele Demenzkranke würden sich mit ihrer Diagnose zurückziehen, sagt Trainer Schäffner: „Sie kapseln sich ab, weil sie nicht wollen, dass es nach außen dringt.“ Hier aber seien sie unter Gleichen, tauschten sich aus und würden mit der Zeit offener. „Sie finden Verbündete.“ Für diesen Austausch kommen auch Jutta und Frank Schätzel. „Mit Franks Gesundheitszustand haben wir nicht mehr viele Möglichkeiten, unter Leute zu kommen“, meint Jutta Schätzel.
Nach dem Aufwärmen packen alle mit an, um die Tischtennisplatten aufzubauen. Sie haben es eilig, endlich loszulegen. Schnell sind die Teams gebildet – zu zweit, zu dritt oder im Doppel – und schon erfüllt ein stetiges Ping-Pong die Halle. „Hier geht es nicht ums Gewinnen“, sagt Schäffner. „Jeder entscheidet selbst, wie sehr er oder sie sich reinsteigert.“ Wer will, bekomme Hilfestellung, um sich zu verbessern. Anstrengend werde es vor allem beim Rundlauf, wenn die Spielerinnen und Spieler 20 Minuten um die Platte rennen. „Dann kommen sie ins Schwitzen und das ist auch gut so.“
„Bewegungen, die ich mich sonst nie trauen würde“
Auch Wolfgang, der seinen Nachnamen nicht in diesem Bericht lesen mag, legt sich ins Zeug. Der 75-Jährige war früher Marathonläufer und hat heute eine leichtgradige Demenz. Das Spiel falle ihm leicht, sagt er. „Es gibt ein paar Kniffe, zum Beispiel nicht zu nah an die Platte zu gehen.“ So schaffe er locker 30 Ballwechsel.
Auch Dörte Müller hat sich nach einer Weile im Zweikampf ausgepowert. Die 79-Jährige mit rotem Lippenstift streicht sich die verschwitzten Haare aus der Stirn, lässt sich auf einem Stuhl nieder und streckt ihr Bein aus. Sie hat Polyneuropathie und leidet deshalb an Missempfindungen in den Beinen und einem unsicheren Gang. „Aber durch den Ball vergesse ich das und mache Bewegungen, die ich mich sonst nie trauen würde“, sagt sie. „Das tut meinen Beinen gut.“
Sie freue sich jede Woche auf den Kurs. Zu ihrem Gymnastikkurs müsse sie sich hingegen immer zwingen. Eine Teilnehmerin, die selbst keine Demenz hat, aber die Gemeinschaft und Bewegung schätzt, pflichtet ihr bei: „Auf den Dienstag lasse ich nichts kommen!“