Erschöpft und frustriert: Wenn Diabetes zur psychischen Belastung wird

„Warum ich?“. „Warum ist das Leben so ungerecht?“ - Das fragen sich viele Menschen mit Diabetes. Für manche ist es schwieriger als für andere, ihre Krankheit zu akzeptieren.
© Helene Cyr / Stocksy United
Sie haben Diabetes und fühlen sich manchmal einfach nur „down“ deswegen? Das ständige Diabetes-Management erschöft Sie, Sie sind frustriert und fragen sich, warum gerade Sie sich mit dem Diabetes rumplagen müssen?
Von solchen Gedanken hört Susanne Baulig oft. Sie leitet den Bereich Psychodiabetologie an der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz. Bisher gibt es Psychodiabetologen nur in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern. Dabei ist es nicht selten, dass bei einer Diabetes-Erkrankung auch die Psyche teils erheblich leidet.
Diabetes, der Zeitfresser
In den sozialen Medien teilen Betroffene ihre Erfahrungen dazu unter dem Hashtag #diabetesburnout. „Zukunftsängste, Sorge um Folgeerkrankungen und Erschöpfung durch den Stress mit dem Diabetes-Management sind aber ganz normal“, sagt Baulig. Es sei „verständlich, dass das belastend sein kann“. Psychotherapeuten bezeichnen diese seelische Verfassung als Diabetes-Distress, also Diabetes-Verzweiflung.
Vor allem die Zeit, die durch das Diabetes-Management verloren geht, kann Betroffene zur Verzweiflung bringen. Denn zu Familie, Freizeit und Arbeit kommt bei Menschen mit Diabetes etwa das Vorkochen von gesunden Mahlzeiten für unterwegs, zahlreiche Blutabnahmen, Wertebesprechungen, Kontroll- und Vorsorgetermine, Blutzuckermessen - und oftmals die Gewissheit, dass sie alles das ein Leben lang begleiten wird.
Diabetes - Überfordert vom Alltag?
Von Menschen mit Typ 1 weiß man, dass etwa 40 Prozent einen erhöhten psychischen Leidensdruck spüren. Expertin Susanne Baulig möchte Betroffenen dennoch Mut machen: Ein Platz in der Psychodiabetologie sei hierbei nicht immer notwendig, sagt sie. Die erste Anlaufstelle für professionelle Unterstützung könnte auch der Hausarzt, der Diabetologe oder das Diabetesteam sein. Manchen helfen auch Selbsthilfegruppen.
Ob man Profis an seiner Seite braucht, lässt sich zum Beispiel daran erkennen, dass man es nicht mehr schafft, bestimmten Alltagsanforderungen nachzukommen. Weitere Anzeichen können laut der Expertin Abgeschlagenheit oder zunehmende Gereiztheit sein.
Ob es sich bei den Beschwerden schon um Depressionen handelt, ist für Betroffene oft schwer einzuschätzen. 13 Prozent aller Erwachsenen - egal ob Typ 1 oder Typ 2 - berichten von depressiven Verstimmungen. Gegebenenfalls sollte man zum Hausarzt gehen. Er kann einen wenn nötig an einen Psychiater überweisen, der bei Bedarf auch Antidepressiva verschreiben kann.
Warum Diabetes und Depressionen so eng zusammenhängen, erfahren Sie in dieser Folge unseres Podcasts: „Der Zuckerdetektiv“.
Ist die Belastung milder, kann es eventuell schon helfen, das Redeangebot anzunehmen, das Freunde und Familienmitglieder oft anbieten. Keine Experten, aber offene Ohren findet man auch bei anderen Erkrankten auf Social Media. Susanne Baulig empfiehlt vielen Betroffenen, sich dort auszutauschen.
Quellen:
- Rober Koch-Institut: Diabetes Surveillance, Diabetes in Deutschland. Online: https://diabsurv.rki.de/... (Abgerufen am 17.03.2023)
- Clever S, Baulig S, Benecke A: Psychologische Herausforderungen bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes. In: Diabetologie und Stoffwechsel 05.07.2021, 16-05: 409-418