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Warum wird darüber geredet?

Schätzungen zufolge leiden mindestens 400.000 Menschen in Deutschland an einer chronischen Entzündung des Dickdarms oder der Schleimhäute des gesamten Verdauungstrakts. Die Häufigkeit der Krankheitsbilder Colitis ulcerosa und Morbus Crohn nimmt dabei seit Jahrzehnten stetig zu und ist in den westlichen Industrie­ländern besonders groß. Die genauen Ur­sachen der von Durchfall, Blähungen und Bauchschmerzen geprägten Krankheiten sind bislang unzureichend geklärt.

Eine heilende Behandlung gibt es nicht. Beschwerdefreiheit zu erreichen ist schwierig. „Nicht jede und jeder Erkrankte spricht auf die verfügbaren Therapien an“, sagt Professor Raja Atreya vom Universitätsklinikum Erlangen. Den Betroffenen verlange die ­Suche nach der richtigen Behandlung oft Geduld ab. Nicht immer könne man dauerhaft helfen. „Umso wichtiger ist es, dass es neue Ansätze für Therapien gibt“, sagt der Experte für entzündliche Darmerkrankungen. Ein Ansatz, der von Fachleuten derzeit große Beachtung erfährt, ist die Blockade des Entzündungs-Botenstoffs TL1A mithilfe neuer Medikamente.

Was ist das Besondere daran?

Obwohl die genauen Ursachen von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa unbekannt sind, spielen überschießende Entzündungsreaktionen für beide Erkrankungen eine zen­trale Rolle. Therapien zielen folglich darauf ab, diese Reaktionen zu dämpfen – etwa durch die Gabe von Kortisonpräparaten oder von Arzneien, die das Immunsystem insgesamt in seiner Aktivität einschränken. Gezielter gehen Arzneien vor, die Entzündungsstoffe abfangen. Dazu gehören auch die zwei neuen Mittel, die derzeit in Studien an Erkrankten getestet werden. Sie fangen TL1A ab, einen Botenstoff, der zum einen eine für die Entzündung wichtige Gruppe von Immunzellen aktiviert.

Zugleich gibt TL1A offenbar ein Signal für die Narbenbildung, die besonders bei Morbus Crohn auftritt. Dabei wandern infolge der anhaltenden Entzündungen und Schädigungen Bindegewebszellen in die Schleimhaut des Darms ein. Das kann im späteren Krankheitsverlauf zu einem Funktionsverlust der Darmschleimhaut und schließlich sogar zu Verengungen des Darms, sogenannten Stenosen, führen. „Das Besondere an den neuen Wirkstoffen ist, dass wir Medikamente hätten, die nicht nur die Entzündung kontrollieren, sondern auch der Vernarbung vorbeugen könnten“, sagt Professor Konrad Aden vom Uniklinikum in Kiel. Damit würde das Risiko für Stenosen gesenkt und die Wahrscheinlichkeit für später notwendige OPs reduziert.

Der Internist und Experte für Präzisionsmedizin hält aber noch eine zweite Eigenschaft von TL1A für bedeutsam: „Die Studien­daten legen nahe, dass Träger einer Risikovariante des TL1A-Gens besser auf diese gegen TL1A gerichteten Therapien ansprechen“, erklärt Aden. Das würde zugleich bedeuten, dass mit TL1A womöglich ein Biomarker vorliegt, der einerseits auf eine Erkrankungsursache hinweist. ­Andererseits könnten Patientinnen und ­Patienten mit den betreffenden Erbvarianten von den neuen Wirkstoffen besonders profitieren. Dieser Zusammenhang muss Aden zufolge aber erst in größeren Unter­suchungen bestätigt werden.

Was haben die Kranken davon?

Nach den im März vorgestellten Studien­daten können die neuen Arzneien bei ­einem knappen Drittel der Menschen mit Colitis ulcerosa eine Remission bewirken. Gegen Morbus Crohn führte einer der Wirkstoffe in einer kleinen Studie bei fast der Hälfte der Erkrankten zur Remission. Das heißt, dass die Symptome der Erkrankung erheblich nachließen oder verschwanden. Damit könnte die Therapie eine zusätzliche Option für Betroffene werden, bei denen bisherige Ansätze keinen guten oder dauerhaften Erfolg bringen – oder die sich vor Nebenwirkungen wie Infektionen fürchten.

Nebenwirkungen haben aber alle Therapieansätze, auch die neuen. In den Studien kam es ebenfalls zu Infektionen, weil die Medikamente die Reaktionen des Immunsystems dämpfen. Dennoch sei eine Behandlung wichtig, sagt Raja Atreya. ­„Eine unbehandelte Entzündung ist sehr viel schlimmer als die Nebenwirkung von Medikamenten. Eine chronische Entzündung erhöht das Infek­tionsrisiko selbst deutlich.“ Zudem seien Komplikationen durch Vernarbungen, Funktionsverlust der Schleimhaut und ­Fistelbildung zu bedenken, die häufig eine Operation nötig machen. Dazu komme ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs­.

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