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Rucola kennen viele noch als Wildkraut, das auch auf kargem Boden gedeiht. Heute wird er als würziger Salat angeboten. Löwenzahn und Giersch liegen in Feinkostläden. Und Bitterschokolade erobert sich ihren Platz neben der beliebten Vollmilchvariante. Bitter findet offenbar immer mehr Liebhaber und Liebhaberinnen.

Und das ist gut so. Ob Verdauungshelfer, Zellschutz oder Hungerbremse: Bitterstoffe im Essen haben viele positive Effekte auf den Körper. Wer bei Radicchio und Brokkoli das Gesicht verzieht, sollte deshalb wieder mal eine Kostprobe wagen: Vielleicht schmeckt ein anderes Gemüse aus der Bitterklasse, das den Speiseplan ab und an bereichern kann.

Traditionell und gut erforscht

Ein paar der vermeintlich neuen Küchenstars haben eine lange Tradition als Verdauungshelfer. Majoran, Kümmel und Ingwer würzen schwer Verträgliches wie Kohl, Lauch, Paprika und etwas fetteres Fleisch. Artischockenblätter enthalten bitteres Cynarin, das die Gallenbildung fördert. Extrakt und Presssaft der Artischocke werden gerne gegen Blähungen eingesetzt.

Gut erforscht sind die sogenannten Senfölglykoside. Sie sorgen für die herbe Note von Brokkoli und Kohlrabi, Rettich und Kresse, Senf und Meerrettich. Und: Sie machen aggressive freie Radikale unschädlich, die bei Um- und Abbauprozessen im Organismus entstehen. So sollen sie zu einem verminderten Risiko für Krebs und Gefäßkrankheiten beitragen.

Neuerdings werden Bitterstoffe auch als Appetitzügler angepriesen. Zu Recht. Forschende wissen inzwischen, was da im Körper abgeht: Bestimmte Bitterstoffe docken an Darmzellen an, die daraufhin ein Hormon ausschütten. Und das löst im Gehirn ein Sättigungsgefühl aus.

Aber der herbe Aperitif regt doch den Appetit an. Wie passt das zusammen? Beides sei richtig, so Dr. Maik Behrens, Molekularbiologe am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie. Der springende Punkt ist: Bitterstoff ist nicht gleich Bitterstoff. Es gibt Tausende davon. „Chemisch ist das nicht definiert“, sagt Behrens, „alles, was die Bitter- Rezeptoren reizt, ist ein Bitterstoff.“

Überall Bitter-Antennen

Die spannendste Erkenntnis der vergangenen Jahre aber ist: Bitter-Fühler gibt es nicht nur dort, wo wir schmecken, also in der Mundhöhle. Sondern auch im Magen-Darm-Trakt, in der Lunge und im Bronchialtrakt. Der Körper „schmeckt“ also mit. Wen überrascht es da noch, dass Bitterstoffe auch auf Blutzucker und Cholesterinspiegel wirken?

25 Rezeptoren haben Geschmacksforscher bisher für bitter ausfindig gemacht. Behrens vergleicht sie mit „Antennen“. Dagegen gibt es im menschlichen Körper nur je einen Typ Fühler für die vier anderen Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und umami. Dieser Überhang an Bitter-Antennen ist gut und wichtig. Denn viele Bitterstoffe sind giftig. Oder sie zeigen Verderb an – so wie bei der Milch, die nicht mehr gut ist. Ein ausgeklügeltes Warnsystem also. Und die Erklärung, warum Babys und Kinder Bitteres ablehnen.

Nicht jeder schmeckt gleich

Dass Erwachsene Bitteres nicht mehr kategorisch ablehnen, hat mit Gewöhnung zu tun. Vielleicht erinnern Sie sich an Ihren ersten Kaffee. Hat der wirklich geschmeckt? Zum Wachwerden haben Sie ihn trotzdem ein zweites und drittes Mal getrunken und irgendwann lieb gewonnen.

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Nur: Was tun, wenn einem das Bittere absolut nicht zusagt? Forscher Behrens hat dafür Verständnis: „Nicht alle Menschen nehmen bitter gleich stark wahr“, erklärt er. Das liegt unter anderem an einem bestimmten Bitterfühler, der bei gut zwei Dritteln der Menschen äußerst sensibel, beim anderen Drittel völlig unempfindlich ist. Daher bitte keine Diskussionen am Esstisch!

Geschickt kombinieren

Ulrike Schmid weiß, wie sie ihrem Mann auch Chicorée schmackhaft machen kann: „Ich brate ihn kurz an, dadurch entstehen herrliche Röstaromen, die das Bittere überdecken.“ Auf die richtige Kombi setzt Sabine Mader: „Granatapfelkerne gleichen das Herbe von Endivien und Radicchio im Salat wunderbar aus. Auch Öl im Dressing mildert ab.“ Wenn die beiden Frauen die Rezepte für den Senioren Ratgeber entwickeln, tüfteln sie so lange, bis alle Testesser mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Ob Artischocke, Brokkoli, Chicorée oder Zwiebel – Behrens empfiehlt die Bitteren aus dem Gemüseladen uneingeschränkt: „Gemüse hat viele gesunde Inhaltsstoffe. Nicht nur Bitterstoffe, sondern auch Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe.“

Hobbygärtner im Vorteil

Noch besser schneidet in puncto Bitterstoffe aber Grünzeug aus dem Eigenanbau ab. „Während der Gemüsehandel heute die beliebteren weniger streng schmeckenden Sorten anbietet, gibt es in der Samenhandlung auch ältere herbere Sorten“, sagt Dr. Marcel Naumann, Nutzpflanzenexperte von der Universität Göttingen. Wichtiger aber: Im eigenen Garten ist der Salat abwechselnd Wärme und Kälte, trockener und feuchter Witterung ausgesetzt. „Und unter diesem Stress bildet die Pflanze vermehrt Bitterstoffe. Sie macht das nicht einfach so, sondern um Fressfeinde abzuwehren“, erklärt Naumann.

Aber Vorsicht, wenn ein Gemüse bitter schmeckt, das nicht bitter gehört. Zucchini zum Beispiel: Sie kreuzen sich leicht mit den nicht essbaren Zierkürbissen und können dann sehr giftige Bitterstoffe bilden. Auf keinen Fall essen! Und Zucchini und Zierkürbis nicht zusammen anbauen!

Faszinierende neue Erkenntnisse über die Gesundheitswirkungen von Bitterstoffen rufen auch die Hersteller von Bittertropfen und -tinkturen mit allerlei Werbeversprechen auf den Plan. „Ich glaube keiner Tinktur, die derzeit auf dem Markt ist, dass sie die versprochenen Wirkungen hat“, warnt Behrens. Man müsse sehr genau unterscheiden, von welchem Bitterstoff genau die Rede ist. „Da ist einfach noch sehr, sehr viel Klärungsbedarf.“