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Man sieht es ihr nicht an, aber Gudrun M. ist krank, seit 35 Jahren. Ihr Darm ist entzündet, chronisch entzündet. Immer wieder schmerzhafte Krankheitsschübe, Durchfall als ständiger Begleiter – die Krankheit schränkt den Alltag massiv ein. Aber Gudrun M. hat sich damit arrangiert und spricht längst offen darüber.

Auch Senioren von Darmentzündungen betroffen

Mehr als 400.000 Menschen leben in Deutschland mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sind die häufigsten. Lange wurden diese als Erkrankung des Jugendalters eingestuft. Das hat sich geändert. "Schon in wenigen Jahren wird jeder dritte chronische Darmpatient über 60 sein", prognostiziert Christian Maaser. "Viele sind mit der Krankheit alt geworden, manche haben die Diagnose erst spät bekommen." Als Gastroenterologe und Geriater betreut der Lüneburger Professor viele Ältere.

Die Krankheit verläuft im Alter oft milder, Begleiterkran­kungen und weitere Medikamente erschweren aber die Behandlung. Darum verlangt eine chronische Darmentzündung bei Senioren die besondere Aufmerksamkeit des Arztes und die zuverlässige Mitarbeit des Patienten.

Darmentzündungen werden oft spät erkannt

Bei Gudrun M. begann alles mit starken Unterbauch­schmerzen. An Morbus Crohn dachte zunächst niemand. Die Ärzte machten Myome für die Schmerzen verantwortlich und entfernten die Gebärmutter. Erst einige Monate später wurde die Darm­krankheit entdeckt, die nun schon so weit fortgeschritten war, dass Gudrun M. operiert werden musste. Ein großer Teil des Dünndarms und der obere Dickdarm wurden entfernt.

Das liegt 30 Jahre zurück. Heute weiß man mehr über die Krankheit, hat mehr Diagnose- und vor allem bessere Therapiemöglichkeiten. Mehr und mehr rückt ins Bewusstsein, dass die chronische Entzündung auch Menschen ab 60 treffen kann. Bis bei Älteren die Diagnose gestellt ist, vergeht aber oft einige Zeit, "weil hinter Durchfall – im Alter das Hauptsymptom des entzündlichen Darmleidens – vieles stecken kann", so Maaser. Ein Infekt. Ein Medikament. Milchzucker oder Fruchtzucker im Essen, die nicht vertragen werden. Eine Durchblutungs­störung. Oder eine Divertikulitis – Ausstülpungen der Dickdarmwand, die sich entzündet haben. Diese Entzündung lässt sich aber gut behandeln.

Das Immunsystem spielt verrückt

Bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sieht es etwas anders aus. "Diese Entzündungen sind chronisch und bisher mit Medikamenten nicht heilbar", sagt Magen-Darm-Experte Professor Jörg Hoffmann aus Ludwigshafen. "Warum das Immunsystem des Darms aus dem Ruder läuft, ist nicht klar."

Klar ist aber: Durchfälle werden im Alter oft zu wenig ernst genommen. Die Patienten ertragen sie geduldig, sogar wenn sie inkontinent werden: Dünnflüssiger Stuhl ist schwerer zu halten, zumal wenn mit dem Alter der Schließmuskel schwächer wird. Was das im Alltag bedeutet, weiß Heiner V. nur zu gut. Der 80-jährige Karlsruher bekam 2001 die Diagnose Colitis ulcerosa. Bis heute ist er seine Durchfälle nicht ganz los. Er meidet Bus und Bahn. "Ich muss ja jederzeit sofort aufs Klo können", erklärt er. Selbst wenn er nur kurz in die Stadt geht, Ersatz­wäsche hat er immer dabei.

Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Darmentzündung lässt sich mit Ernährung beeinflussen

Wie viele Betroffene suchte auch V. nach den Ursachen seiner Krankheit im Essen. Leider gibt es keine Diät, mit der man nachweislich Schüben vorbeugen kann. "Wir empfehlen den Patienten zu essen, was sie am besten vertragen", sagt Hoffmann. "Wichtig ist aber, regelmäßig zu checken, ob der kranke Darm genug Nährstoffe aufnimmt. Bei Bedarf ergänzen wir Eisen, Vitamin B12 und fettlösliche Vitamine, besonders Vitamin D."

Entzündungshemmer verringern die Beschwerden

Medikamente können das Leiden zwar nicht heilen, aber lindern. Ziel der Therapie ist es, die überschießende Immunreaktion zu dämpfen und damit die Entzündung im Darm soweit wie möglich zu unterdrücken, beim akuten Schub mit Entzündungshemmern, allen voran Cortison. Es bringt meist schnell Erleichterung. Man wendet es möglichst lokal als Zäpfchen oder Schaum an, um seine Nebenwirkungen klein zu halten. Manchmal erreicht Cortison aber nur als Tablette, das heißt von der Blutseite her, seinen Wirkort. "Wir schleichen es dann baldmöglichst wieder aus", betont Professor Franz Hartmann, Gastroenterologe aus Frankfurt. "Das ist im Alter umso wichtiger, weil Cortison Blutzucker, Blutdruck, Cholesterin und Knochendichte negativ beeinflusst."

In der Ruhephase kommen viele Patienten ohne Medikamente aus. Treten die Schübe aber gehäuft auf, sind dauerhaft Medikamente nötig. Manchen reicht ein lokal wirkender Entzündungshemmer. Andere sprechen erst auf Mittel an, die die körpereigene Abwehr hemmen, sogenannte "Immunsuppressiva". Versagen die klassischen Mittel aus dieser Gruppe, kommen sogenannte "Biologika" infrage, künstlich hergestellte Antikörper. Sie sind sehr wirksam, aber nicht bei allen Patienten. Zudem können insbesondere ältere Patienten durch diese Mittel anfälliger für Infekte werden. "Glücklicherweiser wurden in den letzten Jahren auch Medikamente entwickelt, die deutlich weniger Neben­wirkungen haben und sich für Ältere mit vielen Begleiterkrankungen besser eignen können", so Hartmann.

Die Krankheit nicht totschweigen

Also lieber mit ein paar Beschwerden leben, bevor man eine so gefährliche Arznei einnimmt? "Nein", sagt Maaser klar, "die chronische Entzündung hat negativen Einfluss auf den Organismus. Deshalb ist es wichtig, sie in den Griff zu kriegen." Und eine Besserung der Durchfälle bringt nicht zuletzt mehr Lebensqualität.

"Drei Dinge muss man dabei unbedingt im Blick behalten", fordert sein Kollege Hartmann, "den guten Impfschutz, die Knochendichte und Vitamin D, das den Knochenaufbau fördert." Und mit Impfschutz meint er nicht nur den gegen Grippe und Lungenentzündung, sondern auch den gegen Gürtelrose.

Walken für die Knochen

Gudrun M. weiß um ihre Osteoporose. Ihr Gegenprogramm: täglich walken. "Wenn ich selbst zu meiner Gesundheit beitragen kann, möchte ich das auch tun." Was vielen nicht bewusst ist: Die Darmkrankheit kann andere Organe in Mitleidenschaft ziehen, vor allem Gelenke, Haut oder Augen. Maaser interessiert sich auch dafür. Angesichts der vielen Erkrankungen, die ein älterer Mensch hat, wünscht er sich, die Fachärzte würden sich über die verordneten Medikamente verständigen. Im Praxisalltag kommt das leider oft zu kurz.

Tatsächlich springt hier der Apotheker in die Bresche. Wolfgang Dittrich aus dem schwäbischen Wemding betreut einige Betroffene. Er hat stets im Blick, ob sich die Mittel untereinander und mit der Darmkrankheit vertragen. "Verlangt ein CED-Patient ein Schmerzmittel, fallen bestimmte einfach raus", erläutert er.

Mitbestimmen bei der Therapie

Heiner V. treibt noch eine andere Frage um: Ist er der nächste, der Darmkrebs bekommt? Gerade hat er wieder Entwarnung erhalten. Das beruhigt. "Das Risiko wurde lange überschätzt", sagt Hoffmann, "dennoch raten wir Colitis-Patienten zu häufigeren Kontrollen." V. hält sich penibel daran.

Und langfristig? Kommt irgendwann unausweichlich die OP? "Nur wenn die entzündungshemmende Therapie gar nicht greift oder die unerwünschten Arzneimittelwirkungen bzw. die Auswirkungen der Krankheit auf die Lebensqualität nicht mehr zu vertreten sind", so Hartmann. Das entscheiden aber Arzt und Patient zusammen.

Gudrun M. hat immer mitgeredet bei ihrer Therapie. Im Alltag hat sie den Rückhalt ihrer Familie. "Früher habe ich Tennis und Handball gespielt, dann ging auf einmal nur noch wandern. Mein Mann hat sich darauf eingestellt." Seit ihrer Diagnose ist sie in der Selbsthilfe aktiv, ermutigt andere. Manche Betroffene ist ihr zur Freundin und Stütze geworden. Heute sagt sie: "Ich bestimme über mein Leben, nicht meine Krankheit. Ich habe gelernt, mit ihr zu leben."