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Erst gestern Nacht, so erzählt Dr. Ina Rühl im Gespräch, ­habe sie wieder so eine Pa­tientin gehabt: eine junge, eher schüch­terne Schwangere, die große Angst vor dem Geburtsschmerz hatte. Sie wollte unbedingt eine Periduralanästhesie (PDA), sobald es so weit sei: „Aber niemand im Kreißsaal, auch nicht die Schwangere selbst, hatte während der Geburt das Gefühl, dass eine PDA nötig ist.“ Genauso erlebt Rühl, die als leitende Oberärztin in der Geburtshilfe am Rotkreuzklinikum in München arbeitet, immer wieder Frauen, die unbedingt ­ohne PDA gebären möchten. Im entscheidenden Moment sind sie aber heilfroh, dass es die Möglichkeit der Schmerzbetäubung gibt.

Die PDA ist eine Betäubung, die regional ab dem unteren Rücken wirkt und die Wehen weniger schmerzhaft macht. Hierfür wird zuerst über einen zuvor gelegten Katheter ein Betäubungsmittel zwischen dem zweiten und vierten Lendenwirbel in den Periduralraum der Wirbelsäule injiziert. Über den Katheter kann die Dosis unter der Geburt angepasst werden, falls die Wirkung nachlässt. Der große Vorteil der PDA: Die Frau bleibt bei vollem Bewusstsein, spürt im Idealfall aber ab dem Becken kaum noch Schmerz. „Die Betäubung ist dann perfekt, wenn die Frau den Druck der Wehe noch spürt, aber nicht den extremen Schmerz“, sagt Rühl. So kann sie weiterhin aktiv mitarbeiten, wenn sich das Baby durch den Geburtskanal bewegt.

Außerdem wirkt die PDA nur örtlich begrenzt. Das heißt: Sie legt die Nerven im Wirbelkanal lahm, die den Geburtsschmerz verursachen. Dazu verteilt sich das Betäubungsmittel im sogenannten Periduralraum der Wirbelsäule. Das Medikament wird also nicht über die Blutgefäße verabreicht. Ein wichtiger Punkt: „Das Kind bekommt von der PDA nichts mit“, beruhigt Ina Rühl. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie der Universität Glasgow. 400 000 Mutter-Kind-Paare wurden über zwei Jahre hinweg nach der Geburt begleitet. Keines der Kinder, die unter einer PDA zur Welt gekommen waren, hinkte bei Tests zu Grob- und Feinmotorik, Kommunikation oder Sozialverhalten den anderen Kindern hinterher – teilweise schnitten sie sogar besser ab.

Der richtige Zeitpunkt für eine PDA

Wie merken die Schwangere, die Hebammen oder Ärztinnen und Ärzte, dass der passende Moment für die PDA gekommen ist und die regionale Betäubung die Geburt voranbringen ­würde? Für Anna-Maria Maier, Hebamme aus München, gibt es ein Signal, auf das jede Frau in Wehen achten sollte: „Selbstverständlich sollte jede Frau eine PDA bekommen, wenn sie eine wünscht. Ein guter Zeitpunkt ist oft gekommen, wenn Anspannung und Schmerz so groß sind, dass die Frau sich in den Wehenpausen nicht ausreichend erholen und entspannen kann oder die Geburt nicht fortschreitet.“ Eine permanente Anspannung in der Eröffnungsphase verlangsamt die Geburt, bestätigt Gynäkologin Rühl. Verkrampft die Muskulatur durchgehend, geht meist auch der Muttermund nicht weit genug auf, um das Baby hindurchzulassen. „Wenn wir dann eine PDA legen, kann die werdende Mutter endlich locker lassen. Meist öffnet sich in der Folge der Muttermund, und es kann weitergehen.“

Neugebornes Baby

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Eine Frau in der Anfangsphase der Geburt, die schon stundenlang in den Wehen liegt und völlig erschöpft ist, kann sich dank der PDA ein oder zwei Stunden ausruhen, vielleicht sogar schlafen, und dann mit neuer Energie weitermachen. In so einem Fall liegt es oft an den Ärzten, zur PDA zu raten. „Leider stehen sich viele Frauen selbst im Weg“, erzählt die Münchner Ärztin. Frauen, die eine PDA von vornherein ausschließen, denken oft, dass diese zum Geburtstillstand führen würde oder sie auch die Kontrolle über ihre Beine verlieren würden. Das passiert aber nur in Ausnahmefällen. Und: „Ja, es kann sein, dass die Wehen einschlafen. Wenn die Frau ­keine Pause braucht, müssen die Wehen dann durch Medikamente wieder aktiviert werden.“ Dazu wird in­travenös Oxytoxin verwendet – ein Medikament, das schnell vom Körper abgebaut wird und sich exakt dosieren lässt. Die Schwangere muss keine Angst vor zu starken und heftigen Wehen haben. „Der klassische Wehensturm wird durch andere Medikamente, die Prosta­glandine, ausgelöst“, sagt Ina Rühl.

Auch das Gefühl in den Beinen kann bei einer PDA weniger werden. Wegen Sturzgefahr sollen Patientinnen nicht mehr spazieren gehen, und auch gewisse Gebärpositionen wie die tiefe Hocke sind dann nicht immer möglich. Es sei aber ­eine Seltenheit, dass Frauen die Beine gar nicht mehr bewegen könnten, sagt Hebamme Maier und erklärt: „Die Dosierung des Betäubungsmittels ist mittlerweile viel präziser möglich.“ In manchen Krankenhäusern können die ­Frauen die Stärke der PDA teilweise selbst dosieren. So kann die sogenannte „Walking PDA“ mehr Beweglichkeit trotz der Schmerzhemmung ermöglichen.

Welche Gründe für die PDA sprechen

Oft genug sprechen aber auch andere Gründe als die Schmerzausschaltung für eine PDA. Die Psyche zum Beispiel: „Hatte eine Frau zuvor eine traumatische oder sogar gewalttätige Geburt, können wir ihr mit einer PDA etwas von der Angst nehmen. Die Frau ist entspannter und kann besser mitarbeiten.“ Oder eine schlechte Lage des Babys: Hat sich der Kopf des Kindes verkeilt, kommt es zu einem Geburtsstillstand – nichts geht mehr. Wenn die Frauenärztin dann mit ­ihrer Hand nach dem Kopf des Babys tasten muss, um ihm einen kleinen Drehimpuls zu geben, muss die Mutter dabei halbwegs entspannt sein. Dank einer PDA kann das gelingen. Trotz aller Vorteile: Nicht immer wirkt eine PDA so, wie es sich Ärzte und Schwangere wünschen. Manchmal ist nur eine Körperseite betäubt, auf der anderen ist der Schmerz noch deutlich zu spüren. Ein Bandscheibenvorfall in der Vergangenheit kann zum Beispiel die Ursache dafür sein. Manche Frauen bekommen Kreislaufprobleme. Das sei laut Rühl aber eher bei der Spinalanästhesie der Fall. Die Betäubung läuft hier ähnlich ab wie bei einer PDA. Die Nadel wird jedoch tiefer im Wirbelkanal platziert und die Betäubung ist stärker. Geplante Kaiserschnitte werden meist unter ­einer Spinalanästhesie durchgeführt.

Geburt: Wann die Betäubung unmöglich ist

Es gibt wenige Gründe, die klar gegen eine PDA sprechen: zum Beispiel bestimmte Vorerkrankungen. So besteht bei Menschen mit Blutgerinnungsstörungen wie ­einer Hämophilie eine zu große Gefahr, dass ein Gefäß verletzt wird. Dadurch kann es zu einer Einblutung zwischen den Wirbelkörpern kommen, die die Nervenfasern schädigt. Ebenso machen seltene neuro­logische Erkrankungen oder Hirntumore eine PDA unmöglich.

Auch bei ­einer Schwangerschaftsvergiftung (Präeklampsie) oder einer speziellen Form davon, dem HELLP-Syndrom, muss genau abgewogen werden, ob die örtliche Betäubung ohne Risiko möglich ist. „Wenn die Krankheit so stark ausgeprägt ist, dass sich die Anzahl der Blutplättchen deutlich reduziert hat, kommt die PDA nicht mehr infrage“, erklärt die Ärztin.

Zu spät für eine PDA ist es hingegen, wenn sich die Geburt schon in der Austreibungs-­phase befindet und sehr rasch voranschreitet. „Damit der Anästhesist die Nadel richtig platzieren kann, muss die Frau still halten und den Rücken krümmen“, erklärt die Heb­amme. „Dann dauert es noch mal bis zu 20 Minuten, bis die Betäubung wirkt.“ In der letzten Phase sei es den Frauen meist nicht möglich, lange genug ruhig zu halten, da das Kind nach draußen drängt. „Das ­Gute: Wenn es wirklich zu spät für eine PDA ist, ist die Geburt fast geschafft. Das kann die Frauen auch wieder motivieren“, sagt Maier.

Dank PDA: Weniger Schmerz, gleiches Ergebnis

Was Ina Rühl beim Thema PDA am meisten stört, ist das Stigma, das die Betäubung umgibt. „Eine Geburt ist extrem individuell. Genauso wie bei Stress hat jeder Mensch bei Schmerz eine andere Toleranz. Bei der Geburt geht es also in erster Linie um die Bedürfnisse der Frau – und nicht allein um unsere ärztliche Einschätzung.“ Sie wünscht sich, dass sich Frauen in dieser Hinsicht viel weniger unter Druck setzen würden. Ein vorab überlegter Geburtsplan kann perfekt ausgearbeitet sein – darauf, wie die Geburt tatsächlich abläuft, hat er keinen Einfluss. Ein Kind mit PDA auf die Welt zu bringen sei nicht weniger wert als eine Geburt ohne. „Der Körper leistet doch dasselbe“, betont Rühl.

Anna-Maria Maier sieht das ähnlich. Es habe sich bewährt, offen zu sein und die PDA weder kategorisch auszuschließen noch sich fix darauf zu versteifen. Achte die Frau darauf, wie sie mit den Wehen zurecht kommt und wie die Geburt voranschreitet, beantworte sich die Frage nach der PDA viel leichter. Oft ist die Betäubung dann gar nicht nötig – wie bei der Pa­tientin von Ina Rühl in der Nacht zuvor.

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