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Es sind Situationen, die eine Beziehung belasten können: Wenn jemand an einem Diabetes erkrankt ist und die Partnerin oder der Partner mitleidet – auf die eine oder andere Weise. Hier skizzieren Expertinnen und Experten sechs typische Konfliktsituationen und geben Hinweise, wie man damit umgehen kann.

1. Die einzige Person, die sich um seinen Diabetes kümmert, bin ich!

„Der Klassiker, wenn der Mann Diabetes hat und die Partnerin nicht“, sagt Eva Küstner, Fachpsychologin Diabetes aus Gau-Bischofsheim. Die Situation: Er vergisst das Messen, hat Zuckertiefs, widersteht keinem Kuchenstück. Sie setzt das unter Druck.

„Aus Sorge vor Komplikationen übernimmt die Person ohne Diabetes tägliche Aufgaben, die der Betroffene selbst verantworten sollte“, erläutert Küstner. Erinnert ans Messen, mahnt Bewegung an, legt Spritzen und Tabletten bereit oder trägt sie unterwegs in der Handtasche, zählt Broteinheiten, reicht bei Zuckertiefs Traubenzucker — und trägt damit die Last einer Krankheit, die gar nicht ihre ist. Häufig gerate damit die ganze Beziehung in Schieflage, warnt Küstner: „Statt einer Partnerschaft auf Augenhöhe führt das Paar plötzlich eine Mutter-Kind-Beziehung.“

Höchste Zeit, die Verhältnisse in einem offenen, wertschätzenden Gespräch geradezurücken. „Sagen Sie Ihrem Lieblingsmenschen: ‚Ich möchte mir keine Sorgen über deinen Diabetes machen müssen. Ich wünsche mir einen Partner, der sich gut um seine Krankheit kümmert. Wie kann ich dich dabei unterstützen?‘“

Manchmal besteht auch Uneinigkeit über das Therapieziel: Der Mensch mit Diabetes hat seine Werte im Griff, doch die Partnerin oder der Partner findet, dass zusätzliche Maßnahmen nötig wären. „In diesem Fall sollte die oder der Behandelnde das letzte Wort haben“, rät Psychodiabetologe Klaus-Martin Rölver vom Diabeteszentrum Quakenbrück. Er hat sich als Psychologe auf die Betreuung von Menschen mit Diabetes spezialisiert. Ebenfalls hilfreich sind gemeinsame Schulungen, die beide Partner auf den gleichen Wissensstand bringen.

2. Mein Partner wird sauer, wenn ich mit ihm über Blutzuckerwerte reden will

Zwischen liebevollem Interesse und Bevormundung liegt manchmal ein schmaler Grat. Auch wenn Sie sich sorgen: Vermeiden Sie es, ständig nach Zuckerwerten, Medikamenten oder der letzten Insulinspritze zu fragen. „Die meisten Betroffenen empfinden dies als Zeichen von Misstrauen und Einmischung“, so Rölver. Besprechen Sie am besten in einer ruhigen Minute, in welchen Situationen Hilfe erwünscht ist und wo die persönliche Grenze zur Bevormundung verläuft.

Üben Sie Nachsicht, wenn die Werte einmal nicht im Zielbereich liegen. „Fast allen Menschen mit Typ-1-Diabetes unterlaufen ab und zu Fehler bei der Berechnung von Kohlenhydraten oder Insulindosis“, weiß Rölver. Ebenso menschlich sei es, wenn an manchen Tagen die Motivation fehlt. Reaktionen wie „Ich habe dir doch gleich gesagt …“ oder „Musste das jetzt sein?“ wirken kontraproduktiv. Besser: Vereinbaren Sie, dass Partner oder Partnerin Sie freiwillig über die Werte ins Bild setzen, etwa vor den Mahlzeiten. Dann müssen Sie nicht dauernd nachhaken.

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3. Bei Zuckertiefs hagelt es Beleidigungen

Bei schweren Unterzuckerungen sind Reizbarkeit oder Aggressionen typisch. Dann heißt es: Ohren auf Durchzug stellen, Beschimpfungen nicht kontern und „schnelle“ Kohlenhydrate wie zuckerhaltige Limo anbieten. Normalisieren sich die Werte, haben Betroffene oft einen „Filmriss“, sie erinnern sich nicht an ihr Verhalten.

Solche Erfahrungen sollten später zur Sprache kommen, rät Küstner: „Klären Sie, in welcher Form der Mensch mit Diabetes schnelle Kohlenhydrate einnehmen möchte. Manche hassen Traubenzuckerplättchen!“ Fragen Sie, welche Art von Unterstützung er oder sie sich bei Zuckertiefs wünscht. Manchmal steckt hinter häufigen Unterzuckerungen eine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung: Betroffene merken Warnzeichen nicht und geraten in schwere „Hypos“. Schulungen können hier helfen.

4. Ich habe Angst, dass meine Partnerin im Unterzucker bewusstlos wird — nachts oder wenn sie allein ist

Ein erhöhtes Risiko für Unterzuckerungen haben Menschen bei einer Diabetestherapie mit Insulin oder mit Tabletten, die die Insulinproduktion anregen (etwa Sulfonylharnstoffe). Betroffene merken in der Regel an Zeichen wie Schwitzen, Zittern, Heißhunger oder Herzklopfen, dass sich eine Hypo ankündigt, und können die Gefahr mit schnellen Kohlenhydraten bannen.

Wer unter nächtlichem Unterzucker leidet, kann vorbeugen: zum Beispiel kurz vor der Bettruhe langsam wirkende Kohlenhydrate essen und mit leicht erhöhten Blutzuckerwerten einschlafen. Außerdem Alkohol und Sport am Abend reduzieren oder vermeiden — beides kann den Blutzucker senken.

Treten weiterhin Hypos auf, sollten Arzt oder Ärztin nach der Ursache fahnden. „Um Betroffene und Partner zu entlasten und ihnen die Angst zu nehmen, eignen sich CGM-Systeme — vor allem, wenn eine Hypo-Wahrnehmungsstörung im Spiel ist“, so Klaus-Martin Rölver. Richtig eingestellt, schlägt das Gerät Alarm, sobald die Werte kritisch sinken.

5. Alles dreht sich nur um die Krankheit

Ob im Alltag, in Gesprächen oder wenn es Komplikationen gibt: Der Diabetes drängt sich gerne in den Vordergrund. Auch wenn die meisten Angehörigen ihre erkrankten Familienmitglieder gerne unterstützen, fühlen sich viele belastet — und zwar ähnlich stark wie die Betroffenen selbst.

„Paare sollten sich deshalb bewusst Auszeiten nehmen, um die Beziehung zu stärken und Lebensaspekte zu genießen, die nichts mit der Krankheit zu tun haben“, rät Eva Küstner. Falls Ihr Lieblingsmensch mit Diabetes trotzdem kein anderes Thema mehr kennt als Zuckerwerte, Essensprobleme und das Sportprogramm: Vereinbaren Sie wöchentliche „Meetings“. Hier darf ausführlich über den Diabetes gesprochen werden. In der restlichen Zeit stehen andere Themen im Vordergrund.

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6. Sex? Was war noch mal Sex?

Diabetes kann ein echter Lustkiller sein. Hohe Zuckerwerte können langfristig Blutgefäße und Nerven auch in den Geschlechtsorganen schädigen und so bei Männern für Erektionsstörungen und bei Frauen für Scheidentrockenheit sorgen. Unterzucker wiederum dämpft die Lust auf Sex. Manche fühlen sich wegen Spritzstellen am Bauch oder der Insulinpumpe am Körper nicht mehr begehrenswert. „Zeigen Sie Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner, dass Sie die Krankheit akzeptieren und sie beziehungsweise ihn weiterhin attraktiv finden“, rät Rölver.

Wenn es „zur Sache geht“, neigen manche Betroffene zu Unterzuckerung. Vorab also gemeinsam daran denken, den Glukosewert zu checken. Und vorsichtshalber ein Glas Saft oder Traubenzucker in der Nähe deponieren.

Humor kann enorm entspannen: Wenn Sie insgeheim schon immer von Sexspielen mit Schokosoße fantasiert haben — ein etwas zu niedriger Zuckerwert eignet sich hierfür bestens. Manche diabetologischen Praxen bieten auch Schulungen an, die dabei helfen, Intimität wieder normal und spontan zu erleben. Sind körperliche Ursachen wie Gefäß- oder Nervenschäden für die Sexflaute verantwortlich, sollten Sie gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt über eine geeignete Behandlung sprechen.


Quellen:

  • Kovacs Burns K, Nicolucci A, Holt R I G et al.: Diabetes Attitudes, Wishes and Needs second study (DAWN2™): Cross-national benchmarking indicators for family members living with people with diabetes. In: Diabetic Medicine: 23.05.2013, https://doi.org/...
  • diabetes DE - Deutsche Diabetes-Hilfe: Diabetes – Herausforderung für die Partnerschaft. https://www.diabetesde.org/... (Abgerufen am 14.03.2024)
  • Deutsche Diabetes Gesellschaft: Anerkannte Schulungs- und Behandlungsprogramme nach den Richtlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG. https://www.ddg.info/... (Abgerufen am 14.03.2024)
  • Fabisch G: Erstes Schulungsprogramm für Angehörige. https://www.diabetologie-online.de/... (Abgerufen am 14.03.2024)
  • Bernard M, Lehmann T, Hecht L et al.: Efficacy of DiaLife, an Education Program for Relatives of Adults with Diabetes – A Cluster Randomized Controlled Trial. In: Patient Education and Counseling: 16.11.2021, https://doi.org/...
  • Kulzer B, Lüthgens B, Landgraf R et al. : Wie belastend erleben Angehörige den Diabetes?. In: Der Diabetologe: 29.11.2017, https://doi.org/...