Erbgutschäden korrigiert dank künstlicher Befruchtung
Erste Babys dank Mitochondrienspende geboren
Im Mai 2023 meldete die britische Tageszeitung The Guardian, was eigentlich zunächst geheim bleiben sollte: Erstmals wurden in Großbritannien Babys geboren, die das Erbgut dreier Menschen in sich tragen – das der Mutter, das des Vaters und das einer Eizellspenderin. Fachkräfte des Newcastle Fertility Center hatten eine neue Methode genutzt, um bestimmte Erbgutfehler während einer künstlichen Befruchtung auszuschließen. „Das ist eine gute Nachricht für Frauen mit einem Defekt in den Genen der Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle“, sagt Prof. Dr. Maja Hempel, Fachärztin für Humangenetik und Leiterin der Genetischen Poliklinik am Universitätsklinikum Heidelberg. „Diese Frauen haben nun die Möglichkeit, biologisch eigene und gesunde Kinder zu bekommen.“
Hintergrund: Mitochondrien haben ihr eigenes Erbgut. Es wird von der Mutter über ihre Eizelle vererbt. Defekte in den Mitochondrien schädigen vor allem energiehungriges Gewebe: Gehirn, Herz, Muskeln und Leber. Erkrankungen führen zum Beispiel zu Epilepsien, zu Schlaganfällen und zu Schwerhörigkeit. Bereits im Jahr 2015 hat Großbritannien ein Gesetz verabschiedet, das zulässt, ursächliche Erbfehler zu korrigieren – als erstes Land der Welt überhaupt. Die Hintergründe zu den nun erfolgten Geburten sind noch nicht veröffentlicht. Die Redaktion des Guardian hatte nachgehakt, um vorab Infos zu erhalten.
Was wird bei der Mitochondrienspende gemacht?
Bei der neuen Therapie werden die defekten Mitochondrien durch intakte aus einer gespendeten Eizelle ausgetauscht (siehe Infografik). „Die Mitochondrienspende wird am häufigsten vor allem in einer Form durchgeführt: „Man nimmt die Eizelle einer gesunden Spenderin, entfernt den Zellkern mit dem Hauptteil des Erbguts und transplantiert den Zellkern der biologischen Mutter“, so Hempel. Dann komme das Erbgut des Vaters dazu und dann habe dieses Kind im Grunde drei genetische Ursprünge: von der biologischen Mutter, dem biologischen Vater und von der Spenderin das Erbgut in ihren Mitochondrien. „Man hat auf dieses Verfahren wirklich lange hingearbeitet, da dessen Durchführung nicht so einfach ist.“
Künstliche Befruchtung: Wie Mitochondrien gespendet werden
Warum ist die Mitochondrienspende kein Routineverfahren?
Für Großbritannien wird geschätzt, dass die Mitochondrienspende bei rund 150 Geburten pro Jahr in Frage kommt. Für Deutschland sind hingegen keine solchen Zahlen bekannt. „Als Arzt oder Ärztin in Zentren für Erkrankungen der Mitochondrien bekommt man aber mehrmals im Jahr Anfragen von betroffenen Frauen, die gerne Kinder haben möchten“, so Maja Hempel.
Doch bis sich der Traum vom eigenen Kind für betroffene Frauen erfüllt, gibt es noch einige Hürden zu überwinden. Die Mitochondrienspende ist ein sehr kompliziertes Verfahren, das in der Forschung und Entwicklung lange Zeit gebraucht hat. „Wir sind noch nicht soweit, dass wir das Verfahren in der Routine anbieten könnten“, sagt Maja Hempel. Zudem bestehe ein erhöhtes Risiko, dass sich die befruchteten Eizellen nicht weiter entwickeln. Auch Thomas Klopstock, Neurologe und Mitochondrien-Experte vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, dämpft ein wenig die Erwartungen: „Zwar ist aus Tierversuchen bekannt, dass die Technik gut und sicher funktioniert. Dennoch ist es wichtig, die Kinder nun über Jahre zu beobachten.“ Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass beim Übertragen des Zellkerns der Mutter in die entkernte Eizelle der Spenderin auch einige defekte Mitochondrien mit übertragen werden. „Diese könnten in seltenen Fällen wieder die Oberhand gewinnen und dann doch zu der Krankheit führen, die man eigentlich verhindern wollte.“
Die größte Hürde ist allerdings rechtlicher Art. Während die Mitochondrienspende in Großbritannien schon seit 2015 erlaubt ist, ist sie es in Deutschland nicht. „Allein schon, weil laut Embryonenschutzgesetz Eizellspenden verboten sind“, sagt Thomas Klopstock. „Wenn mehr Erfahrungen aus Großbritannien vorliegen, wäre aber auch hierzulande eine gesellschaftliche Diskussion über diese neue Methode unter Leitung des Deutschen Ethikrats sinnvoll.“ Etwaige Pläne, eine Eizellspende in Zukunft doch zu erlauben, sind Maja Hempel nicht bekannt. Würde sie sich aber hierzulande Mitochondrienspenden wünschen? „Die Antwort ist ein ganz klares ‚Ja‘. Denn der Bedarf ist da.“
Quellen:
- The Guardian: First UK baby with DNA from three people born after new IVF procedure. Online: https://www.theguardian.com/... (Abgerufen am 01.10.2023)
- Garcia I, Jones E, Ramos G et al.: The little big genome: the organization of mitochondrial DNA. National Library of Medicine: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 01.10.2023)
- Klopstock T, Priglinger C, Yilmaz A et.al: Mitochondriale Erkrankungen, Mitochondrial disorders. Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/... (Abgerufen am 01.10.2023)
- Cree L, Loi P: Mitochondrial replacement: from basic research to assisted reproductive technology portfolio tool-technicalities and possible risks . National Library of Medicine: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 01.10.2023)
- Gorman G.S, Grady John P, Ng Y et.al: Mitochondrial Donation — How Many Women Could Benefit?. The New England Journal of Medicine: https://www.nejm.org/... (Abgerufen am 01.10.2023)
- Ma H, Van Dyken C, Darby H: Germline transmission of donor, maternal and paternal mtDNA in primates. Oxford Academic: https://academic.oup.com/... (Abgerufen am 01.10.2023)
- Dobler R, Dowling D, Morrow E: A systematic review and meta-analysis reveals pervasive effects of germline mitochondrial replacement on components of health. Oxford Academic: https://academic.oup.com/... (Abgerufen am 01.10.2023)
- Schaefer I: Embryonenschutzgesetz und Reform-Pläne. https://www.sr.de/... (Abgerufen am 01.10.2023)