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Anke S. hat sich halbiert. Von ihrem Höchstgewicht vor zehn Jahren, das waren 193 Kilogramm, auf aktuell 93 Kilogramm. Die Wende im Leben der gelernten Zierpflanzengärtnerin brachte eine Schlauchmagen-­Operation. „Davor konnte ich nur noch unter größter Mühe vom Sessel aufstehen“, erzählt sie. Im ersten Jahr nach dem chirurgischen Eingriff veränderte sich alles: Es ging steil bergab mit dem Gewicht und die Leichtigkeit, mit der das passierte, versetzte die damals 47-Jährige förmlich in Euphorie. „Jahrzehntelang hatte ich vergeblich gegen meine Kilos angekämpft und auf einmal verschwanden sie wie von alleine.“

Die Honeymoon-Phase

Diese Phase, in der hormonelle Veränderungen den Stoffwechsel massiv umkrempeln und das Gewicht schnell sinkt, wird „Honeymoon“ genannt. Anke S. schwebte auf Wolke sieben: „Hätte ich meine Gefühlslage während dieser Zeit in Flaschen abfüllen und verkaufen können, wäre ich reich geworden.“ Doch sie wusste: Irgendwann wird der Höhenflug vorbei sein – und die Landung kann unsanft werden.

Studiendaten zeigen, dass das Gewicht Operierter nach der ersten Abnehmphase allmählich stagniert und oft auch wieder nach oben geht. Das frustriert und birgt die Gefahr, in alte, ungesunde Essgewohnheiten zurückzufallen. Auch operative Komplika­tionen oder andere gesundheitliche Prob­leme können auftreten: Sodbrennen, Verdauungsbeschwerden und Hautveränderungen sind nur einige davon.

Nachsorge ist lebenslang nötig

Soll die Operation nachhaltig Erfolg bringen, müssen die Patientinnen und Patienten viel tun: ihre Ernährung umstellen, in Abstimmung mit Arzt oder Ärztin bestimmte Vitamine und Mineralstoffe ergänzen und sportlich aktiv werden. Dabei brauchen sie professionelle Unterstützung. Die sollen sie laut der Leitlinie zur Adipositas-Chirurgie in Form einer „strukturierten lebenslangen Nachsorge“ durch Fachärzte und Ernährungsfachkräfte erhalten. In den ersten zwei Jahren sind insgesamt sechs Termine vorgesehen, später jährliche Kontrollen. So weit die Theorie.

Anke S. hielt die Nachsorgetermine gewissenhaft ein, nahm dafür 80 Kilometer Anfahrtsweg zum Adipositaszentrum in Kauf. „Da saß ich dann, redete eine Viertelstunde lang mit einer Ernährungsberaterin und fuhr wieder nach Hause.“ Aus dem Chirurgenteam, das operiert hatte, bekam sie niemanden zu sehen. Blutuntersuchungen, um mögliche Nährstoffmängel zu erkennen, bot die Klinik nicht an. Auch ihr Hausarzt lehnte ab – er könne das nicht abrechnen. Sie fand schließlich eine endokrinologische Praxis, in der sie sich seither kompetent betreut fühlt.

Blutkontrollen im Speziallabor

Zentren gestalten die Nachsorge selbst. „Manche machen mehr, manche weniger“, erklärt Dr. Jost-­Hendrik Hübner. Er leitet die Sektion für Adipositas- und metabolische Chirurgie am Adipositaszen­trum Winsen. Dort sitze bei den ersten Terminen nach der OP immer auch jemand aus der Chirurgie dabei. Die Blutkontrollen übernehme das hauseigene Labor. Hausärztinnen und -ärzte müssten solche Analysen dagegen teuer vom externen Labor anfordern. Viele befürchten, damit ihren Kostenrahmen zu sprengen, so Hübner. „Aus Sicht der Krankenkassen sind mit der Kostenübernahme für die Operation auch sämt­liche Aufwendungen für die Nachsorge abgegolten.“

Anlaufstellen für Betroffene

AdipositasHilfe Deutschland e.V.
www.adipositas-selbsthilfe.de

Adipositas Verband Deutschland e.V.
www.adipositasverband.de

Bundesfachverband Essstörungen e.V.
www.bundesfachverbandessstoerungen.de

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
www.bzga-essstoerungen.de

Übernehmen weder Klinik noch Hausarztpraxis die Blutkontrollen, haben Operierte ein Problem. Unterstützung bieten Verbände wie die AdipositasHilfe Deutschland. Deren Leiter Michael Wirtz hofft auf bessere Rahmenbedingungen für die Zukunft. Die soll ein strukturiertes Behandlungsprogramm für Betrof­fene von Adipositas (kurz „DMP Adipositas“) schaffen. Bis sich Versicherte in das DMP einschreiben können, werde es aber voraussichtlich noch mindestens ein Jahr dauern. „Bis dahin können wir in unseren Gruppen nur zu Eigeninitiative motivieren und Tipps geben, welche Praxen die Nachsorge anbieten“, bedauert Wirtz.

Die Selbsthilfegruppe unterstützt

Mickey W. hat sich gleich nach seiner Magenbypass-Operation einer Selbsthilfegruppe angeschlossen. Als er sich 2017 mit 57 Jahren und mehr als 150 Kilogramm Körpergewicht zur OP entschloss, griff er nach dem letzten Strohhalm. „Ich hatte einen kaum mehr einstellbaren Typ-2-Diabetes, musste enorme Mengen Insulin spritzen“, erzählt der Diplom-Theologe. Dazu kamen Bluthochdruck, Bandscheibenvorfälle, Schlafapnoe und Nierenkoliken, die ihn für lange Zeit ins Krankenhaus brachten. „Eine Ärztin erklärte mir in netten Worten, dass wohl bald eine Dialyse nötig werde. Ich war seelisch und körperlich am Ende.“

Seine Hoffnung, mit der Operation den Diabetes loszuwerden, erfüllte sich. Ab dem ersten Tag benötigte Mickey W. kein Insulin mehr, bis heute. Die Nieren haben sich erholt, die Laborwerte sind gut. Ein leichter Weg sei es jedoch nicht gewesen: „Man muss dranbleiben und ständig an sich arbeiten.“ Die Selbsthilfegruppe hat ihm dabei sehr geholfen. Die Mitglieder hören sich Fachvorträge an, geben sich gegenseitig Tipps und betreiben „Feldforschung“ beim gemeinsamen Essen im Lokal. Den Grillteller mit Pommes bestellen? Das geht nicht mehr, wenn in den Magen nur noch 100 Milliliter passen und die Verdauung nach fettreicher Kost rebelliert.

Seelische Narben bleiben

Adipositas-Operierte müssen Ernährung komplett neu lernen. „Mir hat es total gutgetan, mit Leuten zusammen zu sein, die die gleichen Prob­leme haben wie ich“, sagt Mickey W. Zum Beispiel das Gefühl von Versagen, wenn das Gewicht nach der ersten Talfahrt wieder hochgeht. Oder die Unsicherheit, wenn die Krankenkasse einen Antrag nicht gleich bewilligt, sondern nachfragt. Scham, Zurückweisung, das kenne jede und jeder Dicke nur zu gut. Manche brauchen vor und auch nach einer Operation professionelle psychologische Hilfe.

Adipositas-Kranke haben oft Traumen, Gewalt oder Missbrauch in der Kindheit erlebt. Ein operativer Eingriff kann die körperliche Gesundheit wiederherstellen, nicht aber die seelische. Und Probleme, die es vorher schon gab, sind hinterher nicht weg, sondern teilweise sogar noch schlimmer – etwa in der Partnerschaft.

Psychische Probleme kommen oft zurück

Martina F. ließ ihren Magen vor zwölf Jahren verkleinern. Später wurden weitere Operationen nötig. Ihr Psychologe ist ihr bis heute eine Stütze. Die Gespräche erden sie und helfen ihr. Auch andere bräuchten nach der Chirurgie eigentlich psychologische Betreuung, glaubt sie: „Da gibt es Menschen mit einer bereits therapierten Borderline-Störung, die nach der Honeymoon-Phase wieder anfangen, sich zu ritzen.“ Auch überwunden geglaubte Depressionen kommen manchmal zurück oder ehemals Fettleibige werden magersüchtig.

Das Risiko für Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch und für Suizid ist bei Menschen, die eine Magenoperation hinter sich haben, erhöht. Psychotherapeutische Termine sind jedoch schwer zu bekommen. Alternative Anlaufstellen für Betroffene sind die Zentren für Essstörungen mit ihren Beratungsangeboten.

Hautveränderungen nach der OP

Eine besondere Belastung sind die Hautveränderungen infolge der starken Gewichtsabnahme. Wo das Fett schwindet, bleiben hängende Hautlappen übrig: an Armen, Beinen, Brust, Bauch und Gesäß. Das ist einerseits ein medizinisches Problem – zwischen den Falten bilden sich Pilze und Ekzeme, die Haut wird wund und riecht. Andererseits schämen sich besonders Jüngere wegen der unansehnlichen Veränderungen.

Bei Martina F., die 130 Kilogramm Gewicht abgenommen hat, entstand am Bauch eine enorme Fettschürze. „Die hing so weit nach unten, dass ich sie beim Gehen mit jedem Schritt wegtreten musste.“ Inzwischen hat sie den riesigen Hautlappen operativ entfernen lassen, für die Kosten kam ihre Krankenkasse auf. „Das ist aber nicht immer so“, weiß sie. Betroffene müssen dann mehrere Tausend Euro selbst bezahlen.

Nahrungsergänzung: Kassen zahlen nicht

Lebenslange Kosten, die die Kassen generell nicht erstatten, entstehen durch die benötigten Nährstoffpräparate. Ist der Magen verkleinert oder der Weg durch den Darm verkürzt, kann der Körper nicht genug Nährstoffe aus der Nahrung gewinnen. Günstige Tabletten und Pulver aus der Drogerie helfen nicht weiter, da sie für die speziellen Bedürfnisse nicht ausreichen. Es müssen auf den Bedarf abgestimmte Produkte von Spezialherstellern sein – und die sind nicht ganz billig.

Martina F. nahm die Präparate regelmäßig ein, kümmerte sich auch ansonsten sehr gewissenhaft um ihre Nachsorge – und musste trotzdem mit gravierenden Komplikationen kämpfen: „Mein Kreislauf sackte immer wieder so stark ab, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.“ Zu diesem sogenannten Spätdumping kann es kommen, wenn unverdaute Nahrung in den Dünndarm gelangt und der Körper daraufhin zu viel Insulin ausschüttet, was zu Unterzuckerung führt. Es zählt zu den typischen Beschwerden Magen-Operierter. Bei Martina F. war es so schlimm, dass ein Teil ihrer umoperierten Darmpassage „zurückgebaut“ werden musste. Seither geht es ihr wieder gut, sie macht viel Sport und hält ihr Gewicht.

Wer Beschwerden hat, sollte sich zeitnah bei uns melden und nicht versuchen, das zu Hause auszusitzen“, betont Dr. Sylvia Weiner, Leiterin des Adipositaszentrums am Sana Klinikum Offenbach. Immer wieder Bauchschmerzen, Probleme mit dem Stuhlgang, Übelkeit? Dahinter könnten behandlungsbedürftige Ursachen stecken, die abgeklärt werden müssten. Damit ihre Patientinnen und Patienten die Zeit nach der OP gut bewältigen, setzt die Chirurgin auf intensive Schulungen schon im Vorfeld: „Leider wollen manche das lieber ganz schnell und ohne Bürokratie erledigt haben und sich möglichst wenig damit beschäftigen.“

Lockangebote aus dem Ausland

Die ließen sich dann von Lockangeboten aus dem Ausland ködern. Das Internet ist voll von einschlägiger Werbung: „Schlauchmagen-Operation mit 5-Sterne-Unterkunft“, „Magenoperation VIP-Paket“ oder „All-inclusive für 2500 Euro“ werden offeriert. Chirurgisch würde in den Auslandskliniken meist solide gearbeitet, so Weiner, aber die Vorbereitung – die hierzulande mehrere Monate dauert – beschränke sich mitunter auf ein einziges Telefonat. Sylvia Weiner warnt eindringlich davor, sich auf so etwas einzulassen. Die Adipositas-Erkrankung bestehe oft über Jahrzehnte, deshalb sei die Therapie nicht mit ein paar chirurgischen Schnitten erledigt, sondern ein lebenslanger Weg.

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Quellen:

  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.: S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): IQWiG-Berichte zu Diagnostik und Therapie von Adipositas vorgelegt. https://www.g-ba.de/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Alfadda A., Al-Naami M., Masood A. et al.: Long-Term Weight Outcomes after Bariatric Surgery: A Single Center Saudi Arabian Cohort Experience. Journal of Clinical Medicine: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Universitätsmedizin Leipzig, IFB AdipositasErkrankungen: Als Kind misshandelt, als Erwachsener adipös?. https://www.ifb-adipositas.de/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Deutsches Ärzteblatt: Magenbypass: Häufige Komplikationen bei zufriedenen Patienten. https://www.aerzteblatt.de/... (Abgerufen am 27.12.2022)