Muskelfaserriss und Muskelzerrung

Heftiger Schmerz in der Wade – oft Zeichen einer Muskelverletzung
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So ist der Muskel (1) aufgebaut: Faserbündel (2), Muskelfaser (3), Myofibrille mit Sarkomer (4)
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Was sind Muskelzerrung, Muskelfaserriss und Muskelriss?
Bei körperlicher Aktivität kann es zu Muskelzerrungen, Muskelfaserissen oder Muskelrissen kommen. Prinzipiell beruhen alle drei Verletzungen auf dem selben Mechanismus, unterscheiden sich aber durch das Ausmaß.
Ein Skelettmuskel ist von den größten Baueinheiten hin zu den kleinsten folgendermaßen aufgebaut (siehe Grafik): Muskel Muskelfaserbündel einzelne Muskelfaser Myofibrille Sarkomer. Die Sarkomere bilden die kleinsten Funktionseinheiten.
- Muskelzerrung: Sie ist die leichteste der drei genannten Verletzungsarten. Geschädigt werden in diesem Fall die kleinsten funktionellen Einheiten des Muskels (Sarkomere). Hierbei werden die Sarkomere über das normale Maß hinaus gedehnt und dadurch in ihrer Funktion beeinträchtigt.
- Muskelfaserriss: Dabei zerreißen einzelne oder ganze Muskelfasern im Muskel.
- Muskelriss: Bei einem Muskelriss ist ein komplettes Muskelbündel durchtrennt. Es handelt sich um die schwerste der drei genannten Verletzungen. Ein Muskelriss tritt häufig bei (Sport-)Unfällen auf, und wird oft durch eine direkte Gewalteinwirkung wie zum Beispiel einen Schlag auf den Muskel ausgelöst.

Schnelle Stopps können zu Muskelzerrungen oder Rissen führen
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Ursachen
Folgende Faktoren sind häufig an der Entstehung von Muskelzerrungen und Muskelfaserrissen beteiligt:
- Statisches oder muskuläres Ungleichgewicht in der Wirbelsäule oder den Extremitäten
- Überlastung und Ermüdung der Muskulatur durch Überforderung
- Ungünstige Witterung (Regen und Kälte) bei sportlicher Aktivität
- Mangelnde Dehnfähigkeit der Muskulatur
- Nicht ausgeheilte, "verschleppte", vorangegangene Verletzungen
Risse und Zerrungen passieren besonders leicht bei Sportarten, die mit schnellen Sprints und Stopps verbunden sind wie zum Beispiel Fußball oder Tennis.
Bei Zerrungen liegt häufig eine Überlastung vor, bei Rissen von Muskelfasern oder gar ganzer Muskelbüdel ist häufig eine direkte Gewalteinwirkung auf einen gedehnten Muskel aufgetreten, beispielsweise bei einem Unfall oder beim Zusammenprall mit einem anderen Spieler beim Sport. Aber auch Anabolika-Doping begünstigt Muskelrisse, da die Muskelmasse dabei unnatürlich schnell anwächst.
Neben diesen Gründen können auch Entzündungsherde innerhalb des Körpers einen Muskelfaserriss oder eine Muskelzerrung fördern. In diesem Zusammenhang sind zum Beispiel kariöse Zähne, chronisch entzündete Nasennebenhöhlen und chronische Mandelentzündungen zu nennen.

Starke Schmerzen können auf eine Muskelverletzung hinweisen
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Symptome
Das Verletzungsereignis verursacht üblicherweise einen plötzlichen Schmerz an der betroffenen Stelle.
- Muskelzerrung: Nach einer Muskelzerrung entstehen Schmerzen vor allem bei Belastung oder Bewegung der betroffenen Partie. Sie nehmen dann kontinuierlich zu, bis die Tätigkeit abgebrochen werden muss. Auch eine reine Muskelanspannung – bei der die Länge des Muskels unverändert bleibt – wird als unangenehm empfunden, bei einer Dehnung des Muskels dagegen nehmen die Schmerzen eher ab. Im betroffenen Bereich ist der Spannungszustand (Tonus) der Muskulatur meist erhöht.
- Muskelfaserriss: Im typischen Fall kommt es unvermittelt zu starken, anhaltenden Schmerzen. Sie machen es praktisch unmöglich, die betroffene Muskelpartie zu belasten oder mit den Muskeln Kraft auszuüben. Der natürliche Bewegungsablauf ist gestört. Betroffene nehmen eine Schonhaltung ein, die den Muskel entlastet. Die Muskelspannung (der Muskeltonus) ist im geschädigten Bereich erhöht.
- Muskelbündelriss: Der Muskelbündelriss macht sich ganz ähnlich wie ein Muskelfaserriss bemerkbar. Zusätzlich fällt häufig eine sichtbare Beule, da der gerissene Muskel sich zusammenzieht – ähnlich eines gerissenen Gummibandes. Im Bereich des Risses kann nun aufgrund des fehlenden Muskels eine Eindellung entstehen. Es kommt zu einem vollständigen Funktionsverlust des betroffenen Muskels.

In einer Ultraschalluntersuchung können Einrisse des Muskels gesehen werden
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Diagnose
Der Arzt wird den Patienten zunächst befragen, insbesondere nach dem genauen Unfallhergang und den Beschwerden. Dann folgt die körperliche Untersuchung.
Der Mediziner prüft Aussehen und Funktion der betroffenen Stelle. Eine Zerrung ist nicht sichtbar, aber tastbar und lässt sich auch in einer Ultraschall-Untersuchung in Einzelfällen nachweisen.
Bei Muskel(faser)rissen ist eventuell eine Lücke tastbar, begleitend kann auch ein Hämatom bestehen. Eine Gewebslücke (Delle) oder Beule sind starke Indizien für einen Muskelriss. Der Verdacht erhärtet sich, wenn der Muskel seit dem auslösenden Ereignis nicht mehr funktionstüchtig ist. Eine endgültige Aussage darüber, ob ein Muskel(faser)riss vorliegt, lässt sich häufig nur mithilfe einer Ultraschall-Untersuchung treffen. Auf dem Ultraschall-Bild kann der Arzt eine Schwellung der betroffenen Region und meist auch den eigentlichen Riss erkennen. Im Zweifel kommt als weiteres bildgebendes Verfahren, die Magnetresonanztomografie infrage.

Die betroffene Region sollte gekühlt werden (Eispack nie direkt auf die Haut legen!)
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Therapie
Allgemeine Maßnahmen:
Nach einer Muskelverletzung sind möglichst rasch Erstmaßnahmen empfehlenswert. Eine Merkstützte bietet die PECH-Regel. Was sie besagt, sehen Sie im folgenden Video:
Die PECH-Regel: Sofortmaßnahmen nach Muskelverletzungen
Es ist ratsam, schnell eine ärztliche Praxis aufzusuchen. Eine Untersuchung kann feststellen, welche Form der Muskelverletzung vorliegt und – falls es im Einzelfall sinnvoll ist – daraus Behandlungen wie physiotherapeutische Anwendungen, Massagen, Elektrotherapie oder entzündungshemmende Medikamente wie Diclofenac abgeleitet werden. Solche Wirkstoffe werden manchmal auch in die betroffene Stelle eingespritzt (Infiltration).
Wichtig ist eine Schonung des Muskels. Der Arzt kann eine Empfehlung geben, wie lange der Muskel nach dem Unfall geschont werden sollte und wann er wieder in vollem Umfang belastbar ist. Das hängt vom Ort und von der Schwere der Muskelverletzung sowie vom Alter des Patienten ab. Die betroffene Partie sollte im Schnitt etwa ein bis zwei Tage geschont werden. Bis sich der Muskel so weit erholt, dass er wieder voll belastet werden kann, vergeht aber deutlich mehr Zeit.
Therapie der einzelnen Verletzungsarten:
- Muskelzerrung: Bei einer Muskelzerrung sind es meist vier bis sechs Tage. Bis zur vollen sportlichen Belastbarkeit des Muskels nach einer Zerrung kann es jedoch auch zwei Wochen oder länger dauern.
- Muskelfaserriss: Bei einem Muskelfaserriss können drei Wochen bis mehrere Monate vergehen, bis der Muskel komplett wiederhergestellt ist. Nach Rissen bleiben immer kleinste Narben zurück. Dadurch erhöht sich das Risiko für erneute Risse in der Narbenumgebung der alten Stelle.
- Muskel(bündel-)riss: Bei einem Muskel(bündel-)riss kann ein chirurgischer Eingriff notwendig werden. Dabei wird der entstandene Bluterguss entfernt, um zu verhindern, dass sich dort Kalk einlagert, der die Muskelfunktion stört. Sind viele Muskelfasern durchtrennt, werden diese im Rahmen einer Operation genäht, um die Heilung zu erreichen oder zu beschleunigen.
Vorbeugen: Was senkt das Risiko für Muskelfaserriss und Muskelzerrung?
Für Sportler gibt es Möglichkeiten, das Risiko für Muskelzerrungen und Muskelfaserrisse zu reduzieren:
- Kaltstart vermeiden: Vor dem Sport das Aufwärmen nicht vergessen!
- Training überprüfen: Es kann hilfreich sein, die Sportschuhe, die Körperstatik und die eigenen Bewegungsabläufe auf einseitige Belastungen hin zu kontrollieren – zum Beispiel unter Anleitung eines erfahrenden Trainers. Ungünstige Übungen sollten durch andere Übungsformen ersetzt werden.
- Überlastungen vermeiden: Zu große muskuläre Belastungen begünstigen die Entstehung von Muskelverletzungen. Eventuell können besonders gefährdete Stellen gezielt durch Tapeverbände oder Bandagen unterstützt werden.

Unser Experte: Dr. med. Ingo Tusk
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Beratender Experte
Dr. med. Ingo Tusk ist Facharzt für Orthopädie, spezielle orthopädische Chirurgie und Sportmedizin. Er promovierte 1996 an der Universität Frankfurt am Main in der Sportmedizin. Seit 2006 ist er Chefarzt der Klinik für Sportorthopädie und Endoprothetik der Frankfurter Rotkreuz-Kliniken. Des weiteren ist Herr Dr. Tusk Vizepräsident der deutschen Sportärzte (DGSP) und im Vorstand des Sportärzteverbandes Hessen. Er ist Mannschaftsarzt der Frauenfußball Nationalmannschaft und des Bundesligisten 1. FFC Frankfurt.
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.