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Frau Dr. Straub, Sie haben Ihre Großmutter mit Demenz gepflegt. Wie war das für Sie?

Ich war 20 und konnte nur schwer akzeptieren, wie sich meine Großmutter in der Demenz verlor. Nach einem Unfall zog sie in ein Pflegeheim. Ich holte sie immer wieder nach Hause, da ich den Wunsch verspürte, sie selbst zu pflegen. Ich hatte die Hoffnung, dass sie im gewohnten Zuhause noch gut klarkommt und sich wohler fühlt als im Heim. Aber tagsüber war ich an der Uni und Oma meist alleine. Sie stellte dann die Tupperdose auf den Herd und schaltete ihn ein. Nachts lief sie verwirrt umher. Ich war schon nach kurzer Zeit fix und fertig. Rückblickend glaube ich, dass mir vor ­allem Wissen über Symp­tome und Veränderungen, die meine Oma durchmachte, gefehlt hat.

Die Psychologin Dr. Sarah Straub berät an der Uni­klinik Ulm Familien und Betroffene nach einer Demenzdiagnose.

Die Psychologin Dr. Sarah Straub berät an der Uni­klinik Ulm Familien und Betroffene nach einer Demenzdiagnose.

Was wäre anders gewesen, wenn Sie mehr über Demenz gewusst hätten?

Mit mehr Wissen hätte ich meine Oma besser verstanden und wäre nachsichtiger mit ihr umgegangen. Das hätte uns beiden viel Frust erspart. Ich hätte mir Hilfe geholt. Da meine Familie damals keine Beratung bekam, wusste ich gar nicht, wo und wen ich um Unterstützung hätte bitten können.

Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich heute mit auf den Weg geben?

Es gibt nicht den einen Königsweg, wie man gut mit der Demenz lebt. Vieles ist Ausprobieren. Manchmal gibt es keine gute Lösung. Man muss Veränderungen akzeptieren, oft ist das schwer. Das anzunehmen, hat mich entlastet.

Was wollen Menschen, die gerade eine Alzheimer-Diagnose bekommen haben, von Ihnen wissen?

Die Frage, die alle umtreibt: Wie geht es weiter? Wie ist der Verlauf?

Was antworten Sie?

Wir wissen es im Einzelnen nicht. Es ist verschieden, wie schnell die Krankheit voranschreitet, welche Symptome auftreten. Wir haben nach einer differenzierten Diagnostik die Möglichkeit, die genaue Form der Demenz so sicher wie möglich zu benennen. Aber das lässt uns nicht in die Zukunft schauen.

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Können Sie auch Mut machen?

Auf jeden Fall. Viele Menschen denken, dass das Leben nach der Diagnose vorbei ist. So ist es nicht! Die Erkrankung wird fortschreiten, doch man kann viel tun, um ein gutes Leben zu führen.

Wie geht das aus Ihrer Sicht: gut leben mit Demenz?

Gesund essen, sich bewegen und geistig fordern – Studien zeigen, dass das hilft, um Abbauprozesse zu verlangsamen. Auch der Kontakt mit anderen Menschen fördert die Lebensqualität, denn bei gemeinsamen Aktivitäten steht nicht die Demenz im Vordergrund, sondern der schöne Moment. Menschen mit Demenz möchten ja weiter teilhaben, und dazu brauchen sie ein Umfeld, das dies ermöglicht. Ganz wichtig: Gehen Sie offen mit der Demenz um.

Soll ich jetzt allen Freunden und Bekannten sagen, dass ich Demenz habe?

Ich würde dazu raten. Klar ist es unglaublich schwer, darüber zu sprechen, und oft mit Angst verbunden. Doch auch nicht darüber zu sprechen, macht Angst. Etwa davor, dass die anderen mich nicht für voll nehmen, wenn sie merken, dass ich vergesslich bin. Es lohnt sich, offen mit der Krankheit umzugehen. Vielleicht ziehen sich einzelne Freunde zurück. Aber es werden viele bleiben und helfen wollen. Ein offener Umgang ermöglicht dem Umfeld, zusammen in die neue Realität hineinzuwachsen.

Viele Menschen denken, dass das Leben nach der Diagnose vorbei ist. So ist es nicht!

Welche Therapien können nach der Dia­gnose unterstützen?

Wenn jemand beispielsweise sehr leidet, weil er innere Unruhe spürt oder Aggressivität, können wir Medikamente aus anderen Bereichen nutzen. Besonders wertvoll sind nicht-medikamentöse Therapien wie etwa Ergotherapie und Logopädie, aber auch Musik- oder Kunsttherapie.

Was bringen diese Therapien?

Ergotherapie etwa stärkt vorhandene Ressourcen und mobilisiert Alltagskompetenzen. Unsere Therapeuten üben zum Beispiel mit den Betroffenen, etwas zu kochen, sich anzuziehen, oder basteln mit ihnen. Es geht nicht darum, Dinge perfekt zu können, sondern darum, Selbstständigkeit und Teilhabe zu ermöglichen. Je nach Symptomen, aber auch nach Neigungen der Betroffenen können unterschiedliche Therapien versucht werden. Ich sehe bei meinen Patienten jeden Tag, wie sehr sie profitieren.

Was macht Angehörige stark?

Demenz verändert die Beziehungen zwischen Betroffenen und Angehörigen. Da ist Schmerz und Trauer. Es ist wichtig, diese Gefühle zuzulassen. Wo sind meine Grenzen? Darüber sollten sich Angehörige klar werden. Und diese Grenzen auch anerkennen und sich Hilfe holen. Hilfreich für viele ist der Austausch mit anderen betroffenen Familien.

Warum ist das so wichtig?

Menschen, die ein ähnliches Schicksal ­teilen, verstehen, was man gerade durchmacht und welche Probleme in dieser Situation auftreten können. Oft sind sie die besten Ratgeber und gute Gesprächspartner. Sich in diesen Punkten gegenseitig zu stärken und sich ­auszutauschen, tut gut.

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